Die unerträgliche Leichtigkeit des Cheatings
Freigegeben in Blog

Früher – ja da war alles besser – war Betrug einmal eine schwerwiegende Angelegenheit und wurde heftig diskutiert. Es ging aber nicht so sehr um einzelne Züge, sondern es ging um Absprachen oder präziser um die mögliche Existenz von Absprachen zu Gunsten des Einen und zu Ungunsten des Anderen. Dem geneigten Leser werden hier Interzonenturniere und dergleichen mehr einfallen. Die eingesagten Züge von stärkeren Spielern gab es zwar auch, aber die waren mit dem Risiko des Nichtverstehens der Idee verbunden oder sie waren doch nicht so stark wie erhofft.

Heute ist alles viel, viel leichter und locker geworden. Der Betrug oder Cheating wie man es im Onlineschach nennt, hat eine unerträgliche Leichtigkeit entwickelt und die Züge sind gegen menschliche Gegner nahezu immer ausreichend und sicher. Es wird zwar ebenfalls heftig – teilweise in Ermangelung von Argumenten persönlich und untergriffig – diskutiert, aber niemand versucht ernsthaft die Probleme zu analysieren und dann nach brauchbaren und haltbaren Lösungen zu suchen, denn die für jeden passenden reflexartigen Antworten sind verführerisch einfach.

Der Mythos, dass Cheater Computerexperten und Mausakrobaten erster Klasse sein müssen, gilt schon lange als gebusted, denn jeder der ein Programm installieren kann und schneller lesen kann als Varianten berechnen, kann ganz leicht betrügen. Die entsprechenden Tools findet man im Internet und wer sich in die Tiefen des Darknets begibt, findet dort nahezu unzählige Tools – viele davon mit mehr oder besseren Verschleierungsfeatures. Also Cheaten ist leicht – wirklich unerträglich leicht und für das schicke nebenbei cheaten gibt es noch das Smartphone. Wer cheaten möchte, kann dies leicht und ohne Anstrengung machen – herrlich.

Klar, dass dies eine andere Fraktion auf die Palme trieb und diese nennen wir sie uncharmant „Cheating Paranoide“ reagierte anfangs sehr verstört auf obige Erkenntnisse und versuchten diese zu negieren. Aber als dies scheitern musste, entwickelte man umgehend eine ebenfalls unerträgliche Leichtigkeit in der Problemlösung: Anticheatingalgorithmen! Schon in den Nullerjahren wurden diese Programme in den Himmel gelobt und da man heute über viel mehr Daten verfügt und zudem ganz modern KI (Künstliche Intelligenz) zum Einsatz kommt, wurden sämtliche Zweifel, die es methodisch zwingend geben sollte, schnell über Bord geworfen. Unschuldsvermutung und Rechte der Beschuldigten werden mit einer unerträglichen Leichtigkeit ignoriert – und dass es bei so einer hohen Zahl an Beschuldigten eine zwar geringe Anzahl an „false positive“ geben müsste, wird mit dem Satz „Wer sich nichts zu Schulden kommen lässt, der braucht keine Strafe zu fürchten“ schnurstracks ignoriert, denn der Hass auf die Cheater vernebelt jegliche Objektivität und lässt Zweifel an der Leichtigkeit erst gar nicht aufkommen.

2020Leicht01

Die unerträgliche Leichtigkeit hat sich auch auf die Serverbetreiber übertragen – wurden früher Cheater mit martialischen Worten (Computerbetrug, Sportbetrug, usw.) zwangsgeoutet, was in wenigen Fällen zu juristischen Problemen für die Server führte, so hat man viel Kreide gefressen und viel mildere Worte gefunden: Schutzsperren, Disqualifikation in einem Turnier ohne weitere Konsequenzen und wenn es gar nicht anders geht, werden Accounts wegen Verstoß gegen die Allgemeinen Geschäfts- und Nutzungsbedingungen reklamtionsschonend geschlossen. Vorbei die Zeiten als man hasstriefende Artikel über die Abartigkeit der Cheater lesen musste, weil die Serverbetreiber rasch erkannt haben, dass zwar zu viele Cheater geschäftsschädigend sind, aber zu viele „false positives“ ein ebensolches rufschädigendes Potential haben. Aus gut informierten – aber nicht bestätigten – Quellen hört man rauschen, dass Serverbetreiber bei Reklamationen wegen Cheatings sehr unnachgiebig und auch sehr wortkarg reagieren, aber andererseits bei Einbringung einer Klage sofort den Vergleichsweg beschreiten und Verschwiegenheit vereinbaren, weil Urteile über die Anticheatingalgorithmen und die Rechtmäßigkeit der Eingriffe in die Endgeräte der User und deren Daten von unabhängiger Gerichten könnte die unerträgliche Leichtigkeit etwas trüben.

Am Ende bleiben die Verbände übrig, die bei diesem Thema ebenfalls die unerträgliche Leichtigkeit des Wegsehens praktizieren indem sie den Serverbetreibern ihre Blackbox Cheatererkennung einfach als Privatangelegenheit überlassen. Ist es im Sportbetrug (Doping) üblich, dass Methoden von den Verbänden geprüft und freigegeben werden müssen, bevor sie angewendet werden dürfen, so zeigen weder nationale noch internationale Verbände ein Schutzinteresse der unter ihrer Flagge spielenden Personen.

Die unerträgliche Leichtigkeit des Cheatings ist einfach zu bequem – und jeder findet seine Wohlfühlecke ohne Anstrengung … wir leben im Paradies – vergessen wir doch die paar Wenigen, die wirklich komplett unschuldig des Betrugs bezichtigt wurden und werden! Außerdem kennt ja nur der „false positive“ mit 100%iger Sicherheit sein Schicksal und zudem kann man die definitionsgemäße Unschuld eines „false positive“ in Zeiten von fake news und Verschwörungstheorien auch noch anzweifeln.

2020Leicht02

 

Das Schielen auf Elozahlen, nur der Gewinn zählt, usw … das wären die Punkte wo man gegen Cheating ansetzen müsste. Die Freude am Spiel, an der eigenen Leistung und auch die simple Erkenntnis, dass niemand eine Partie gewinnen kann ohne, dass ein anderer diese verliert, usw. würden der Schachwelt mehr helfen. Wäre diese Leichtigkeit wirklich unerträglich schwer zu erreichen?

Bereit für den ersten Zug
Freigegeben in Blog
Dienstag, 08 Oktober 2019 09:59

Bad Harzburg knipst das Handy aus

In diesem Jahr gehen die Bad Harzburger Schachtage in ihre 20.Edition. Grund genug für uns, um herzliche Glückwünsche in die Harzer Bergwelt zu entsenden und uns ebenso herzlich, wenn auch schachlich leider noch etwas indisponiert in das beachtliche Teilnehmerfeld zu mischen.

Vier Großmeister mindestens werden ab heute im Bündheimer Schloss ihre Figuren über die Bretter manövrieren, und wer von ihnen das am stilvollsten zu tun vermag, hat am Ende die Aussicht auf den eintausend Euro schweren ersten Preis.

Der aktuelle Titelverteidiger indes ist kein (noch kein) Großmeister - der Nordhorner Fabian Stotyn entschied den Wettbewerb in den vergangenen zwei Jahren für sich und wird auch 2019 wieder seinen Hut in den Ring werfen. Wir drücken die Daumen für einen veritablen Hattrick.

Anlässlich des schönen Jubiläums schauen wir in unserer Serie "Schatten der Vergangenheit" noch einmal zurück auf das Jahr 2012. Die älteren Schach-Semester unter unserer LeserInnen werden sich entsinnen - als weltweit vielleicht erstes Turnier bannte Bad Harzburg damals das Handy und untersagte nach allerlei Betrugsskandalen in Deutschland und umzu visionär und konsequent das Mitführen der kleinen Computer während der Partie.

(Tja, und seitdem ist meine ELO um viele Punkte gesunken ... - aber das hat vermutlich andere Gründe! Zum Glück besitze ich gar kein Smartphone, und wenn doch, dann habe ich es nicht dabei.)

 Wenn der Daumen im Mundwinkel wackelt (Süddeutsche Zeitung)

 

Schachwelt präsentiert: Schatten der Vergangenheit

Bad Harzburg knipst das Handy aus (2012)

Gestern begann das Bad Harzburger Open, und wie schon in den allermeisten Vorjahren kamen circa 150 Schachsportler aus nah (Bad Harzburg) und fern (Bremen, Russland) in den Nordharz, um an insgesamt fünf Tagen die stattliche Anzahl von acht Turnierpartien zu bewältigen.

Allerdings staunten sie nicht schlecht, als der Schiedsrichter Wolfgang Block gleich zur Eröffnung nicht nur auf die 30-minütige Karenzzeit hinwies, sondern auch – und Achtung! – auf das totale Verbot, Handys, Smartphones und andere elektronische Schach-Hilfsmittel im Turnierbereich bei sich zu führen. Das war beeindruckend - Bad Harzburg setzt damit Maßstäbe im globalen Turnierschach und wagt in Anwesenheit von DSB-Vizepräsident Michael Langer diese ziemlich radikale Innovation. (Oder kam vielleicht sogar die Initiative vom DSB?) So oder so - Glückwunsch zu einer sehr strikten und sehr klaren Regel!

windbeutel

Was mag das sein? Eine Harzer Spezialität!

Viel Zeit für touristische Umtriebe bleibt an den fünf Turniertagen nicht, außer man spielt im Seniorenturnier, in dem Doppelrunden fast völlig vermieden werden (sechs Runden an fünf Tagen). Wer aber Zeit hat, findet in der Nähe aparte Wanderwege, einen Stausee, viel Wald, zahlreiche Bergwerksmuseen, ein Luchsgehege und überall Cafés, in denen es riesengroße Windbeutel zu essen gibt – eine Harzer Spezialität, ohne Zweifel!
(Auch beim Open ist ein besonderer Pluspunkt das wunderbare Buffet, wo man mittags warm und nachmittags Kaffee und Kuchen zu fairen Preisen bekommen kann. Gäbe es Ilya Schneiders beliebte Stiftung Turniertest noch – das Harzburger Open müsste weit vorne landen!) -

bndheimer schloss

Hier wird gespielt - in der guten Stube der Stadt

Das Turnier im Bündheimer Schloss begann mit der traditionellen Auftaktrunde „Hohe DWZ“ gegen „Nicht ganz so hohe DWZ“. Wahrscheinlich haben viele aus der erstgenannten Gruppe den vollen Punkt nach Hause tragen können. Ich hätte das auch gerne getan, wurde aber (einmal mehr) zusammen gelost mit einem blutjungen Vertreter der Niedersächsischen Schachjugend – und was das bedeutet, werden die erfahrenen LeserInnen dieses Blogs schon erahnen.
Der ungefähr zehnjährige Daniel Alejandro Phunhon Lopez (von Hannover 96, DWZ/ELO um die 1700) spielte gegen mich in dieser ersten Runde ähnlich stark wie der junge Anatoly Karpov. Er machte lange Zeit keine Fehler, baute seine Figuren ordnungsgemäß gegen meinen Hippo-Aufbau auf und profierte schon bald davon, dass ich einen wohlmeinenden, aber zu frühen Versuch machte, die Stellung zu öffnen. Beide Seiten fummelten von da an ein wenig herum, und erst nach ein paar Ungenauigkeiten meines jungen Gegners meinte ich einen leichten Vorteil zu spüren:

phunhon-steffens

Wusel, wusel - Phunhon - Steffens, nach dem 31...Tf8xf3

Im Gegensatz zu Alejandro, der noch ungefähr zehn Minuten übrig hatte, war ich an dieser Stelle leider schon in schwerer Zeitnot - meine Uhr zeigte eine Minute an, hinzu kam zum Glück aber immer noch der Aufschlag von 30 Sekunden pro Zug. Alejandro, ein Kind des neuen Jahrtausends, spielte 32.Te1-e2, was ein sehr plausibler Zug ist und übrigens auch meinen Turm a2 angreift. Weil ich nur mit 32.Te1-f1 gerechnet hatte, sah ich das leider so schnell nicht und verbaselte kurzentschlossen einen ganzen Turm (!) mit dem originellen 32....Tf3-c3 !?
Es folgte 33.Dc4xa2, was ich mit dem optisch ansprechenden, aber leider völlig ungefährlichen Da5xb5 beantwortete:

phunhon-steffens1

Wenn man schon so weit gereist ist, kann man auch ohne Turm noch ein bisschen weiterkämpfen

Nach 34.Td7-d1 schnappte ich mir auf h3 einen Bauern, mit vagen Ideen auf den weißen Feldern 34...Tc3xh3.

phunhon-steffens2

Ich drückte schnell die Uhr, sah auf die Anzeige und merkte, dass ich noch neun Sekunden übrig hatte. Was war mit meinen dreißig Sekunden Zeitaufschlag? Schiri Wolfgang Block stand gerade in der Nähe, und ich machte ihn darauf aufmerksam, dass die Uhr den Aufschlag nicht dazugerechnet hätte: „Die Uhr zählt nicht hoch!“ Der Schiedsrichter, ganz neutrale Vertrauensperson, entgegnete nur kurz: "Es gibt keinen Zeit-Zuschlag.“
So ist der Modus in Bad Harzburg, und tja - da hätte ich mich mal vorher über die Bedenkzeitregelung informieren sollen! Gespielt wurden tatsächlich 40 Züge in den mittlerweile handelsüblichen 90 Minuten - allerdings ohne jeglichen Zuschlag. Und so blieben mir plötzlich noch 9 fette Sekunden für gerade mal 6 Züge in komplizierter Stellung mit Minusturm.

Ähnlich wie Falko Bindrich hätte ich mich nun auch beschweren können, dass mir niemand etwas gesagt hatte über die geltenden Bedenkzeiten (bzw. Handy-Regelungen für die Toilette, im Falle von Falko). Aber Falko und ich sind Profis, und so sagte ich nichts, amüsierte mich über die kuriose Wendung und versuchte, die noch ausstehenden sechs Züge bis zur Zeitkontrolle in den neun Sekunden zu schaffen….

Und tatsächlich gelang das – es wurde im 49.Zug noch Remis durch Dauerschach!

phunhon-steffens3
Hier geht Dh5+, und der weiße König kann sich nicht mehr sinnvoll verstecken

Goldene Regeln fürs Turnierschach:

1) Handys aus,  und auch nicht mit herumtragen (in Bad Harzburg!),

2) Über die Bedenkzeit informieren (vor der Partie)

3) Ab und zu mal zum Kuchenbuffet gehen

4) Vorsicht vor Daniel Alejandro Phunhon Lopez!

Es sollte klar sein, dass alle vier Regeln wichtig sind. (Besonders wichtig ist aber unbedingt auch Regel Nr.3!)

Heute wird das Turnier um zehn Uhr mit der zweiten Runde  fortgesetzt . Oder doch schon um neun Uhr? Ich schaue lieber noch einmal nach ...

IST expandiert
Freigegeben in Blog
Montag, 04 März 2019 23:27

IST expandiert

Es ist verdächtig ruhig geworden um das IST AUSTRIA (Institut für sinnlose Turniere), obwohl es doch zahlreiche Erfolge wie die Turnierserie ohne Teilnehmer und das Turnier mit Diskriminierungsverdacht nach EU-Recht, eine Damenbundesliga mit zwei Brettern, usw. gab.

Nun aber ist der Krennwurzn zu Ohren gekommen, dass das IST nach Deutschland expandieren möchte und die längst aus gut bekannten Gründen in den Nullerjahren verworfen Idee einer Internetmeisterschaft mit dem DSB neu „aufleben“ zu lassen. Das erscheint zwar sehr verwunderlich, da sich von den Argumenten gegen eine solche in den letzten Jahren nichts geändert hat.

Deutsche Internetmeisterschaft (Quelle DSB-Homepage)

Der Antrag wurde von den Delegierten angenommen. So wird es ab dem kommenden Jahr ein Pilotprojekt "Deutsche Internetmeisterschaft" mit Vorrunden und einer Endrunde geben. Teilnahmeberechtigt sind Spieler mit einer Spielberechtigung des Deutschen Schachbundes, also DSB-Mitglieder (Punkt A-4 der DSB-Turnierordnung). Alle Turniere werden mit Blitzschachbedenkzeit online auf dem Server von ChessBase ausgetragen. Voraussetzung dafür ist eine für das Onlinespiel gültige Seriennummer von ChessBase. Hier der Antrag im Original (ohne die Änderungen vom Hauptausschuss)

Antrag Deutsche Internetmeisterschaft

Möglicherweise wurde aber der Krennwurzn hier am Rosenmontag oder für den Faschingsdienstag hinterlistig das Konzept einer Büttenrede des Präsidenten des Deutschen Schachbundes zugespielt, denn so richtig ernst nehmen kann man dieses Vorhaben außerhalb der närrischen Hochzeit kein realitätsbezogener Schachfreund ?

Internetschach ist zwar eine wunderbare Sache und wenn man ganz ehrlich zu sich selbst ist, dann wird man gar nicht so oft betrogen wie man gerne annimmt, um die eigenen Nichtleistungen schönzureden. Schenkt man den veröffentlichten Zahlen Glauben, so bewegt man sich im Promillebereich und erreicht das erste volle Prozent eher nicht. Die Serveranbieter haben gar nicht so schlechte Cheatingerkennungssoftware am Laufen und einfache Betrugsversuche lassen sich leicht erkennen und stellen somit kein essentielles Problem dar – zudem sind Internetelopunkte wertloser als gebrauchte Zahnstocher. Betrug macht einfach keinen Sinn.

Anders sieht die Sache allerdings aus, wenn es um Titel und/oder Preisgeld geht. Dann kann die Sache schnell interessant werden und auch hier werden die Primitivbetrüger wohl rasch und zuverlässig aufgedeckt – da habe ich keine technischen Sorgen.

Nur könnte es da juristisch schnell mal gefährlich für den Veranstalter werden und mit gefährlich ist natürlich auch teuer gemeint. Die bisherigen Erfahrungen mit Sportbetrügern im Schach sind ja, dass wenn der Weg zur staatlichen Gerichtsbarkeit eingeschlagen wurde, die Verbände und Veranstalter meist nicht den gewünschten Erfolg erzielen konnten und beträchtliche Prozess- und Nebenkosten selbst tragen mussten. Das liegt daran, dass viele schachinterne Regelungen nicht den strengen Anforderungen unseres Rechtsstaates entsprechen und das so mancher „Beweis“ durch widerrechtliche Eingriffe zustande gekommen sein könnte, denn nicht alles was Server auf unseren privaten Rechnern abfragen könnten ist auch rechtlich erlaubt. Fensterwechsel, Taskwechsel, Prozessorlast, welche Tasks laufen, usw… da kommt man leicht vom erlaubten Weg in den Treibsand der Unrechtmäßigkeit ab.

Lässt man das einfach mal locker außer Acht, so gibt es auch sachliche Einwände, den Betrüger müssen ja nicht immer so doof vorgehen, dass sie leicht aufzudecken sind. Kein vernünftiger Schachspieler wird die volle Stockfishpower verwenden und dann hoffen sich wie Houdini einst aus den Fesseln des klar ersichtlichen Betrugs befreien zu können. Klar so kann das nicht funktionieren – aber die Vorgehensweise der Cheatingerkennung ist ja keine Geheimwissenschaft, sondern eine statistische Methode die uns irgendwann sagt: Vorsicht da wird es sehr, sehr unwahrscheinlich!

Und da landen wir beim ersten Problem: wir müssen diesen Zeitpunkt festlegen und laufen damit in die Probleme der systembezogenenen Unschärfe: Die Schlagworte sind hierfür false positive und false negativ! Da lauert eine Gefahr, die wir seit Werner Heisenberg auch aus einem anderen Fachgebiet kennen – es ist nicht alles gleichzeitig berechenbar – auch wenn wir uns das gerne vorgaukelt – vor allem im Computerzeitalter und wir auf „big data“ praktisch blind vertrauen wollen. Will ich auf keinen Fall jemanden des Betrugs beschuldigen, so rutschen mir methodenbedingt Betrüger durch die Maschen des Systems und will ich alle Betrüger überführen, dann werde ich viele Nichtbetrüger zu Unrecht beschuldigen. Das ist alles schon lange bekannt und daher möchte ich die Leser nicht mehr weiter damit langweilen.

Denn wir landen schon beim nächsten Problem: jene Betrüger die die Cheatingerkennungsfähigkeiten in ihre betrügerischen Absichten einkalkulieren, bieten sich sehr gute Chancen. Bei meiner Recherche bin ich im dunklen Teil des Internets auf eine interessante Seite diesbezüglich gestoßen, dort wird einem vereinfacht gesagt angeboten, dass man „gute, aber nicht zu gute Turniere“ mit dieser Software spielen kann. Wie sollte man das verstehen? Nun der Krennwurzn gelang im Frühjahr 2017 genau so ein Turnier durch blankes Glück:

2019IST 01

Unglaubliches Ergebnis der Krennwurzn

Also 1800er auf Startrang 30+ ein siebenründiges 20 Minuten Schnellschach OTB ungeschlagen zu überstehen, dass hätte ich mir niemals träumen lassen und doch ist es einmal mit viel Glück Wirklichkeit geworden. Fünf Punkte aus sieben Runden und nur einen Punkt hinter dem Turniersieg und das wirklich ohne unerlaubte Hilfsmittel – ich glaube es heute noch nicht wirklich. Nun in meinen Partien führte nicht eine illegale Software sondern reines Glück zum Erfolg – aber warum sollte eine Software dies nicht auch simulieren können? Jetzt kann man berechtigterweise fragen: wer wurde geschädigt, die Krennwurzn hat ja kein Preisgeld (es gab wohl keinen Kategoriepreis) und keinen Titel gewonnen. Das stimmt sehr wohl, aber der Gegner aus Runde 3 landete aufgrund der Zweitwertung punktegleich nur auf Rang 2. Das bedeutet im Umkehrschluss: potentiell unauffällige Betrüger könnten indirekt Einfluss auf das Endergebnis nehmen. Zumal sich ja mehr Betrüger in einem Feld verstecken können als Glückspilze. Sind das gute und faire Voraussetzungen für eine Meisterschaft?

Möchte die Krennwurzn Internetmeister werden, dann bräuchte sie natürlich massive Maschinenunterstützung und müsste damit ein zu hohes statistisches Entdeckungsrisiko auf sich nehmen. Also lassen wir das und lassen die mittelmäßigen Betrüger gute, aber nicht zu gute Turniere spielen und damit möglicherweise indirekten Einfluss auf den Ausgang nehmen und kommen wir zum Hauptproblem:

Möchte sich ein guter Spieler auf betrügerischer Weise einen Vorteil verschaffen, dann bräuchte dieser gar nicht so viel Unterstützung und wie sollte man diese dann erkennen und gerichtsfest nachweisen können? Ein sehr heißes Eisen – will das ein Verband wirklich angreifen?

Hätte beispielsweise Fabiano einen kleinen Mann im Ohr gehabt, der nur zweimal aktiv geworden wäre:

2019IST 02

Opps Kg6 Blunder Lh4 und Sg1 gewinnt

2019IST 03

 Dh5 +2

Und wahrscheinlich hätten wir einen neuen Weltmeister gehabt und niemand wäre auch nur auf die Idee gekommen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte. Welche Cheatingerkennungssoftware hätte dies aufdecken können? Keine wenn man ehrlich zu sich selbst ist, denn die maßgeblichen Parameter hätten sich nicht signifikant geändert.

Natürlich sind die Methoden zur Cheatererkennung besser geworden, aber die Vorstellung, dass man jeglichen Betrug aufdecken könnte ist genauso utopisch wie im anderen Spitzensport auch. Dort wird mehr Geld und mehr Wissen investiert und auch dort schaffen es die meisten Dopingsünder locker durch die Kontrollen – wie uns immer wieder gezeigt wird.

Logischerweise können sich Nonames nicht die Titel und die Preise abholen, aber Nonames können Einfluss auf das Endergebnis nehmen und die starken Spieler könnten sich so manche kleine Hilfe nehmen.

Dann sind wir bei der letzten Gefahr angelangt, die man auch nicht außen vorlassen sollte: falsche Betrugsbeschuldigungen! In erster Lesung betrifft diese Gefahr nur die Stars und die sind Risiko ja gewohnt und müssen damit leben, aber angenehm sind solche Anschuldigungen für niemanden. Und was ist eigentlich mit jenen Hobbyspielern die durch Cheatingerkennungssoftware und nach Expertenmeinung ungerechtfertigterweise als Betrüger öffentlich bloßstellt werden könnten? Wer hilft glaubt diesen dann, dass sie wirklich sauber gespielt haben und nur das Glück der Krennwurzn hatten?

IST so ein Turnier das Risiko wert?
IST ein Verband bereit diese Risiken für sich und seine Spieler einzugehen?
Oder IST das es doch nur ein Narrenscherz??

Betrugserkennung
Freigegeben in Blog
Freitag, 28 Januar 2011 11:34

Betrugserkennung

Gibt es so was im Schach und wie sollte das funktionieren, diese Frage stellen sich viele Schachfreunde. Natürlich ist dies machbar und Matthias Wüllenweber von ChessBase macht auch kein Geheimnis daraus, dass so eine Software entwickelt wurde und eingesetzt wird – schon 2003 wurde darauf in einem Artikel von Harald Fietz hingewiesen.

Ein weiterer guter Artikel zum Thema „Wie man beim Onlineschach bescheißt“ wurde von Lars Bremer veröffentlicht. Also die Möglichkeit mit statistischen Methoden Betrugsmuster zu erkennen gibt es, die theoretischen Grundlagen dazu liefert die „fraud detection“ - allgemeiner spricht man von Data mining Techniken.

Wo liegen dabei die Probleme? Ich probiere das nun populärwissenschaftlich zu erklären, die Fachleute mögen mir die dadurch entstehende Unschärfe bitte nachsehen. Es handelt sich dabei um komplexe statistische Methoden und diese liefern schon per Definition keine exakten Ergebnisse wie 1+1=2, sondern nur die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis wahr oder falsch ist.

Im Schach ist beispielsweise eine Aussage über eine Stellung in einem 6-Steiner Endspiel exakt. Eine Aussage über eine Eröffnungsstellung aber mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit versehen, obwohl auch für diese Stellung wie für die Endspielstellung gilt, dass sie nur gewonnen, verloren oder remis sein kann. Wenn die Krennwurzn sagt, dass diese Eröffnungsstellung für Weiß gewonnen ist, dann werden natürlich viele daran zweifeln – sagt dies aber Anand werden viele diese Einschätzung glauben und sind viele führende GMs ebenfalls dieser Meinung, dann wird es sehr wahrscheinlich, dass die Stellung gewonnen ist, und dennoch wissen wir es definitiv exakt nicht!

Eine Betrugserkennungssoftware kann nur die Wahrscheinlichkeit angeben, dass ein Betrug vorliegen könnte, das bedeutet aber auch, dass jemand eines Betruges bezichtigt werden könnte, der nicht betrogen hat (false positive) und ebenso dass Betrugsfälle nicht erkannt werden (false negative). Eine zweifelsfreie Erkennung gibt es schlicht und ergreifend nicht!

 

Man könnte sich das so vorstellen: es leuchten Alarmlamperl auf und auch wenn schon sehr viele leuchten und diese schon Flutlichtstärke erreichen, sollte man immer noch im Hinterkopf haben, dass ein „false positive“ möglich ist.

Aber: „When I see a bird that walks like a duck and swims like a duck and quacks like a duck, I call that bird a duck.“ – JAMES WHITCOMB RILEY

Aus diesem Spannungsfeld kann ich Sie nur mit den abgewandelten Worten eines unbedeutenden österreichischen Bundeskanzlers aber verkanntem Philosophen entlassen: Es ist alles sehr kompliziert!


Artikelserie:

  1. Betrugserkennung
  2. Betrugserkennung Wurznpraxis
  3. Betrugserkennung ökomomischer Blick
  4. Betrugserkennung Mythbusting
  5. Nutzen der Betrugserkennung