Am Strand von Scheveningen
Freigegeben in Blog
Sonntag, 26 Juni 2011 17:33

Sag mal: Scheveningen!

Unter Niederländern gilt es als ultimativer Test, um herauszufinden, ob sie es wirklich mit einem Landsmann zu tun haben: Zeg eens Scheveningen! Mal sehen, ob der andere den Namen des an der Nordsee gelegenen Haager Nobelvororts richtig aussprechen kann. Nämlich mit einem s und einem ch am Anfang. Zur Übung schreibe ich das jetzt auch so.
 
Beim S-cheveninger System denken wir Schachspieler heute meist an Sizilianisch. Dass es auch einen S-cheveninger Turniermodus gibt, weiß längst nicht jeder. Dabei spielen in einem Mannschaftskampf alle Spieler einer Mannschaft je eine Partie gegen alle Spieler der anderen Mannschaft. Leider wird das selten praktiziert. Dabei sehe ich zwei schöne Anwendungsmöglichkeiten:
 
Warum werden Verbands- und Betriebsligakämpfe eigentlich nur als lange Partien angeboten? Gar nicht wenige Partien kommen nicht zustande, weil einer fehlt (oder einer sein Handy abzuschalten vergessen hat). Oder die Partie ist durch einen groben Schnitzer ohne echten Kampf entschieden. Oder man trifft Saison für Saison auf mehr oder weniger die gleichen Gegner. Oft harrt man aus, bis alle fertig sind, um zusammen zu essen, Karten zu spielen oder heimzufahren. Ein guter, oft der beste Teil vom Tag geht dafür drauf, und es hat sich vom Schachlichen absolut nicht gelohnt. Ich würde eine Hobbyliga im Schnellschachmodus und nach S-cheveninger System austragen. Ich bin sicher, dass viele lieber vier oder sechs Schnellpartien gegen verschiedene Gegner spielen als nur eine lange. Und innerhalb der Mannschaft gäbe es auch keinen Streit um die Hackordnung.  
 
Sehr gut passt das S-cheveninger System meines Erachtens für Einladungsturniere, die aufstrebenden Spielern Normchancen bieten. Oft spielen Freundesgruppen mit, und die Partien gegeneinander sind mitunter schnell remis oder eine Farce. Und wenn nach einem schlechten Start die Normchance weg ist, fehlt es in den letzten Runden an Motivation. Allerdings hört man in der FIDE-Normkommission nicht gerne vom S-cheveninger System, weil es zu ungleichen und damit fragwürdigen Wettbewerben kam. Zum Beispiel gab es Wettkämpfen zwischen elolosen und elogewerteten Spielern, in denen letzterer Seite offenbar der sportliche Anreiz fehlte. Oder Wettkämpfe zwischen einem Team GM-Normhungriger IMs und einem Team, das aus Großmeistern und auf IM-Normen schielenden Spielern gemischt ist.
 
Ich würde es anders anlegen. Nämlich Dreier- oder Viererteams einladen, die dann mehrere Runden kurzer Wettkämpfe nach S-cheveninger System spielen. Ideal scheint mir mit Viertelfinale, Halbfinale und Finale mit Platzierungskämpfen. So wird aus einem Normturnier ein spannender Teamwettbewerb. Ich habe den Vorsitzenden der Normkommission Mikko Markkula gefragt, ob der Modus für Normen taugt. Zu meiner Überraschung wusste er nicht, ob der Modus so je angewandt wurde und meinte, ein solches Turnier sollte man mal ausprobieren.
 
Am 3. bis 11. August biete ich in Wien Gelegenheit dazu. Interessierte Dreierteams mit jeweils (mindestens) einem IM werden noch gesucht. Preiswerte Unterkünfte vermittle ich, und man kann anschließend ab 13.August auch das Wiener Open (im herrlichen Festsaal des Rathauses) spielen. Interessenten bitte ich um Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder Anruf unter               0043 650 2189098       . Ich arbeite daran, dass wir zumindest einige Runden am Strand von Wien spielen. 
Anish Giri (14) vor dem nächsten Punktgewinn
Freigegeben in Blog
Freitag, 18 Februar 2011 01:59

Mein Beitrag zur Schachgeschichte

Noch nicht lange her, da waren Anish Giri und ich im schönen holländischen Städtchen Delft. Im Januar 2009 fand dort kurz nach dem Jahreswechsel und bei Schnee und Eis ein intensives Schachopen statt – mit einer Partie am Freitag abend, drei Runden (!) am Samstag und zwei weiteren am Sonntag.

Delft mag trotz des Delfter Porzellans auf Anhieb nicht so bekannt sein wie Den Haag, das mit seinen Hochhäusern und dem Internationalen Strafgerichtshof gleich um die Ecke liegt, und wie das rauhe Örtchen Scheveningen, Schachspielern weltweit vertraut durch ein besonderes Abspiel in der Sizilianischen Eröffnung.

Dort in Scheveningen findet man einen gewaltigen wunderschönen Strand, tolle alte Hotels, heißen Grog, und wenn man sich dann noch beeilt und so wie ich im Dunklen nicht auch noch verfährt, kommt man gerade noch rechtzeitig wieder zurück zur ersten Runde des Delfter Opens.

Im Teilnehmerfeld tummelten sich neben dem späteren Sieger GM Dimitri Reinderman und Erik van den Doel auch der schon damals sehr junge Anish Giri. Mit 14 Jahren hatte er Anfang 2009 gerade ein Super-Turnier in Wijk und durch einen Sieg in der C-Gruppe seine dritte GM-Norm erspielt. Was ihm zum Titel „Jüngster Großmeister der Welt“ noch fehlte, waren nur noch ein paar Elo-Punkte zum Überspringen der 2500er-Schallmauer.
Was lag da näher, als gleich nach Wijk das nächste Turnier in Delft zu spielen? Und wie es das Schicksal so wollte, wurde er dort schon bald gegen mich gelost. Ich verlor bitterlich – aber durch die ELO-Punkte, die Anish (auf dem Open und) in dieser Partie gewann, machte er seine GM-Norm perfekt! Wenn ich also auch sonst schachlich nicht mehr viel Besonderes in meinem Leben zustande bringen sollte – mir bleibt als Trost, dass Anish Giri durch die ELO-Punkte, die er mir abnahm, zum jüngsten Großmeister der Welt wurde. Das möge er sein, mein kleiner Beitrag zur Schachgeschichte.

Hier die Partie kostenfrei zum Nachspielen:

Zugegeben - keine SEHR lange Partie gegen den sympathischen Holländer!, aber - auch Magnus Carlsen hat ja in einer späteren Partie gegen Giri (Wijk 2011)  in ungefähr genau so vielen Zügen aufgeben müssen (immerhin noch ein kleiner Trost im Nachhinein).

Anish Giri konnte seinen Titel „Jüngster Großmeister der Welt“ nicht auf Dauer verteidigen. Im Oktober 2009 war es der US-Amerikaner Ray Robson, der ihm nach knapp 8 Monaten den Titel abluchsen konnte.
Giri dagegen, dessen Eltern aus Nepal und Russland stammen, schickt sich als mittlerweile 16-jähriger an, in der Holländischen Nationalmannschaft, beim SK Emsdetten in der Bundesliga und bei der diesjährigen Ausgabe von Wijk a Zee weiter internationale Erfahrung zu sammeln (aktuelle ELO: 2686 im Januar 2011).
Was er dabei so erlebt, dokumentiert er auf seiner spektakulär fünfsprachigen (!) Homepage anishgiri.nl/ auf Holländisch, Japanisch, Nepalesisch, Russisch und Englisch. (Danke an Dennis Monokroussos für den Hinweis in seinem Blog thechessmind !)

Schauen wir also mal, was wir von dem jungen Holländer noch so hören werden!

PS Bevor ich es vergesse – den Schlusszug in der oben gezeigten Partie spielte Giri mit dem eleganten, vorgroßmeisterlichen 23.Te7-e8+ . Ich gab sofort auf, denn nach dem folgenden Turmabtausch auf e8 oder f8 hängt meine Dame auf h3!

Noch ein PS Haben die ehrbaren Schachwelt-Leser ähnlich historische Erlebnisse mit den Großen des Schachzoos? Schreibt doch mal - vielleicht können wir hier eine kleine Sammlung für Off-topic-Schachgeschichte starten.