
Russland hat doch Talente
Das Aeroflot-Open, dem nachgesagt wird, dass es das stärkste der Welt ist aber wegen einiger Wechsel an der Spitze des Sponsors zum letzten Mal stattgefunden haben könnte, hat einige junge Russen (und den 16jährigen Chinesen Yu Yangqi, der Platz vier teilt) ins Gespräch gebracht. Ich meine nicht Witjugow und Tomaschewski, die am Ende mit dem das ganze Turnier über führenden Le Quang gleichauf zogen (das Ticket für Dortmund geht aber wohl wieder an den Vietnamesen) sondern drei jüngere Spieler, die alle GM-Normen erzielten: Danil Dubow, Jahrgang 1996, Wladimir Fedosejew und Iwan Bukawschin, beide Jahrgang 1995 (den letztgenannten Namen traf ich kürzlich schon einmal an. Bukawschin war nämlich 2006 U12-Europameister und ließ damals unter anderem den ein Jahr älteren Anish Giri hinter sich). Ihre Aeroflot-Resultate sind doch recht ordentliche Leistungen für 15jährige in einem harten Turnier, das Wesley So, Wijk aan Zee-C-Gruppensieger Daniele Vocaturo oder auch unseren Deutschen Meister Niclas Huschenbeth klar überforderten. Nehmen wir noch den 18jährigen Sjugirow, die beiden 20jährigen Jan Nepomnjaschtschi und U20-Weltmeister Dimitri Andreikin sowie den ukrainischen Zugang Sergei Karjakin dazu, sieht es doch gar nicht schlecht aus mit dem Nachwuchs in der zuletzt nur noch nominell führenden Schachnation. Vielleicht ist Garri Kasparows Ausblick zum Schach in Russland, es fehle an Leidenschaft und dass nur Geld und Macht und nicht die Förderung von Talenten zähle, doch zu düster.
2010 im Schnelldurchlauf
Los ging es mit der Mannschafts-WM im türkischen Bursa und einem Favoritensieg Russlands. Überraschend holten die USA mit dem überragenden Nakamura und Indien, obwohl ohne Anand, die Medaillen vor den höher eingeschätzten Team aus Aserbaidschan und Armenien. Den besten Start des Jahres erwischte Alexei Schirow in Wijk aan Zee mit fünf Siegen en suite. Am Ende wurde er dann doch noch überholt von dem trotz seiner erst 19 Jahre seit 1.Januar Führenden der Weltrangliste Magnus Carlsen. Die B-Gruppe wurde eine Beute des nächsten Carlsen, des 15jährigen Anish Giri.
Weltmeister Anand riss sich in Wijk aan Zee bei seinem letzten Test vor seinem Titelkampf kein Bein aus und holte seine üblichen plus zwei. Anders einen Monat später Wesselin Topalow: Mit unberechenbarem, hoch riskantem Schach gewann der Herausforderer in Linares, wo allerdings weder Carlsen, Anand noch Kramnik am Start war. Das wahrscheinlich stärkste Open des Jahres gewann der 18jährige Vietname Le Quang Liem. Während die Nationalspieler bei der EM in Rijeka unter ferner liefen mit ansahen, wie der 19jährige Jan Nepomnjaschtschi als Nummer 35 der Setzliste Europameister wurde, holte sich ein anderer Junior, der 18jährige Hamburger Schüler Nicolas Huschenbeth den deutschen Titel.
Korruption ist im Weltschach sonst eher auf Funktionärsebene ein Problem. Hoffnungen auf Veränderung nährte die Kandidatur von Anatoli Karpow um die FIDE-Präsidentschaft mit maßgeblicher Unterstützung von Garri Kasparow und dessen Draht zu Financiers im Westen. Das Turnier im rumänischen Bazna mauserte sich zum Elitewettbewerb. Der Sieger hieß einmal mehr Carlsen. Derweil eskalierte ein seit längerem schwelender Streit zwischen den Nationalspielern und dem Deutschen Schachbund um Honorare und die Bedingungen für Profis in Deutschland. Dazu gehört etwa auch, dass in Dortmund nur Naiditsch willkommen ist (das unzureichend gemanagte Turnier gewann heuer Ponomarjow) und in Mainz, dem Treffpunkt des Schachs in Deutschland, aufgrund der Wirtschaftskrise das Programm auf zweieinhalb Tage eingedampft werden musste.
Bei der Schacholympiade holte dann eine Ersatzauswahl mit Platz 64 das mit Abstand schlechteste deutsche Ergebnis. Im sibirischen Chanti-Mansisk enttäuschte auch Gastgeber Russland und musste Gold den leidenschaftlicheren, von einem entfesselten Wassili Iwantschuk angeführten Ukrainern überlassen. Dafür dominierten die Russinnen den Frauenwettbewerb. Bei der FIDE-Wahl unterlag Karpow mit praktisch der selben Marge wie vier Jahre zuvor Bessel Kok gegen Kirsan Iljumschinow, dessen Hintermänner seit 1995 in die eigenen Taschen wirtschaftend das Chaos verwalten.
Kurz danach schockte der Norweger, dessen WM-Sieg für viele nur eine Frage der Zeit ist, mit dem Rücktritt aus dem im Frühjahr anstehenden Kandidatenturnier. Keinen klaren Sieger gab es in Moskau. Aronjan (der anschließend die Blitz-WM gewann), Mamedscharow und Karjakin teilten am Ende Platz eins. Das wäre nach der üblichen Wertung auch in London der Fall gewesen. Weil ein Sieg dort aber drei Punkte wert war, wurde Carlsen vor McShane und Anand zum Sieger erklärt. Zwischendurch setzte Marc Lang, FIDE-Meister aus Günzburg, mit einem Blindsimultan gegen 35 Gegner das deutsche Schachhighlight des Jahres. Die Frauen-WM im türkischen Antakya wurde von den Chinesinnen dominiert. Den Titel holte sich die 16jährige Hou Yifan, so dass sie sich künftig wohl öfter mit Männern messen darf.
Russischer Meister wurde nach einem Stichkampf, in dem es nur Remisen gab, und obwohl er zuvor im regulären Vergleich gegen den gleichaltrigen Karjakin unterlegen war, der mittlerweile 20jährige Nepomnjaschtschi. An die Weltranglistenspitze kehrt aber, nachdem zwischenzeitlich Anand vorne war, Carlsen (ebenfalls 20) zurück.

Was halten wir von Neppi?
Das letzte bedeutende Turnier des Jahres, die leider an unausgekämpften Remis nicht arme Russische Meisterschaft, ist zu Ende. Jan Nepomnjaschtschi ist der neue Champion. Gewonnen hat der 20jährige nach dem denkbar knappsten Kriterium. Nach der elften Runde punktgleich mit dem gleichaltrigen Neurussen Sergei Karjakin mussten die beiden gleich anschließend einen Stichkampf bestreiten. Nach zwei Partien stand es unentschieden. Dann folgte bereits die so genannte Armaggedon-Partie, in der Weiß eine Minute mehr Bedenkzeit aber Gewinnzwang hatte. Karjakin eroberte bereits in der Eröffnung die Qualität, doch Nepomnjaschtschi blieb zäh und rettete sich am Ende mit Läufer gegen Turm in die richtige Ecke der entgegengesetzten Läuferfarbe. Dass man einen Stichkampf gewinnen kann, ohne eine Partie zu gewinnen, scheint mir nicht richtig. Nepomnjaschtschi sei der Titel dennoch gegönnt. Den lange führenden Peter Swidler verdrängte er drei Runden vor Schluss durch ein bemerkenswertes Figurenopfer im Endspiel an der Spitze. Bei der Schacholympiade war er nach Karjakin bester Russe, war allerdings (wohl letztmals) im zweiten Team aufgestellt. Voriges Jahr war Nepomnjaschtschi ob seiner damaligen Elozahl überraschend Europameister geworden und hatte außerdem das Aeroflot-Open gewonnen. Nun ist er in die Top 20 aufgerückt, und niemand wundert sich mehr. Die Frage ist nur, wie sollen wir ihn nennen? Neppi? Bessere Vorschläge sind willkommen.
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