Gelfand: Der bessere Stratege
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Freitag, 27 Mai 2011 10:26

Nochmal Gelfand!

Was für eine Überraschung: der mit Abstand älteste Teilnehmer kommt durch! Wie war das noch mal mit der Kondition? Anscheinend sind bei einem Modus wie dem in Kazan angewandten dann doch andere Faktoren wichtiger wie Erfahrung in Zweikämpfen, die Nerven usw. Wir hätten nicht vergessen dürfen, dass Gelfand sich als Sieger des Weltcups 2009 für dieses Kandidatenfinale qualifiziert hatte. Und auch da wurde dieses Bäumchen-wechsel-dich-Spiel betrieben, bei dem einem alle paar Tage ein neuer Gegner gegenübersitzt. Auch da gab es Tiebreaks, ging zum Beispiel das Finale über 12 Partien und wurde im Blitz ausgefochten. Auch da bewies der Israeli schon eiserne Nerven und sicherlich waren ihm die damals gemachten Erfahrungen jetzt zunutze.
Nicht zuletzt waren auch schachliche Qualitäten gefragt. Und Gelfand konnte überzeugend seine ganze Vielfalt an schachlichem Können ausspielen. Er war an etlichen herausragenden Partien beteiligt, erfühlte die Dynamik, verteidigte heroisch, holte Rückstände auf. Keine Frage, sein Sieg war verdient und er ist ein würdiger Herausforderer, auch wenn andere Kandidaten den Werbewert eines Weltmeisterschaftskampfes erhöht hätten. Freuen wir uns mit Gelfand, dass er in einem Alter, in dem andere wie Kasparow schon in Schachrente gingen, einen Höhepunkt seiner Karriere erreicht und um die Krone des Weltmeisters spielen darf!
Ich will kurz an die Höhepunkte seines Schaffens in Kasan erinnern:
Ist Ihnen aufgefallen, wie oft er sein Bauernzentrum eindrucksvoll in Szene setzte? Schon im Viertelfinale gegen Mamedscharow gelang ihm eine phantastische Konterpartie:

Mamedscharow - Gelfand

Gelfand1

20. …Txc3! 21.bxc3 Dxc3 Sammelt einen zweiten Bauern für die Qualität ein und hindert den Weißen daran, noch mehr Figuren zum Angriff am Königsflügel heranzuziehen. Achten Sie auf die weiße Strategie: er schwenkte den Turm über die Horizontale zur h-Linie, was attraktiv aussieht, sich aber letztlich als nicht stichhaltig erweist. Genau so ließ sich Grischuk in der allerletzten Partie blenden. Der Übermut der Jugend? Das mag der abgeklärte „Oldie“ ins psychologische Kalkül gezogen haben.
22.Td4 a5 23.Td3 Dc6 24.c3 a4 25.Lc2 e5 26.Lg5 b4 27.Dh4 bxc3 28.Th3 Kg8 29.Te1 e4 30.g4 Kf8 31.Le3 Dc4 32.g5
Gelfand2
32. …Lxf5!! Hier sind die schwarzen Zentrumsbauern bereits weit vorgeeilt, Weiß setzt alles auf die h-Linie. Mit einem Figurenopfer macht Gelfand die gegnerischen Sturmbauern unschädlich.
33.gxf6 Lxf6 34.Dh5 Lg6 35.Dg4 Dxa2 36.Lb1 Dc4 37.Dg2 a3 38.La2 Dc6 39.Tg3 Tb8 0–1

Gelfand3   
Sechs Bauern für den Turm – eine Konstellation, die in die Schachgeschichte eingehen wird. Sehen Sie, wie sicher der schwarze König steht. Das Läuferpaar verleiht dem ganzen Stabilität.

Das Duell gegen Kamsky sah auch ein paar originelle Stellungsbilder. Hier ein Ausschnitt:

Kamsky - Gelfand

Gelfand4
 

Wieder das starke Zentrum, typisch für den offenen Sizilianer, den Gelfand kämpferisch wählte (nein, kein Remiswinseln mit „Russisch“ wie z.B. bei Kramnik!), doch diesmal hat Weiß das Läuferpaar und der schwarze König steht nicht unbedingt sicher. Mit viel Kunstfertigkeit hielt Gelfand diese Partie remis und den Wettkampf offen.
Dann der Tiefpunkt, ein Aussetzer in den Schnellpartien – und für Gelfand schien der Wettbewerb zu Ende zu sein:

Gelfand - Kamsky

Gelfand5
 

16.a3?? (nimmt der Dame das Fluchtfeld a3) 16. …c4! (das lässt sich Kamsky nicht entgehen) und Weiß verliert zumindest eine Figur – bei 17.dxc4 Sc5 ist die Dame weg und die Partiefortsetzung 17.Dxc4 Lxf3 war auch wenig besser.
Es drohte womöglich ein WM-Kampf Anand gegen Kamsky an, um Gottes Willen! Der Amerikaner hatte schon mal seine Chance, damals gegen Karpow. Sicher, von seinem Schlägervater hat er sich schon lange abgenabelt, aber dennoch… Gelfand musste mit Schwarz gewinnen, um im Match zu bleiben, wer hätte noch auf ihn gewettet. Ich drückte ihm die Daumen – und das Wunder geschah! Er gewann drei Partien in Folge! Und wie? Mit dem beeindruckenden Zentrum:

Kamsky - Gelfand

Gelfand6
23. …Sa5!! Das Motiv werden wir in der letzten Partie wieder finden: er nimmt eine Verdopplung der Randbauern in Kauf, dafür wird Weiß Probleme haben, das Zentrum zu halten. Etwas später, nachdem weiße Angriffsbemühungen auf der h-Linie abgeschlagen waren,  nahm die Überhand in diesem Bereich deutliche Konturen an:

Gelfand7
Gelfand gewann das Endspiel in sicherer Manier und beflügelt vom Sieg gleich noch die folgenden Blitzpartien.
Im Finale gegen Grischuk zeigte er großartige Fähigkeiten im Verteidigen schlechter Endspiele. Zweimal am Rande der Niederlage hielt er sich schadlos, mit einem Figurenopfer in der zweiten Partie sorgte er für die verrückteste Neuerung des Turniers.

Gelfand - Grischuk

Gelfand8

Bei 45.Txa4 Ke5 gerät Weiß in Mattgefahr, Gelfand fand die Abwicklung 45.e5+! Kxe5 46.Txc5+ Ld5 47.Txd5+! Kxd5 48.h6 und ertrotzte sich schließlich ein Turmendspiel, das punktgenau remis gehalten werden konnte. Wenn Sie zuhause beim Zuschauen Ihre Engine mitlaufen haben erkennen Sie schnell, dass viele Stellungen „remis“ sind. Aber Sie fühlen nicht, wie knapp dies letztlich ist, von wie viel Details es letztlich abhängt und wie schwer es für die Spieler zu erkennen ist, ob das resultierende Turmendspiel letztlich knapp remis oder verloren ist.
Sicher, es kam dann zwischendurch ziemliche Langeweile auf, aber man muss die Spieler auch verstehen. Was sie in den Tagen, Wochen zuvor an nervlichen Strapazen durchgemacht haben ist doch enorm.
Für gewisse Längen entschädigte uns die letzte Partie:

Gelfand - Grischuk

Gelfand9
Hier war ich überzeugt, dass Grischuk im Angriff gewinnen würde. Gelfand blieb cool mit 19.f4!, er erkannte, dass sein König sich notfalls selber helfen konnte und dass sich langfristig, wenn Grischuk den Läufer auf h4 geben würde, die lange Diagonale a1-h8 für ihn bemerkbar machen würde. Das Kernstück dazu war die spätere Durchsetzung von e3-e4, um die Lücken zu schließen und das Bauernzentrum mobil zu machen:

Gelfand10
23.Lb2! Und nicht 23.Lxd5, was zwar die Qualität gewinnt, aber völlig die weißen Felder vernachlässigt. Schwarz kann dann mit …De6 und notfalls …f5 dauerhaft verhindern, dass sich das weiße Zentrum mit e3-e4 in Bewegung setzt. Die Nachteile der weißen Struktur lassen sich nur durch ein bewegliches Zentrum im Verbund mit dem Läuferpaar kompensieren. Grischuk verlor dann den Faden, Zeitnot, und die Gelfandschen Träume reiften:

Gelfand11
 

Was für ein imposantes Zentrum! Wieder mal! Der schwarze Schwenkturm auf h5 verhungert dagegen. Gelfand erwies sich das ein oder andere Mal als der bessere Stratege. Gratuliere!
Remis?
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Montag, 16 Mai 2011 09:40

Der will doch nur blitzspielen

Das Kandidatenturnier bleibt spannend, aber sportlich unbefriedigend. Nach 14 von 16 Viertelfinalpartien endeten auch gleich sämtliche Halbfinalpartien remis. Die Remisquote ist damit auf über neunzig Prozent geklettert. Im Finale werden wir einen Spieler sehen, der noch keine reguläre Partie gewonnen hat sondern sein Weiterkommen den besseren Nerven im Schnell- oder Blitzschach verdankt.

Mir gruselt vor einem Sieger Grischtschuk. Wie schon gegen Aronjan bot er gegen Kramnik, wenn er einmal gut stand, remis. Kramnik hat (wie schon gegen Radschabow) mehr versucht und dabei auch riskiert, insbesondere in der vierten Partie, in der zwar allgemein Grischtschuks Verteidigungsleistung gelobt wird, der Pokerexperte aber zwei, drei (von Sergei Schipow in seinen ausgezeichneten Kommentaren angegebene) Chancen verpasste, selbst das Ruder zu übernehmen und aussichtsreich auf Gewinn zu spielen. Zwischen Kamsky und Gelfand war insgesamt mehr los, und in der dritten Partie ließen beide Gewinnchancen aus. Wenigstens sahen wir in keiner Halbfinalpartie bisher das Damengambit, in dem Jan Gustafsson schon "das neue Russisch" vermutet, also wie 1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 die 1.e4-Spieler frustriert das klassische Damengambit die 1.d4-Spieler peinigt. 

Die Stechen an diesem Montag ab 13 Uhr (zunächst vier 25-Minuten-Partien) werden sicher aufregend. Und vielleicht wäre es schlau, wie Olaf Teschke vorschlägt, das Stechen vor den regulären Partien auszutragen, damit einer halt weiß, dass er mehr riskieren muss. Aber, und da wiederhole ich mich, ein legitimer WM-Herausforderer wird in diesem Modus nicht ermittelt. 

Reschs Erbe
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Montag, 09 Mai 2011 21:02

Reschs Erbe

Ekelhaft. Einfach ekelhaft. Und traurig. Nach Topalow hat es beim Kandidatenturnier in Kasan mit Aronjan auch den Hauptfavoriten erwischt. Der Armenier spielte die erste Schnellpartie des Stechens mit Weiß wie ein Kind. In der zweiten kämpfte er sich mit Schwarz mit einer riskanten Eröffnungsanlage zurück ins Match, verlangte aber im vierten Spiel zu viel von seiner Stellung. Sein Bezwinger Grischtschuk ist aber nicht der größte Opportunist in Kasan. Sein Landsmann Kramnik hat ihn klar übertroffen. Nach vier regulären Remis gegen Radschabow war auch im Schnellschach das Gleichgewicht nie ernstlich gestört. Die erste Blitzpartie verlor Kramnik, die zweite war totremis, aber Kramnik zog so lange hin und her, bis Radschabow zwei Bauern einparkte und entnervt auch noch die nächste aus völlig akzeptabler Stellung heraus verlor.

Kramnik ist im Halbfinale Favorit gegen Grischtschuk und Gelfand ist es gegen Kamsky. Gegen den Amerikaner hält der Israeli ein Score von 8:2, wobei Kamskys letzter Sieg schon fast zwanzig (!) Jahre zurückliegt. Pikant ist, dass Kamskys wichtigster Helfer seit Jahren Gelfands Landsmann Emil Sutovsky ist.

Aber zurück zu meinem Ekel an diesem Reglement. Wir haben zwei Halbfinalisten, die keine reguläre Partie gewonnen haben, ja nicht einmal wirklich chancenreich gestanden sind. Vier Partien sind zu wenig für ein Match. Aber zwei Matchrunden über sechs und eine über acht Partien, sprich zwanzig reguläre Partien für die Finalisten ist wohl zu viel für ein Turnier. Ein doppelrundiges Achterturnier hätte die Gefahr von Schiebungen geborgen, aber Mauerschach wie von Kramnik und Radschabow hätten wir kaum gesehen. Hatten sich die Achterturniere um die WM 2005 und 2007 nicht bewährt und jeweils einen klaren Sieger produziert?
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Jusu1Warum haben wir überhaupt Zweikämpfe? Das war nur eine von mehreren Änderungen innerhalb des laufenden WM-Zyklus und geschah auf Wunsch von Kramnik-Intimus Josef Resch. Der deutsch-russische Geschäftsmann, der 2008 die WM Anand - Kramnik in Bonn auf die Beine gestellt hatte, wurde von der FIDE Anfang 2009 zunächst als Ausrichter des Kandidatenturniers und der WM bestätigt, sah sich dann aber in den weiteren Verhandlungen immer neuen Forderungen der Funktionäre ausgesetzt und zog sich zurück. Die Zweikämpfe aber blieben.

Verdammt, warum spielt Carlsen nicht? Wollte er nicht zumindest eine Debatte über den WM-Modus und die Privilegierung des Weltmeisters anschieben? Debattiert wurde fast nur, welche ungenannten Gründe hinter seiner Absage steckten. 

Vielleicht erneuert Resch ja sein Angebot, wenn Kramnik durchkommt. Das Schlimme ist, dass man ihn sich im Interesse einer ergebnisoffenen WM nächstes Jahr als Sieger wünschen kann, die anderen drei haben nämlich alle keine Chance gegen Anand. Man stelle sich vor, Radschabow hätte im Blitz die Nerven behalten. Beamt mich ins Jahr 2013, bitte. 

Toll ist anders
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Montag, 09 Mai 2011 02:28

Toll ist anders

Das Kandidatenturnier ist nicht der erhoffte Knüller. 14 von 16 Partien endeten remis. Dass und wie Gelfand Mamedscharow rausgeballert hat, nämlich unter Verzicht auf Russisch und Einsatz des Najdorf-Sizilianers, ist noch die beste Nachricht. Topalow - Kamski war das Match mit den interessantesten Partien, und der Bulgare hätte für sein risikofreudiges Spiel mit beiden Farben ein Stechen verdient gehabt. Ich hoffe, dass Grischtschuk am Montag auch nach Hause geschickt wird. So gut wie in der vierten Partie stand er das ganze Match nicht - und bot unmittelbar remis an. Verständlich, dass Aronjan annahm. Er wäre der interessanteste WM-Gegner für Anand. Schon deshalb muss er weiterkommen. Aber auch, weil er in dem Match alle Akzente setzte und Grischtschuk in der ersten Partie ausgelassen hat. Eine große Enttäuschung ist Kramnik - Radschabow. Beide riskierten rein gar nichts. Vor allem Radschabow ist anzumerken, dass er sein Glück im Schnellschach sucht. Da hat Kramnik zuletzt in Monaco gar nicht überzeugt.  

Seirawan bei seiner letzten US-Meisterschaft 2003
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Donnerstag, 14 April 2011 09:11

Comeback mit 51

Einer der aktivsten Schachklubs der Welt ist in einer Stadt zuhause, die man noch vor kurzem nicht mit Schach in Verbindung gebracht hätte, nämlich St. Louis. Dort beginnt am Freitag die US-Meisterschaft. Nicht nur die Dotierung ist mit 166 000 Dollar, etwa 115 000 Euro, nicht übel, sondern auch das System: Dabei sind 16 Spieler mit einem Eloschnitt von 2579, aufgeteilt in zwei Achtergruppen, die jeder gegen jeden spielen, bevor die beiden Ersten ins Halbfinale aufrücken. Damit ist am Ende sowohl für Spannung gesorgt als auch für einen eindeutigen Sieger. Das ganze ist attraktiv genug, um Yasser Seirawan, der sich vor acht Jahren in Amsterdam als Spieler zur Ruhe gesetzt und seitdem noch gelegentlich als Kommentator auftritt und praktisch nur noch einzelne Mannschaftskämpfe in der niederländischen Liga bestritten hat, zu einem Comeback zu locken. Und Yasser ist wohl ein Geheimtip für den Sieg. Nicht nur, weil es eine schöne Geschichte wäre. Er versteht Schach einfach sehr gut, ist eröffnungstechnisch weniger ausrechenbar, und Elofavorit Gata Kamsky spielt kurz danach die Kandidatenkämpfe. Die klare Nummer eins der USA Hikaru Nakamura wohnt zwar neuerdings selbst in St. Louis. Er hat aber inzwischen höhere Ziele ("Nak, Nak, Naking on Heaven´s Door!") und, wer weiß, vielleicht ein Engagement als Sekundant in der WM-Ausscheidung.