Schachspiel, Rom, 3.Jh. nach Christi
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Donnerstag, 12 Mai 2011 15:24

Anleitung zum Aufgestiegensein

Das Ende der Spielzeit 2010/2011 ist erreicht. Baden-Baden wurde verdienter Deutscher Meister, und in den Ligen darunter schicken sich nun Mannschaften an, den Sprung in die nächsthöhere Spielklasse zu wagen.


Der Kölner Sportpsychologe Paul Schachlawick hat 76 Aufstiegsmannschaften der letzten Saison interviewt. Exklusiv für die Schach-Welt hat er diese Interviews ausgewertet und gibt in unserem Blog ungefragt gute Ratschläge, wie man den ersehnten Aufstieg wenn auch nicht mehr in dieser, so doch spätestens in der kommenden Saison sicherstellen kann.



 

 

 

Anleitung zum Aufgestiegensein

Von Dr. Paul Schachlawick, Köln

Meine lieben Freunde,

immer wieder suchen mich in meiner sportpsychologischen Praxis unglückliche Menschen auf, die sich auf der Suche befinden nach höheren Werten – genaugenommen, auf der Suche nach höheren ELO-und DWZ-Werten. Diese Menschen sind auf eine spezielle Art unzufrieden und suchen den gesellschaftlichen Aufstieg - am besten in eine höhere Spielklasse, sei es in die Schach-Bundesliga, die gute alte Verbandsliga Nord oder auch die Oberliga Nord-West.
Ich möchte darum auf dieser von Jörg Hickl freundlicherweise zur Verfügung gestellten Seite meine Erfahrungen zusammenfassen, die ich in dieser Saison aus den therapeutischen Gesprächen mit 76 Aufstiegsmannschaften verschiedener bundesdeutscher Schach-Ligen gewonnen habe (... denn mit wem könnte man solche therapeutischen Gespräche besser führen als mit Schachspielern?).

Die neun goldenen Regeln für das Aufgestiegensein:

1) Baue eine gute Mannschaft zusammen (--> Ratings). Sind auch Titelträger dabei, hat es eine wohltuende Wirkung für das Team (->  SK Norderstedt, Oberliga Nord-Nord, --> SK Hockenheim, 2.Bundesliga Süd) und wirkt auf gegnerische Spieler eher beunruhigend. Dies ist ein Pluspunkt. Und selbst wenn eine gut aufgestellte Mannschaft dann manchmal gar nicht gut spielt, werden die gegnerischen Teams immer irgendwie eingeschüchtert sein von den hohen --> Ratings und alleine dadurch manchmal mit einem Remis oder einer Niederlage zufrieden sein.


2) Plane gut! Die Mannschaft muss früh wissen, wer an welchem Brett spielt – das zeichnet den guten Mannschaftsführer aus. Auch die Anreise zu Spitzenspielen soll gut geplant sein – es hilft, wenn man (rechtzeitig) weiß, dass sich das Spiellokal geändert hat!


3) Plane nicht! Denke nicht an den Aufstieg, bis er perfekt ist. Bis dahin gewinne alle Spiele und freue Dich daran. Die Liga, in der man gerade beheimatet ist, will respektiert werden – wenn man sie nur als Durchgangsstation zur höheren Spielklasse wahrnimmt, wird das nichts. (Mir ist klar, dass das jetzt etwas esoterisch klingt.).


4) Hoffe auf Ausrutscher der anderen Mannschaften - so gut sie auch aufgestellt sein mögen. Wenn sie ausrutschen, waren sie vielleicht doch gar nicht so gut. Oder sie hatten einfach Pech, als sie verloren, und auch das ist dann sehr bitter. Aber immerhin: es macht für den späteren Aufsteiger den Weg frei für den ersten Platz. (--> Uni TU Dresden, Zweite Bundesliga Ost).


5) Sorge für wohlschmeckenden Kaffee im Spiellokal! Ohne Kaffee keine Schachkultur, das war schließlich auch früher schon so. Und wie soll man einen Mannschaftskampf gewinnen, wenn es zum Kaffee keine Milch und keinen Zucker gibt? Es darf auch gerne etwas kosten – solange es ein Freundschaftspreis ist. In der Zweiten Bundesliga Nord lief beim Spiel Werder II gegen den Hamburger SK in diesem Jahr der Filter der Kaffeemaschine über, und im Kaffee schwamm dadurch eigentümlich viel Pulver, was nicht zuletzt den Hamburger IM Stefan Sievers sehr irritiert hat. Beide Mannschaften hatten dadurch letztlich mit dem Aufstieg nichts zu tun. (Glückwunsch an den --> SK König Tegel!)


6) Gewinne viele Spiele, auch gerne glücklich. Manche Mannschaftskämpfe sehen zwischendurch einfach gar nicht gut aus. Trotzdem weiterspielen! Mitunter passiert noch etwas, und dann gewinnt man mit 7,5:0,5 höher und unverdienter als erwartet. Die gegnerische Mannschaft wird das gerne akzeptieren – wer gewinnt, hat schließlich immer recht, irgendwie.


7) Habe Glück in den kritischen Phasen. Am vorletzten Spieltag beim direkten Aufstiegskonkurrenten zu spielen ist so eine Situation. Wenn der Gegner ein stark aufgestelltes Team ist, in der viele Spieler mit russischen Vornamen ans Brett gehen - da kann man schon mal wackeln als Mannschaft. Es zeugt von Stärke (--> Ratings), wenn der Kampf dennoch nicht verloren wird, und es deprimiert die Konkurrenz.


8) Verliere erst Partien, wenn der Aufstieg sowieso fast schon feststeht. Der letzte Spieltag ist dafür eine gute Möglichkeit. Da kann man dann auch mal 2,5:5,5 spielen, ohne dass es ganz schlimm ist. Trotzdem weiterfreuen! (--> Hansa Dortmund, Zweite Bundesliga West)


9) Gehe essen nach dem Spiel – das stärkt den Mannschaftsgeist und macht einfach auch Spaß. Für jüngere SpielerInnen scheinen zu diesem Behufe amerikanische Schnellimbissketten völlig ausreichend zu sein. Für alle anderen haben sich heimelige Kneipen im Umfeld des Spiellokals bewährt. Oft passt es auch im eigenen Vereinsheim (falls vorhanden) - hier dann sollte man das Omelett bestellen bei der netten Bedienung! Beim gemeinsamen Essen kann man Partien analysieren, wenn einer der Spieler ein Brett dabei hat. Wer nicht analysieren will, kann ja immer noch Fußball gucken.

Ich hoffe, dass ich Ihnen, liebe Schachsportlerinnen und Schachsportler, mit diesen Neun Punkten zur Psychologie des Aufstiegs hilfreiche Anregungen für Ihre nächste Saison geben konnte.

(Im nächsten Jahr werde ich mit denselben 76 Mannschaften noch einmal sprechen und meine schachtherapeutischen Forschungen dann auf den Bereich „Klassenerhalt und Abstiegsdepression“ konzentrieren.)