
Das ist eine Parodie!
Ich sag's gleich nochmal: das ist oder wird eine Parodie! Anfangs war als Titel "Hat er geschummelt?" vorgesehen, aber das scheint mir zu riskant. Im Internet gibt es ja Leute die kein Gefühl für Ironie, Sarkasmus oder Satire haben und vielleicht auch Leute die sich von einem Artikel nur den Titel und das Titelbild anschauen. Und dann behauptet jemand dass Thomas Richter behauptet dass er - der gerade als einer von momentan 359 die ACP-Petition unterschrieben hat - schummelt. Wen ich parodieren werde kann sich der Leser vielleicht schon denken, Chessbase schrieb ja zwischenzeitlich (am 18.Januar auf Deutsch) "während zum Beispiel ChessBase Autor Valeri Lilov die Partien Ivanovs in Zadar einer hochinteressanten, präzisen und aufschlussreichen Analyse unterzogen hat, die den Betrugsverdacht stützt, fällt Ivanov zu seinen überraschenden Siegen wenig Konkretes ein. Zweck dieses Artikels ist zu zeigen wie leicht und schnell man (für eine einzelne Partie) einen "konkreten Betrugsverdacht" erzeugen, konstruieren oder erfinden kann. Mit anderen Worten: Cheating-Paranoia ist mindestens genauso schlimm wie Cheating.
Letzten Donnerstag war ich in Wijk aan Zee, zufällig (ich wusste es nicht) am einzigen Tag an dem nur die Profis spielen während die paar hundert Amateure Pause haben - damit ist die Atmosphäre vor Ort irgendwie anders. Anfangs wollte ich dazu keinen Artikel schreiben (ich will mir ja nicht selber Konkurrenz machen) aber dann "fand" ich etwas dass ein bisschen zu meinem letzten Beitrag passen könnte. Bevor ich dazu komme, noch ein bisschen smalltalk im Stile meines Berichtes vor knapp einem Jahr (einer der ersten den ich hier schrieb). Die Spitzenpartie Anand-Carlsen konnte die Erwartungen (falls jemand ein Spektakel erwartet hatte) nicht erfüllen, einige andere Partien durchaus. Die Schach-Welt erfährt nun exklusiv was bei Anand-Carlsen wirklich los war: sie sassen gar nicht selbst am Brett sondern liessen sich vertreten!
Matocha a Boleslav za stolem sampionu.jpg
(nein ich kann kein Tschechisch, aber das ist der Titel des Bildes das Pavel Matocha mir auf Anfrage freundlicherweise schickte)
Quatsch, das sind natürlich zwei Witzbolde die sich um 13:03 (27 Minuten vor Rundenbeginn, da war sonst noch kaum jemand auf der Bühne) auf deren Stühle setzten und fotografiert wurden. Links Petr Boleslav - der war mir kein Begriff, aber Pavel Matocha schrieb mir dass sein Freund schon mal im Simultan gegen Anand gewann (wird unter anderem hier erwähnt, damals in Prag gewann Anand übrigens die anderen 25 Partien) und auch gegen Harikrishna. Pavel Matocha wurde - warum auch immer - noch öfter fotografiert. Er organisiert unter anderem die Matches "Snowdrops vs. Oldhands" und den "Chess Train" - letztes Jahr von Stefan Löffler hier erwähnt, dieses Jahr im Oktober gibt es das zum dritten Mal (Pavel bat mich dies zu erwähnen, mache ich doch gerne). Matocha durfte später den Gong schlagen zum Beginn der Runde, auch das wurde vorab x-mal simuliert und fotografiert. Nebenbei: bei der Internet-Suche nach (anderen) Bildern von Matocha fand ich unter anderem diese Seite mit ganz unten dem Foto einer Dame die später blond wurde und dann Weltmeisterin (ob das eine was mit dem anderen zu tun hat?).
Allmählich wurde es voller auf der Bühne, und einige Leute unterhielten sich über die Absperrung hinweg mit Leuten aus dem Publikum - in allen möglichen Sprachen: Schiedsrichter Anil Surrender (wohl) auf Schwedisch, Turov (da will ich wirklich nicht dass er sich nackt ausziehen muss) vermutlich auf Russisch, die beiden schon erwähnten und Movsesian auch in irgendeiner slawischen Sprache. Nur der russische Jungstar Daniil Dubov war nicht ansprechbar: 10-15 Minuten vor Partiebeginn setzte er sich ans Brett und verharrte da in voller Konzentrationspose - "soll ich d4 oder e4 spielen?". Später entschied er sich, wie in seinen anderen Weisspartien, für d4 und besiegte damit den etwas älteren Jan Timman.
Soweit ein paar kurze andere Eindrücke, kommen wir nun zur Partie Movsesian-Edouard. Da in der B-Gruppe wurde sie nicht auf den grossen Monitoren übertragen, aber über die Brüstung konnte ich sie doch ab und zu live verfolgen einschliesslich Körpersprache der Spieler. Auch wenn da alles mit rechten Dingen zuging (wovon ich absolut ausgehe - nochmals, das wird eine Parodie) ist sie durchaus bemerkenswert. Zeigen wir erst noch Movsesians Gegner:
Ebenfalls Stefan64-Wikipedia. Von diversen Fotos habe ich das ausgesucht das Olaf Steffens vielleicht am besten gefällt. In Wijk aan Zee erschienen beide Protagonisten aber nicht in deutscher Vereinskleidung, nur Arkadij Naiditsch (Hemd mit Aufschrift GRENKE).
Kommen wir nun zur Partie, bei den Houdini-Analysen beziehe ich mich der Einfachheit halber auf die Liveübertragung. Man könnte das vielleicht noch näher untersuchen, aber für meine Zwecke reicht es völlig aus.
Movsesian-Edouard, Wijk aan Zee B 2013
1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sd2 die ersten beiden Züge waren naheliegend, aber das würde ich NIE spielen, wer verstellt sich schon freiwillig seinen Lc1? Aber Movsesian konsultierte wohl heimlich eine Datenbank die diesen Zug als OK betrachtet. (Übrigens spiele ich selbst doch 3.Sd2 gegen Französisch weil mir die Varianten mit 3.Sc3 Lb4 nicht gefallen - ich mag zwar das Läuferpaar aber keine Doppelbauern. Das nur nebenbei, und diese Bemerkung in Klammern ist eine der wenigen nicht ironischen!). 3.-c5 4.Sgf3 wieder hat er Houdini befragt, sonst hätte er vielleicht 4.Sh3 gespielt denn eigentlich kann er kein Schach spielen. 4.-cxd4 5.exd5 Dxd5 6.Lc4 Houdinis erste Wahl! Noch verdächtiger wäre aber vielleicht wenn er hier den zweit- oder drittbesten Zug gespielt hätte, 6.a3 oder 6.h3 6.-Dd7 Einige kurze Bemerkungen zu einem Zug des Schwarzen: Das würde ich (nicht ironisch gemeint) nie spielen denn es verstellt den Lc8 (mal abgesehen davon dass ich diese Variante nicht spiele). Vielleicht kann Daniel Fridman, der das mehrfach spielte, erklären warum es genauso gut oder besser ist als 6.-Dd6 oder 6.-Dd6. Allerdings ist es ja egal wenn die Dame danach, wie in der Partie, nochmal nach c7 zieht. Andererseits: der Läufer auf c8 und damit auch der Turm auf a8 wurden in der Partie schwarze Sorgenkinder. 7.0-0 Sc6 8.Sb3 Sf6 9.De2 Hier hat die Verbindung gehapert denn das ist nicht in Houdinis top3, Weiss kann das aber verkraften. 9.-Ld6 10.Td1 Houdinis erste Wahl (hier kann Movsesian sich nicht mehr auf Datenbanken berufen denn ab 9.-Ld6 ist es offenbar theoretisches Neuland) 10.-0-0 11.Sbxd4 Sxd4 12. Txd4 Houdinis erste Wahl! 12.-De7 13.Se5 Sd5 14.Ld3 f5 15.Lc4 ein Mensch würde das nie spielen, da kommt der Läufer doch gerade her? Es ist aber Houdinis zweite Wahl (diesen Zug bewertet er mit 0.26, 15.Ld2 mit 0.27). Das kann Zufall sein, aber später wird deutlich wie raffiniert Movsesian betrügt. 15.-Sf6 16.Lg5 Houdinis erste Wahl! 16.-Dc7 17.Lxf6 Houdinis erste Wahl! 17.-gxf6 das gefällt Houdini nicht, aber Edouard konnte das während der Partie nicht wissen. 18.Sf3 Kh8 DIAGRAMM
Was nun kommt ist Kaffeehausschach (mein Eindruck während der Partie), aber auf Houdini ist Verlass: 19.Th4 Houdinis zweite Wahl, lieber will er 19.Tad1 Lc5 spielen und erst dann 20.Th4 19.-e5 20.Th5 wieder zweite Wahl, dachte Movsesian dass er nicht erwischt wird wenn die Partie nur im "Single-PV" Modus untersucht wird? 20.-e4 hier haperte die Houdini-Liveübertragung, den nächsten Zug musste er selbst finden. 21.Sh4 Te8 22.Th6 Houdinis zweite Wahl 22.-Lxh2+ 23.Kh1 Houdinis erste Wahl (nach 23.Kf1 hängt in manchen Varianten der weisse Lc4 mit Schach) 23.-Lf4 24.Dh5 mit grossem Vorsprung Houdinis erste Wahl 24.-Tg8 25.Sg6+ dito 25.-Txg6 26. Dxg6 dito, und hier gab Edouard auf.
Von Anfang bis Ende Houdini pur, wie konnte Movsesian sich so schnell extrem verbessern? Ende der 90er Jahre hat er noch im Travemünde-Blitz gegen mich verloren (nein das war sein Fast-Namensvetter Movsiszian und der war betrunken - Insider wissen Bescheid wie es dort zugehen kann - aber so genau wollen wir es nicht wissen). Wie gesagt, diese "Partieanalyse" war reine Parodie! Es kommen noch ein paar ernst gemeinte Bemerkungen, aber erst einmal die Partie zum durchklicken:
Hinterher analysierten oder diskutierten (Figuren wurden nicht bewegt) beide erst recht lange flüsternd auf der Bühne - Movsesian (wie wohl fast immer) gut gelaunt, und Edouard nahm es zumindest mit Fassung. Später habe ich zufällig mitbekommen wie sie sich ausserhalb des Gebäudes weiter unterhielten - da stellte sich (für mich) heraus dass eine Dame die die Partie ebenfalls aus dem Publikum verfolgte Movsesians Freundin ist. Hinterher zu Hause war ich neugierig und das Internet weiss alles (es wurde nur auf der deutschen Wikipedia-Seite erwähnt): sie heisst Julia Kochetkova und ist russisch-slowakische Frauengrossmeisterin; auch dieses Bild ist Stefan64-Wikipedia. Beide Spieler waren sich offenbar einig dass 22.-Lxh2+ der entscheidende Fehler war; Edouard meinte "ich hätte nicht gedacht dass ich ein einzügiges Matt übersehen kann" - roch er den Braten erst nach 26.Dxg6 ? Da war es natürlich zu spät. Am Ende verabschiedete sich Movsesian von seinem Gegner mit dem einen Wort "sorry" - heisst das dass er selbst nicht unbedingt an seinen Angriff glaubte und dachte dass er einfach Glück hatte? Dann kannte er Houdinis Meinung wohl doch nicht (der glaubte schon vorher an weissen Vorteil), davon gehe ich selbstverständlich aus.
Damit könnte sich die Frage stellen: für wen ist 100% Houdini ein Kompliment, und bei wem ist es verdächtig, auch wenn es keine anderen Verdachtsmomente gibt? Manuel Bosboom würde ich an einem guten Tag auch so eine Partie zutrauen (dann ist es vielleicht auch ein bisschen Glückssache dass die Partieanlage korrekt ist?), ab welchem Eloniveau (von oben nach unten gesehen) ist es quasi unmöglich?
P.S.: Falls Sergei Movsesian diesen Artikel selbst lesen sollte - schliesslich kann er offenbar neben Englisch, Russisch, Serbokroatisch, Tschechisch, Polnisch, Armenisch und Georgisch auf fliessend Deutsch - hoffe ich dass er ihn nicht falsch versteht. Nochmals, das war alles Satire - und Zufall dass ich seine Partie dafür auswählte.
Weiterlesen...