
Mein erstes, erstes Brett ist frei ...
... wir wünschen uns Kramnik, Anand, Timman und Aronian herbei
Arkadij Naiditsch sucht nach neuen Perspektiven
Eine knifflige Quiz-Challenge vorweg:
Wie lautet der genaue Vorname von GM Mamedyarov aus Aserbaidschan?
(Lösung siehe unten)
Tja, das war es also. Aus der Traum, erst einmal, von einem wirklich bärenstarken deutschen Spitzenspieler, der dann auch noch am ersten Brett der Schach-Nationalmannschaft spielt.
Bei uns im Blog hat er sich zwar noch nicht abgemeldet, doch wie wir hier und hier von den regennassen Dächern zwitschern hörten, verlässt Arkadij Naiditsch das Land und wechselt zu den Ölmultis nach Aserbaidschan. Als Schach-Aseri wird er jedoch auch weiterhin in der Bundesrepublik leben können – nur für die Nationalspiele, die WM, die EM und Olympia!, bei all diesen Veranstaltungen trägt er von nun an eben ein anderes Trikot.
Da haben wir es also wieder, mit dem freien Markt. Man kann unseren Sportsbrüdern im Fußballsport vieles vorwerfen, doch immerhin ist dort ein Wechsel des Verbandes nicht so ohne weiteres möglich – zumindest, wenn man schon einmal für sein (bisheriges) Land gespielt hat. Einmal Däne, immer Däne – so ist das im Fußball.
Schach ist wie Fußball, nur (fast) ohne Transferzahlungen
Beim Schach aber, hier herrscht noch (oder schon) Marktradikalismus und ein liberaler Geist, ganz wie im Bankensektor. Spielerinnen und Spieler, die den Wunsch entwickeln, für eine andere Föderation ans Brett zu gehen? Kein Problem – es wird eine dezente Summe überwiesen vom aufnehmenden zum abgebenden Verband, und schon kann aus einem Philippino ein US-Amerikaner werden. Oder aus einem Italiener noch ein weiterer US-Amerikaner.
Auch Naiditsch wurde auf diese Weise ausgelöst, denn aus Aserbaidschan fließen nun fette 30.000,-€ in die bundesdeutschen Schachkassen – 30 Cent für jedes Mitglied sozusagen. Kein wirklich umwerfender Betrag, eigentlich, auch in diesem Bereich scheinen uns die Fußballer voraus zu sein. Hätten es nicht ein oder zwei Nullen mehr sein können am Ende der Transfersumme?
Doch so sind sie eben, die Regeln, und wer wären wir hier in der Schachwelt-Redaktion, dass wir sie auch noch kritisieren würden? Man sollte es Arkadij Naiditsch nicht verdenken, wenn er sich im Rahmen dieser Regularien frei bewegt. Ich hätte mich gefreut, wäre er noch im deutschen Team geblieben, doch hatte Aserbaidschan wohl die finanziell attraktivere Offerte, und auch ein Großmeister muss die Möglichkeit haben, für seine Kunst einen Gegenwert zu erhalten. It´s a free country.
Zu den finanziellen Beweggründen gesellten sich offenbar auch atmosphärische Irritationen, schon zu spüren im Jahr 2011, als Naiditsch direkt nach dem deutschen Sieg bei den Europameisterschaften gegen den DSB heftig zu rumpeln begann, und auch Bundestrainer Uwe Bönsch dabei nicht verschonte. Es folgte eine erzieherische Sperre gegen den jungen Mann, und auch wenn es seitdem eine Art Burgfrieden gibt – Naiditsch spielt, doch scheint ihm das vom Schachbund vorgegebene Umfeld nicht mehr ganz angenehm zu sein.
Und nun geht er also, der Arkadij. Schlägt vorher noch zweimal den Weltmeister, doch er geht. Schade, in der Tat. Vorbei die schöne Zeit mit einem tollen ersten Brett.
Einer von Naiditschs großen Vorgängern: Robert Hübner in Porz 1966 (Foto: Gerhard Hund)
Das Bundesteam wird weiterhin ausgewogen und sehr passabel besetzt sein - unter anderem mit Georg Meier, Liviu-Dieter Nisipeanu, Daniel Fridman und Rainer Buhmann, das ist schon was. Mit den Schachprinzen und irgendwann auch Vincent Keymer rücken fünf inspirierte Spieler nach, die in Bundesliga und Internationalen Meisterschaften schon Beachtliches erreichten. Seien wir also nicht zu pessimistisch. Es wird schon wieder werden, mit dem bundesdeutschen Schach!
Dennoch wird es eine Lücke geben, vorerst, und besonders im Bereich 2700+. Sollten wir uns darum nicht vielleicht auch umsehen, wen wir für den Schachbund von außerhalb noch einwerben könnten? Wie wäre es beispielsweise mit Vladimir Kramnik? Er hat doch schon immer gerne in Dortmund gespielt, und Paris ist ja auch gar nicht so weit weg. Oder Vishy Anand, wo er doch in Bad Soden schon beinahe ein zweites Zuhause hat. Oder Frank Hoppe – noch immer wird er bei den großen Turnieren vom Bundestrainer übergangen. (Doch halt, Frank ist ja bereits als Netzmeister in zentraler Funktion für den Schachbund tätig und in Berlin darum unabkömmlich.)
Vishy Anand: gibt es bald wieder einen deutschen Weltmeister?
Und überhaupt, wäre nicht jetzt der richtige Zeitpunkt, um Shakhriyar Mamedyarov aus Aserbaidschan abzuwerben? Ein Spieler geht, ein anderer kommt dafür zurück – klingt doch wie ein fairer Deal. Und ist es denn etwa nicht attraktiv, am ersten Brett der deutschen Auswahl zu spielen, beim Europameister von 2011? Die Ablösesumme für Aserbaidschan, 30.000, € oder gar 50.000,- € bekommen wir doch auch noch irgendwie zusammen. Da würden sie aber gucken, die Aseris!

Schon wieder kein Schach im Fernsehen?
Ein ruhiger Abend zu Hause, zusammen mit 125 Millionen anderen Menschen - heute ist Eurovision Song Contest!
Na gut, nicht dass ich ein echter Hartkern- Fan des Grand Prix de la Chanson wäre. Doch es hat (auch) Vorteile, bei dieser Show auszuhalten:
- die Intro-Show war furios: Stefan Raab spielte mit Orchester eine Rockabilly-Version von Lenas „Satellite“
- sogar Anke Engelke hatte wirklich Esprit, zeigte Headbanging und machte lustige Scherze! (das habe ich selten erlebt)
- Völker, hört die Ballade: man hört 25 Lieder in 100 Minuten, ein strammes Programm. Nachher dann noch die Auswertung und alle rufen an. Prima ansich, aus ganz Europa sind Interpreten dabei, eine schöne Idee! (Schade zwar, dass sie auch wirklich alle singen, und dass alles oft ganz furchtbar ist - trash as trash can, wie mal jemand sagte. Aber das gehört wohl dazu. Chaka, chaka!)
- Lena war dabei, aber hm hm hm, irgendwie war es doch ein bisschen lau. Aber teilnehmen ist ja auch schön, und gewinnen muss ja gar nicht sein. Eigentlich ganz wie beim Schach.
- Bei den meisten Liedern kann man nach einer Minute durch die Wohnung laufen und noch irgendetwas Sinnvolles tun. Zum nächsten Lied, das nach weiteren zwei Minuten beginnt, ist man dann wieder zurück. Das schult das Zeitgefühl für das Blitzschach.
- Es geht um nichts - das ist ja auch mal ganz schön. Eines der anstrengenderen Lieder scheint dabei zu gewinnen. Aserbaidschan - nicht nur im Schach erfolgreich.
- Jan Delay sang in der Pause! War aber zu hektisch und klang lange nicht so gut wie sonst. Schade!
Was hat dieser riesige European Song Contest nun mit dem Schachsport zu tun? Und warum darüber auch noch einen Artikel im Blog der Schach-Welt? Immer wieder müssen wir hier ja diskutieren, warum Schach kein Publikumssport ist und was wir ändern könnten bei der Kleiderordnung, der Bedenkzeit, vielleicht sogar bei den Regeln, um noch attraktiver zu werden. Sollten wir das Brett auf vier Felder verkleinern? Und am Abend des Eurovision Song Contest drängt sich mir die Frage auf: wollen wir denn eigentlich wirklich ein Publikumssport, ein Massensport sein?
Der ESC zieht viele Millionen Menschen an, und sogar das Düsseldorfer Fußballstadion wurde nur für diesen Abend für viel viel viel scheinbar frei verfügbares Geld eigens zur Mega-Halle umgebaut – aber ist die Veranstaltung dadurch besser? Schach zieht nicht ganz so viele Menschen an – ist aber als Zeitvertreib dadurch keineswegs schlechter. Die meisten von uns spielen, weil sie Spaß daran haben. Würden wir denn noch mehr spielen oder noch glücklicher sein, wenn uns viel mehr Menschen zusehen würden? Und was würde dadurch besser? Ok, es gibt Professionals, denen es besser ginge, hätte Schach mehr Zuschauer, mehr Geld, höhere Preisfonds. Doch viele von uns sind keine Profis.
Vielleicht reicht es aus, hätten wir einfach ein gutes Selbstverständnis und unsere Freude als Schachsportler und sind damit zufrieden. Schachspieler haben schon ihre Nische, in der sie sich wohlfühlen - ebenso wie die Judo-Gruppen, die Free Climber, die Badminton-Spieler oder die schottischen Square Dance-Gruppen. Hauptsache, wir haben im Austausch mit genügend anderen unsere Freude am kreativen Spielen, am Knobeln, am Ringen, am Abenteuer und dem Versuch, Punkte zu machen. Dafür gibt es auch jetzt schon tolle Turniere und einen umfassenden, von vielen Freiwilligen ehrenvoll im Hintergrund organisierten Ligabetrieb. Es mag naív sein und unbedarft, aber ich bin eigentlich ganz zufrieden damit, wie der Schachsport jetzt schon ist.
Lassen wir den anderen Sportarten – Fußball, Handball, Basketball – doch ihren Spaß und das große Geld und von mir aus auch die ganz große Aufmerksamkeit. Veranstaltungen wie der ESC sind dann eben für die anderen. Nur weil viele Menschen bei diesen "Melodien für Melonen" (Wigald Boning) zusehen, wird es noch nicht besser. Ich bleibe auch gerne in meiner Kneipe, im Vereinsheim, in der Turnhalle beim Open und spiele Schach - auch wenn es sonst nicht viele tun.
Hava Hava Europe! (so ungefähr grüßten gerade die Norweger!)
Nachtrag: Zur Feier des Siegerlandes mogeln wir hier noch eine Kombination in den Artikel, mit der ein in Baku/ Aserbaidschan geborener Weltmeister den vollen Punkt erzielte - bei einer Partie in Baku 1977. Garri Kasparov kommt ja aus der Ecke - ob wir ihn nächstes Jahr dann auch als Moderator beim ESC sehen werden? Erstmal aber die kleine Aufgabe: wie gewann der junge Kasparov hier klar und schnell mit Schwarz am Zug gegen Magerramov?
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