
Shogi - das bessere Schach?
Hier übergebe ich nun an Oliver Orschiedt, der in Zukunft diese Rubrik betreut.
In meiner Jugend war ich viele Jahre aktiver Schachspieler. Mit Anfang zwanzig - ich war mit einer Spielstärke um die 1900 weder besonders gut noch besonders schlecht - ließ die Begeisterung etwas nach. Da bist Du den ganzen Sonntag mit der Mannschaft unterwegs, spielst diese endlos langen Partien, die dann doch nur unentschieden ausgehen, und die Mannschaft verliert 3,5 zu 4,5. Das war einfach frustrierend. Dazu neue Interessen, Studium und Freundin - ich gab das Schachspielen auf.
Fünfzehn Jahre vergingen. Studienabschluss, Beruf, Familiengründung. Du könntest doch mal wieder Schach spielen! Turnierpartien waren mir immer noch zu langweilig. Ich spielte ein bisschen Fernschach, ein bisschen im Internet und schaute auch mal für das ein oder andere Blitzturnier in einem Schachklub vorbei. Eine Internetbekanntschaft von irgendeinem Schachserver spielte eines Tages in Pardubice/Tschechien das große Open mit. Ich verfolgte das auf der Webseite des Veranstalters. Dabei stolperte ich zufällig über die Information, dass auf der gleichen Veranstaltung neben Scrabble, Bridge und zahlreichen anderen Spielen auch die Europameisterschaft im Shogi ausgetragen wurde. Shogi - was ist das? Ich war verblüfft zu erfahren, dass das auch eine Schachvariante ist und begann mich näher damit zu beschäftigen.
Es gab Könige, Türme, Läufer, Bauern und Springer, aber auch so komische Dinger wie Lanzen und Generäle. Kein Remis? Das war schonmal interessant. Figuren wieder einsetzen? Cool - Tandem fand ich eigentlich auch kurzweiliger als Turnierschach. Japanisches Schach mit einem System von 150 vom Verband bezahlten Vollprofis in Japan, die von ihrem Gehalt tatsächlich auch leben können. Ob das unsere Schach-Bundesliga da mithalten kann? Zwei Stunden für eine typische Turnierpartie in Europa? Das hört sich gut an. OK, wo kann ich das spielen? Stuttgart, München - toll, ich komme aus Ludwigshafen. Dann eben mit dem Computer! Das Spielen mit der frei erhältlichen Software Shogivariants hat mir immerhin ein paar Wochen Spaß gemacht und mir genug Praxis gegeben mich mal auf einem Spieleserver online gegen Menschen zu versuchen. Ich stellte fest: das Spiel macht ja richtig Spaß! Es ist wie Schach, nur schien auf dem Brett wesentlich mehr los zu sein.
Ich beschloss die Schachszene meiner Heimat zu infizieren und im Rhein-Neckar-Raum eine stabile Shogiszene aufzubauen. Tatsächlich fanden sich unter meinen Schachfreunden ein gutes halbes Dutzend Leute, die sich für die Idee begeistern ließen. Wir besorgten Material und begannen Spielabende zu organisieren. Das war vor fünf Jahren. Inzwischen sind wir etwas gewachsen, haben eine eigene Webseite und Shogi ist jetzt fester Bestandteil des Oberliga-Schachklubs Ludwigshafen 1912 geworden. Wir haben 2010 zehn Turniere in Ludwigshafen organisiert, unter anderem die Deutsche Jugendmeisterschaft. 2011 sind wir Gastgeber der Europameisterschaft und erwarten den Besuch einiger Profis.
Die meisten aktiven Shogispieler Deutschlands spielen Schach. Einige Titelträger und Spieler mit Bundesligaerfahrung sind darunter. Die Einschätzung "Shogi ist ja eigentlich das bessere Schach, aber es wird hier halt zu wenig angeboten" wird selbst hie und da von stärkeren Schachspielern geäußert. Die Auffassung muss man natürlich nicht teilen. Aber vielleicht lohnt sich doch mal ein Blick auf diese hierzulande noch ziemlich exotische Schachvariante.
Vor einigen Tagen rief mich Jörg Hickl an und bot mir die Mitarbeit hier im Blog an. Ich habe spontan zugesagt und möchte Euch in der nächsten Zeit regelmäßig vertiefende Informationen zum Thema Shogi geben. Hier auf SCHACHWELT gibt es unter dem Menüpunkt Spezial/Shogi ein paar weitere Erläuterungen und die Erklärung der Regeln. Wer sich für die Geschichte und die Szene in Japan interessiert, kann mal bei shogi.de vorbeischauen und von dort weitersurfen. Die besten Infos zur Spielszene in Deutschland findet man auf shoginet.de.
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