Interview mit Dr. Tarrasch
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Sonntag, 06 März 2011 13:14

Interview mit Dr. Tarrasch

Anlässlich des Geburtstages von Dr. Siegbert Tarrasch ist es dem Schachwelt-Blog gestern erstmals gelungen, eine himmlische Sondergenehmigung für ein Interview mit einem verstorbenen Schachmeister zu erhalten. Die  Verbindung mit dem Jenseits war leider nicht immer störungsfrei, wofür wir um Entschuldigung bitten (die verrauschten Sequenzen wurden durch [...] kenntlich gemacht). Der von uns beauftragte Himmelsfotograf hat seine Aufnahmen leider nicht fristgerecht in der Redaktion abgeliefert, so dass die geplante Illustration mit aktuellen Aufnahmen leider entfallen muss.


Wichtiges Update(!): Kurz vor Veröffentlichung des Interviews erhielten wir einen Hinweis, dass wir einem Plagiat aufgesessen sind. Das Projekt TarraPlag Wiki hat uns dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht. Wir veröffentlichen den Beitrag - aus Mangel an geeigneten Alternativen - trotzdem wie geplant, haben aber die bereits eindeutig nachgewiesenen Originalquellen  nachgetragen.


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Herzlichen Glückwunsch zu ihrem Geburtstag Herr Doktor Tarrasch!
„Wofür ich ihnen an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank ausspreche.“ [1]

Wie ist es Ihnen im Schachhimmel ergangen?
„Ich brauche nicht erst zu versichern, daß an Schachspielen in diesem weltabgeschiedenen Neste gar nicht zu denken war.“  [2]


Womit haben Sie dann die letzten Jahre verbracht?
„Wohl machte ich einige Versuche, hinter die Geheimnisse der Anatomie zu kommen, schnitzelte auch mehrmals im Seziersaal an einigen Leichen herum.“ [3]


Haben Sie die Schachgöttin Caissa oder andere göttliche Erscheinungen kennen gelernt?
„Man gelangt vom Eingang aus zunächst in eine hohe, prachtvolle Rotunde, die - offenbar mit feiner Beziehung auf die Herkunft des Schachspiels - im indischen Stil ausgestattet ist. Dies war der durchaus passende, ernste und strenge Tempel Caissas. Daneben, von ihm nur durch einen Vorhang abgeschlossen, befand sich das Allerheiligste, ein herrlicher Saal im pompejanischen Stil, in welchem die Göttin Fortuna mit rollender Kugel und fallender Karte waltete, das Reich der Roulette und des Baccarat.“ [4]


Auch in unseren Niederungen haben sich zuletzt viele Schachspieler an einem Kartenspiel (Poker) versucht. Was halten Sie von dieser Entwicklung?
„Welche Hebung des allgemeinen Kultur-Niveaus, ja der Moral, wenn das Schachbrett den Kartentisch verdrängen würde! Wahrlich, ein Ziel, des Schweißes der Edlen wert!“ [5]


Das Schachspiel wurde kürzlich sogar mit dem Boxsport kombiniert. Wäre es für Sie reizvoll, sich einmal im sogenannten Schachboxen zu probieren?
„Ich richte an die Schachwelt [...] hierdurch die Bitte, mir diese Gelegenheit zu verschaffen, besonders auch mit Rücksicht darauf, daß, wie es sich gezeigt hat, für die Verbreitung und Wertschätzung unseres edlen Spieles durch einen solchen Wettkampf mehr geleistet wird, als durch zehn Turniere.“ [6]


Können Sie an Ihrem jetzigen Wohnort das aktuelle Geschehen in der heutigen Schachszene verfolgen?
„Natürlich werden alle wichtigen Ereignisse in der Schachwelt besprochen.“ [7]


Wer ist Ihrer Meinung nach der aktuell stärkste Schachspieler?
Es gibt keine guten oder schlechten Spieler. Es gibt nur gute oder schlechte Züge.

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Was halten Sie z.B. von dem Amerikaner Hikaru Nakamura? Er hat gerade mit 9 Punkten aus 13 Partien das Turnier in Wijk gewonnen.

Der beste Spieler in einem Turnier gewinnt es nie. Er landet auf Platz zwei oder drei.


Denken Sie, dass Sie in einem Wettkampf gegen Nakamura bestehen könnten?
„An der Schachwelt ist es, diesen Wettkampf, wenn Sie Interesse daran hat, zustande zu bringen; die Schachwelt bzw. ihre berufenen Vertreter in Deutschland und Amerika, der Deutsche Schachbund und die amerikanischen Klubs, mögen billige Bedingungen festsetzen, sie mögen uns zusammenbringen und, wenn nötig, sogar zwingen, gegeneinander in die Schranken zu treten. Sie haben gesehen, was wir können; wenn Sie wollen, so haben Sie einen Wettkampf ...“ [8]


Die deutschen Schachverbände leiden unter einem Mitgliederrückgang, Sponsoren ziehen sich vom königlichen Spiel zurück und auch die Medienpräsenz ist ausbaufähig. Was raten Sie in dieser Situation den Entscheidungsträgern?
„Ich möchte mir hier nur die Bemerkung gestatten, [...] meiner Ansicht nach noch weniger Gewicht darauf zu legen [...], diejenigen, die das Schach bereits kennen, durch Reihenspiele und Turniere zu unterhalten, als vielmehr darauf, die Vielen, denen das Schachspiel fremd ist, darin zu unterrichten, sie in seine Geheimnisse einzuführen und ihnen dadurch ein ktema es aei, ein Besitztum für immer zu vermitteln. [...] Hier müssen die Schachorganisationen mit ihrem ganzen Einfluß und ihrer Autorität einsetzen. Der Deutsche Schachbund, diese machtvolle, auf über ein [..] Jahrhundert zurückblickende Organisation sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das bisherige, höchst dankenswerte Werk der Einzelpersonen zu übernehmen und es zu gigantischen Dimensionen anschwellen zu lassen.“ [5]

In dieser Woche wurde auf dem Schachwelt-Blog eine Diskussion zur derzeitigen Situation der Schachbundesliga geführt. Wie würden Sie versuchen, die Attraktivität dieser Veranstaltung zu erhöhen?
„Ich bin ein Anhänger des Fünfkindersystems“. [9]

Heutzutage hört man häufiger die Ansicht, die alten Meister - also auch Sie - wären heutzutage nicht einmal mehr bundesligatauglich. Was entgegnen Sie einem Vertreter dieser Ansicht?
„So ein ... (die Einfügung des Hauptwortes muß ich, um hübsch parlamentarisch zu bleiben, den geehrten Lesern überlassen, an deren zoologische Kenntnisse ich appelliere.)“  [10]


Auch heute werden ihre Lehrsätze noch gerne zitiert und angewendet. Sehr bekannt ist z.B. „Die Türme gehören hinter die Freibauern, hinter die eigenen wie hinter die feindlichen.“ Freut Sie diese anhaltende Popularität Ihres Werkes?
Bei der Befolgung dieser Richtlinien, die einer Erfahrung von mehr als einem halben Jahrhundert entstammen, muß man sich nur immer den trivialen Satz gegenwärtig halten, daß keine Regel ohne Ausnahme ist. Ich habe in dieser Hinsicht schlimme Erfahrungen gemacht.  [...] Nach einiger Zeit erhielt ich einen ziemlich groben Brief eines Amateurs, der mir die bittersten Vorwürfe machte. Er habe meine Regel genau befolgt und den Turm hinter den Freibauern gezogen. Aber à tempo sei ihm der Turm von einem Springer mit Schach geschlagen worden. [...] Also ich antwortete dem Unglücklichen mehr oder weniger prompt, er solle das Schach an den Nagel hängen und lieber Jo-Jo spielen.“ [11]

 

Welche Pläne haben Sie für Ihre nähere Zukunft?
„Einen Fotographen strangulieren.“  [12]


Haben Sie noch eine abschließende Botschaft an die Leser unseres Blogs?
„Jeder leidlich begabte Spieler, er braucht keineswegs hervorragend veranlagt zu sein, kann es zum Meister bringen. Aber das ist ja auch gar nicht nötig! Der richtige Standpunkt ist es, zu seinem Vergnügen zu spielen, und man glaube ja nicht, dass der Genuss proportional dem Können sei.“ [13]


Welchen schachlichen Tipp aus Ihrem reichen Erfahrungsschatz möchten Sie den zukünftigen Meistern geben?
„Ziehen Sie niemals einen Bauern, dann werden Sie niemals eine Partie verlieren!“ [14]


Vielen Dank für dieses Gespräch Herr Dr. Tarrasch! Bitte grüßen Sie Dr. Lasker recht herzlich von uns, falls Sie ihn sehen.
„Dr. Lasker habe ich nur drei Worte zu sagen: Schach und matt.“


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[1] S. Tarrasch: „Das Champion-Turnier zu Ostende im Jahre 1907“, 1907,  S. 9.
[2] S. Tarrasch: „Dreihundert Schachpartien“, 1925, S. 92
[3] S. Tarrasch: „Dreihundert Schachpartien“, 1925, S. 21
[4]  S. Tarrasch: „Das Champion-Turnier zu Ostende im Jahre 1907“, 1907,  S. 12.
[5] S. Tarrasch: „Tarrasch's Schachzeitung“, Dez. 1932, S. 66
[6] S. Tarrasch: „Der Schachwettkampf Lasker-Tarrasch um die Weltmeisterschaft im August-September 1908“, 1908, S. 113
[7] S. Tarrasch: „Tarrasch's Schachzeitung“, Okt. 1932, S. 2
[8] S. Tarrasch: „Der Schachwettkampf Lasker-Tarrasch um die Weltmeisterschaft im August-September 1908“, 1908, S. 5
[9] S. Tarrasch: „Dreihundert Schachpartien“, 1925, S. 247
[10]  S. Tarrasch: „Der Schachwettkampf Lasker-Tarrasch um die Weltmeisterschaft im August-September 1908“, 1908, S. 112
[11] S. Tarrasch: „Tarrasch's Schachzeitung“, Jan. 1933, S. 114-115
[12] S. Tarrasch: Übersetzung einer Antwort in einem Fragebogen der „Chess Review“, 1935
[13] S. Tarrasch: „Das Schachspiel“, 1931, S. 4
[14] S. Tarrasch: „Das Schachspiel“, 1931, S. 315
Präsidentschaftskandidat Hans-Jürgen Weyer im Interview
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Vor einigen Wochen wurde deutlich, dass Professor von Weizsäcker für eine weitere Amtsperiode als Präsident des Deutschen Schachbundes nicht mehr zur Verfügung steht. Als Nachfolger wird der derzeit einige Kandidat, Dr. Hans-Jürgen Weyer, gehandelt. Am 02.02. stand er Deep Chess für ein Interview zur Verfügung.
Von großem Interesse war dabei seine Stellungnahme zum Thema Nationalmannschaft, das in der zweiten Jahreshälfte 2010 zu erheblichen Spannungen zwischen Spitzenspielern und DSB geführt hatte. Weyer stellt für den nächsten Termin Ense Februar in Aussicht, unseren Spielern erheblich entgegenzukommen, explizit auch bei den Honoraren.
Ein schöner Zug, doch musste wirklich erst soviel Porzellan zerschlagen werden, bevor es zu einer Einigung kommen kann? Allerdings begeistert mich die Aussicht auf eine dem deutschen Schach würdige Vertretung auf internationaler Ebene und die damit verbundene Perspektive.

Herr Dr. Weyer,  wir nehmen das Interview als Maßstab für die kommende Amtsperiode. Unsere Stimme haben Sie!

Hier das komplette Interview, bereitgestellt von Deep Chess (http://www.deep-chess.de/?p=1145)
Zitat: (Deep Chess)"
Der DSB- Vizepräsident und mögliche Nachfolger von Robert von Weizsäcker, Dr. Hans-Jürgen Weyer, stellt sich diversen Fragen des DC!!!-Media Teams. Erfahren sie etwas über die neue Struktur des DSBs, über den Verhandlungsstand in Sachen Nationalteam sowie zum Thema “Schach als Breitensport”. Eine klare Antwort gibt es auch zur Förderung von Schachprofis sowie zur Förderungen von Jugendlichen und Talenten.
Die Aufnahme wurde am 02.02.2011 in Düsseldorf aufgezeichnet. Das Video wurde in HD-Technik angefertigt."
Verblichener Charme im Ruheraum
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Samstag, 29 Januar 2011 11:00

Aus der Provinz (II):

 

Während in Wijk aan Zee unter den Augen der Weltöffentlichkeit Schach auf spielerisch wie organisatorisch hohem Niveau gepflegt wird fand ein ähnliches Schachfestival auch im tschechischen Marienbad statt: drei Rundenturniere für Titelträger und solche die es werden wollen, dazu noch ein Open fürs gemeine Schachvolk zur Abrundung. Im Westböhmischen blieb die Öffentlichkeit abgeschnitten vom Geschehen, und das war auch gut so, denn vorzeigbar war die Veranstaltung beileibe nicht.

Schon seit Jahren wollte ich mal in solch einem Rundenturnier mitspielen, bei dem man jeden Tag einen gleichstarken oder stärkeren Gegner bekommt. Üblicherweise spiele ich nur in den Open in meiner näheren Umgebung. Da treffe ich in neun Spielen meist auf sechs oder mehr Gegner, die ich durch meinen Elovorteil eigentlich zu schlagen habe. Zudem wollte ich mal wissen, ob ich mit über 40 noch in der Lage bin, auf Großmeister-Norm zu spielen. Dummerweise schlug ich vor ein paar Jahren die Einladung zu einem Rundenturnier in Wien aus, um stattdessen ein anderes Turnier zu spielen –dies wurde dann das allerschlechteste meiner „Karriere“! Hoffentlich werde ich irgendwann noch einmal nach Wien eingeladen?!

http://schach.wienerzeitung.at/Tnr2582.aspx?art=4

So nahm ich die Chance wahr, zu Jahresbeginn in Marienbad, tschechisch Marianske Lazne, zu spielen. Zunächst muss man sich „einkaufen“, sprich Startgeld in nicht unbeträchtlicher Höhe entrichten. Das verstehe ich durchaus, nur hätte ich dann auch was fürs Geld geboten, nicht „nur“ die nackte Voraussetzung, gegen drei Großmeister spielen zu dürfen.

Vor Ort erwartete mich ein Kulturschock. Zwar ist Marienbad insgesamt ganz reizend, viele alte Villen sind renoviert und auf Hochglanz poliert worden. Barocke Pracht blitzt durch die Baumreihen hervor, üppige vier Sterne-Plus-Hotels gibt es zuhauf. Solcherlei Zuckergussansichten kennt man aus der Internetberichterstattung, ich denke da an das Duell Snowdrobs versus Oldhands (Mädels gegen Altmeister), ein Format, das seit ein paar Jahren in Marienbad unter ausgezeichneten Bedingungen stattfindet. Doch zunächst bot sich mir dieses Bild dar: kalter Winter, Nebensaison, das in die Länge gezogene Städtchen (besteht im Prinzip nur aus einer langen Strasse) eher verwaist, die kulturellen Angebote ausgedünnt, Museen geschlossen. Aber vor allem: das Hotel Kossuth, das Spiellokal, ist von der Aufbruchsstimmung der tschechischen 90er nicht berührt worden. Es befindet sich in einem erbarmungswürdigen Zustand, wenngleich man erahnen kann, dass es vor hundert oder mehr Jahren reichlich Glanz versprühte, denn es bietet, an einem erhöhten Ort liegend, einen prächtigen Blick über den Marienbader Kessel. Der Bau an sich, aus drei aneinander gereihten Häusern bestehend, ist riesig, wuchtig und würde die ideale Grundmasse für eine Nobelhotelkette bieten.

Leider hat sich in Zeiten des Sozialismus und auch danach niemand seiner erbarmt und so führt das Haus heute eine Notexistenz und treibt gelassen seinem Untergang entgegen. Als es mal stark regnete wurden im Flur große Eimern verteilt, um den Regen, der durch das marode Dach triefte, aufzufangen. Behelfszustand und Resignation eben.

Für eine Provinzveranstaltung des Schachsports bietet so ein kostengünstiges Ambiente den willkommenen Rahmen. Es ist ja nicht zuletzt eine Geschäftsidee, die die Organisatoren von Czechtour umtreibt, und so gilt es mit möglichst wenig Kosten und Aufwand die Struktur zur Verfügung zu stellen. Ansprüche, so lernte ich, muss man freilich zurückstellen und alles dem Ziel, Norm, unterordnen. Ich bemühte mich und es funktionierte auch. Anfänglich fiel es mir noch schwer, mich mit dem Spielmaterial anzufreunden. Als Bretter dienten vergilbte braun-gelbe Kartons, aus zwei Teilen bestehend und in der Mitte mit einem dunklen Klebeband zusammengehalten. Einmal war das Klebeband auf meinem Brett so breit wie eine Reihe, so dass es wirkte, als hätte das Brett neun Reihen – ich tauschte es schnell aus. Zwischendurch fand ich es auch ganz amüsant in diesem vor sich hinwelkenden Hotelrelikt in seinem muffigen Plüsch, und wenn sich mal eine Sprungfeder meines Stuhles knarzend durch den Stoff Bahn brach oder der Untersatz bei jeder Bewegung zu zerbersten drohte, nahm ich das belustigt hin, schnappte mir einen freien Stuhl, der noch robust wirkte, und spielte unverdrossen weiter.

Drei Großmeister, allesamt ihrer besten Zeit schon entwachsen, stellten sich der Veranstaltung zur Verfügung, von denen einer, Malanjuk, vor ein, zwei Jahrzehnten noch zur erweiterten Weltspitze zählte. Sein Genie blitzt auch hie und da auf, vor allem in der Post-Mortem-Analyse, die ich mit ihm führen konnte. Ansonsten betätigten sich die Großmeister überwiegend als Remisschieber. Kamen im Trainingsanzug und mit Schlappen zum Brett, wurden im Hotel Kossuth abgespeist, zogen ein paar Mal, boten Remis und gingen wieder auf ihr Zimmer. Von den fünf Partien des Großmeisterturniers waren zwei oder gar drei stets nach wenigen Zügen beendet, die gleichzeitig stattfindenden IM-Turniere boten deutlich mehr Abwechslung und Kampfgeist.  Gern traf man die Großmeister auch beim Rauchen auf dem Flur an. In Tschechien gehört der blaue Dunst noch zum Alltag, in Gaststätten gibt es stets ein Raucher- und ein Nichtraucherzimmer. Aber wehe, wenn die Großmeister provoziert werden! Ich erdreistete mich als einer der wenigen, Remisofferten auszuschlagen beziehungsweise opferte als Schwarzer frühzeitig einen Bauern, um die Titelhalter gleichsam zum Spielen zu zwingen. So kommentierte Malanjuk meine Eröffnungswahl 1.d4 Sf6 2.Sf3 c5 3.d5 e6 4.Sc3 b5!? nach 5.dxe6 fxe6 6.Sxb5:

Malaniuk

„I was one pawn up – I couldn`t offer draw!”

Die verdiente Strafe folgte auf dem Fuße: ich musste zweimal gegen die Altmeister hinter mich greifen. In der Tabelle warf es mich auch zurück, doch darauf kam es nicht mehr an, die Norm (6,5 aus 9) war eigentlich nach 5 Runden (2,5) kaum mehr zu erreichen.

http://czechtour.net/marienbad-open/results-and-games/

Dass es alternde Schachprofis nicht leicht haben weiß man eigentlich schon, und doch ist es irgendwie deprimierend, aus nächster Nähe zu sehen, wie sich etliche Profis ihr Gnadenbrot in zugigen Kaschemmen verdingen müssen, ihre Zahl ruinierend und immer bereit, mal ein Spiel für etwas Taschengeld verkaufen zu können. Wozu will ich eigentlich Großmeister werden, wenn solche Aussichten locken?!

Ich bin jetzt auch erst mal „geheilt“ und verspüre zunächst mal keine Lust mehr auf eine „Ochsentour im Osten“. Es gibt sicher eine glamouröse Seite im Schach. Da partizipieren die oberen 2700er und noch die Spitze im Damenschach. Schön ist es auch, nachdem man mal eine andere Perspektive eingenommen hat, wieder zu erkennen, auf welch hohem Niveau hierzulande viele Schachveranstaltungen, offene Turniere ausgetragen werden. Was freue ich mich nun wieder auf Deizisau, dem Mekka des Deutschen Schachs über Ostern! Aber es gibt etwas, das weder attraktiv noch erstrebenswert ist. Schach am Rande des Existenzminimums. Schach am Rande der Gesellschaft. Schach verzagt eben. Und diese Seite unseres einst edlen Spiels ist leider gar nicht so selten anzutreffen…

 

Caruana gegen Kortschnoi
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Ohne die große Veranstaltung in Wijk aan Zee würde die Schachwelt wohl ohne Zweifel auf eines der bedeutendsten Open Europas blicken. Alljährlich Ende Januar findet auf Gibraltar das Tradewise Chess Festival statt, und wer nicht nach Holland eingeladen wurde, scheint hier mit zuspielen u. a.  Ivanchuk, Adams, Caruana, Vallejo Pons, Bologan, Georgiev, Nigel Short und auch Viktor Kortschnoi. Und gerade Kortschnoi,  mehrfacher Vize-Weltmeister und Urgestein des Weltschachs, sorgte in der zweiten Runde für eine Überraschung. Am 23. März wird er 80 Jahre alt, doch von Müdigkeit keine Spur. Mit Elo 2544 gehört er zur zweiten Hälfte der Spitzengrupe und wurde gegen den um mehr als 60 Jahre jüngeren italienischen Weltklassegroßmeister Fabiano Caruana (Elo 2721) nach oben gelost. Es wirkte wie eine leichte Aufgabe für ihn:

Nachdem wir von immer jünger werdenden Spitzenspielern berichten, freut es mich, auch den umgekehrten Fall präsentieren zu können.


Zu Kortschnoi:

"Ich bin Schachgroßmeister"

Ein von Frank Zeller aufgenommenes Video zeigt Viktor Kortschnoi bei der Arbeit

„Ich nehme ein Schachbrett mit ins Grab“

FAZ.net:Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 09.01.2005, Nr. 1 / Seite 15

Winning democratic elections in FIDE
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Donnerstag, 02 Dezember 2010 16:13

Winning democratic elections in FIDE

About ten days ago chess World was shocked by New York Times allegations of the Turkish Chess Federation (later TCF) president Ali Nihat Yazici buying votes of the delegates in order to win chess OL 2012 in Istanbul. The revelation itself (strange enough) came from the TCF financial audit where it stated that TCF president has spent approx 90.000,-euros for the delegates travel, stay and other costs.

Confronted with the issue Mr. Yazici admitted to NY Times that though he did help delegates (who otherwise could not have come) with their travel, he did not spend a single cent for the delegates airfares! Such a contradiction in a one single statement can only mean that a) guy is overconfident in his political position  or b) he is completely insane or c) (the most likely in this case) both.

How do you help someone travel from point A to point B without spending any money on his travel? The best solution I would suggest would be using a famous Aladdin Flying Carpets (probably Ali Nihat found them in Grand Bazaar).

Situation heated up and last weekend TCF had a general assembly in order to approve the financial statements and money spent. Being a true patriot Mr. Yazici honestly admitted that in order to serve a Turkish national interest and bring the Olympiad to Istanbul he should be allowed to bribe.

Fortunately for Ali Nihat 67(out of 119) TCF assembly members have agreed that in order to serve the best of the National interests TCF president should indeed be given a James Bond kind of licence.

Buying votes has been a matter of speculation for many years within FIDE and natural question is : did TCF president “stimulate” delegates to vote only on the Istanbul 2012 OL issue or is it a wide practice going as far as FIDE Presidential elections?

I would say that buying votes, buying people, is not a matter of situation - it is a matter of character.

In Torino 2006, former SWIFT president, Belgacom CEO, accomplished business leader and a known chess mecena Dutchman Bessel Kok decided to run for FIDE president and in the democratic election defeat the current autocratic FIDE president and finally bring to the chess community everything Western values stand for. Naturally, Bessel could not do it alone, so his newly formed team included two impeccable freedom fighters. Two personalities led by principles, turning down any potential bribes and ready to sacrifice everything for the values they stand for. Those two freedom fighters were Ali Nihat Yazici and Geoffrey Borg. According to Mr. Yazici story, current FIDE president has in 2006 election offered him a different sort of bribes - Vice president position within FIDE, direct cash, than even more cash…you name it. True to himself and his principles, freedom fighter Mr. Yazici turned down all this indecent proposals.

Today both of our freedom fighters belong to the inner FIDE circle. Mr. Borg having had a different well paid FIDE top functions, while Mr. Yazici is currently FIDE Vice presidents and one of the strongest supporters of everything he (as a freedom fighter) in 2006 fought against.

According to his own statements, after 2006 election, Mr. Yazici finaly saw” the light” and recognized the genious of the current FIDE president.

Now, we come to the second part of the “democratic election”, OK you have a budget to spend for “the higher cause”, you have unmistakenly identified the target (after all you are top professional there, veteran with  years of experience),but how do you ensure that the agrrements would hold and “the right cause” be supported, because…..you know…..people..could be…. treacherous.

So, (now comes the best part), in order to ensure  “the legitimate” voting procedures, you take the proxy of your “business partner”. Country of my birth, Bosnia & Herzegovina, has recently entered this grey alley. Having, a close historic ties with Turkey and being one of the brotherly nations Bosnian ailing chess federation recently received a financial help (approx 25.000,-euros) from the big Turkish brother.

Naturally, even without  this financial injection Bosnia would have supported the interests of its Turkish brothers.

Also, it would have been terrible if Bosnian official delegate would make a mistake in the voting box crossing a wrong political option (because, you know….vote is secret). So, what we do, (to ensure the correct decision and no mistake in proceedings),…. while official Bosnian delegate (and federation vice president) is underway to Khanty, Ali Nihat already has Bosnian voting proxy.

At the FIDE congress itself , Bosnian delegate Mr. Bogut, turns out to be a loose cannon and (can you believe it !) decides to show up and would even like to vote (also having a major argument with TCF president and proxy behind ones back practice)

True to himself, a freedom fighter, and a staunch democracy supporter Mr. Yazici, naturaly withdraws given proxy and happily allows the present delegate to vote.

During the OL in Khanty I have heard about a dozen of similar stories, only this time without loose cannons

Teske-Prusikin
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Mittwoch, 01 Dezember 2010 11:32

Nobody is perfect

Am 20.11.2010 trafen in der ersten österreichischen Bundesliga die Mannschaften Styria Graz und Wüstenrot SIR Salzburg aufeinander. An der Tatsache, dass die Begegnung am Spitzenbrett GM Henrik Teske (2520) gegen GM Michael Prusikin (2527) lautete, kann man deutlich erkennen, dass beide Mannschaften akut abstiegsgefährdet sind.
 
Nach einem, sagen wir mal, wechselhaften (OK, „völlig niveaulos“ wäre sicher treffender, muss aber zensiert werden, um das Ansehen zweier gestandenen Großmeiser nicht zu untergraben) Verlauf entstand bald nach der ersten Zeitkontrolle immerhin eine ganz unterhaltsame Stellung:

Teske H. - Prusikin M.
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42...Df6!
ausnahmsweise erkannte ich die richtige Idee, der Zug ist nicht nur trickreich, sondern sogar objektiv der stärkste! 43.d6 schlicht der einzige, das Schlagen auf d1 verliert:  43.Lxd1 Lc3! 44.Txc3 Dxc3! - die Pointe von 42...Df6. Nun versuchte ich angestrengt, die Folgen von 43...Dxd6 und 43...Lc3 zu berechnen. 20 von den verbliebenen 25 Minuten waren verstrichen, als ich von meinen Qualen dadurch erlöst wurde, dass sich unsere Führung auf 3:1 erhöhte (in Österreich wird an 6 Bretter gespielt, muss man wissen). Denn immerhin habe ich inzwischen erkannt, dass ich mit 43...Dxd6 kein Risiko eingehe, während mir 43...Lc3 eher gefährlich erschien. Erleichtert griff ich zur Dame: 43...Dxd6 Nach kurzem Nachdenken Schlug Henrik auf d1 und bot gleichzeitig Remis an. 44.Lxd1 Eine kurze Analyse zeigt, dass unsere Stellungseinschätzung richtig war: 44.Lxd1 Dc6 (44...exd1D 45.Dxd1 Dc6 46.Kg2 Te3 47.Lf2 Txf3 48.Dxf3 Dxf3+ 49.Kxf3 Lxf2 50.Kxf2 a5=) 45.Lxe2 Te3 46.Kg2 De4 47.Ld1 Txe1 48.Kh2 a5 49.h4= ½–½
Auch als korrekt erwies sich die Entscheidung, von 43...Lxc3 Abstand zu nehmen: 43...Lc3? 44.Dd5+ De6 45.Txc3 Sxc3 (45...Dxd5+ 46.cxd5 Sxc3 47.d7 Td8 48.Lxc3 Txd7 49.Kg2+-) 46.Dxc5+-
Leider musste ich mir von Rybka aber auch noch ein großes ABER zeigen lassen!
Was ich nämlich gar nicht ahnte (nicht ahnen konnte?!) war die Tatsache, dass es im 43 Zug einen dritten Kandidatenzug für Schwarz gab, der die Partie glatt gewinnt! Genießen Sie einfach die folgenden Varianten:

 

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43...Te6!! 44.d7 (44.Lxd1 Lc3!–+) 44...De7!! 45.d8D Dxd8 46.Lxd1 exd1D (46...De7!? Ist schöner, aber weniger genau, weil das Endspiel nach 47.Lc2 Db7 48.Kg2 Te3 49.Dxe3 Lxe3 50.Ld3 De7 51.Lxe2 Lxf4 52.Kf2 Le5 53.g4 eventuell gar nicht gewonnen ist) 47.Dxd1 De7 48.Ld2 Te2 49.Lc3 De4! 50.Dd3 Tc2! 51.La5 Tb2 mit vollständiger schwarzer Domination.

Meine Lehren aus diesem Fragment:
  1. Der Mensch (ja, ich meine in erster Linie mich selbst, aber die Verallgemeinerung scheint mir hier auch nicht ganz falsch zu sein) ist unvollkommen.

  2. Die Viecher können sehr wohl eine Bereicherung sein – von wegen Tod des Schach durch die Engines! 

  3. Schach ist ein faszinierendes Spiel!

    In diesem Sinne – bis zum nächsten Mal!

Im März reden sie weiter
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Dienstag, 30 November 2010 20:32

Im März reden sie weiter

Von Weizsäcker hat wie erwartet seinen Rückzug angekündigt und Weyer seinen Anspruch auf den DSB-Vorsitz. Ob aus dem Arbeitskreis der Landesverbände ein Gegenkandidat kommt, wollen diese erst im März bei einem Treffen in Frankfurt am Main. Gut möglich ist es, denn vom aktuellen Präsidium minus von Weizsäcker erwarten die „Landesfürsten“ wenig. Bevor sie über einen Gegenkandidaten reden, wollen sie erst einmal unter sich klären, was im DSB alles zu tun ist.

Der größte Fortschritt kam bei der Hauptausschusssitzung in Gladenbach weder vom Präsidium noch aus dem Arbeitskreis der Landesverbände, sondern vom Treffen der Gemeinsamen Kommission Schachbundesliga: Am 14. bis 16.Oktober 2011 startet sie ihre nächste Saison in Mülheim mit einer zentralen Dreierrunde. Eine alte Idee Wunsch wird endlich verwirklicht.

Hans Jürgen Weyer
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Freitag, 26 November 2010 09:57

Au Weyer, DSB?

In Gladenbach bei der Hauptausschusssitzung des Deutsche Schachbunds wird Robert von Weizsäcker an diesem Wochenende sein Ausscheiden als Präsident ankündigen. Sein Vizepräsident Hans-Jürgen Weyer gilt im Moment als wahrscheinlichster Nachfolger. Gewählt wird erst beim DSB-Kongress im Mai in Bonn, doch in Gladenbach werden die Weichen gestellt, wenn nicht bereits alles ausgekungelt.

Zwei weiteren Mitgliedern des Präsidiums, Michael Langer und Hans-Jürgen Hochgräfe, werden Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt. Mitzureden haben aber vor allem die „Landesfürsten“. Im Arbeitskreis der Landesverbände wird die Arbeit des Präsidiums kritisch gesehen. Eine Gegenkandidatur aus diesem Kreis, am wahrscheinlichsten wie 2009 durch Herbert Bastian, kündigt sich an.

Von Weizsäckers vier Jahre an der Spitze haben viele enttäuscht. Sein Scheitern in der internationalen Schachpolitik, wo er Karpows Kandidatur für den FIDE-Vorsitz unterstützte und selbst als Europäischer Präsident kandidierte, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack, zumal der DSB die ECU-Geschäftsstelle und damit verbundene Mietsubvention für seine Geschäftsstelle verlor. Zwar hat der Münchner im Außenauftritt und in den Außenbeziehungen des Schachbundes durchaus das eine oder andere bewegt. Der Wirtschaftsprofessor hatte allerdings wenig Glück mit seinen fürs Tagesgeschäft verantwortlichen Vizepräsidenten, dem wenig engagierten Matthias Kribben (2007/09) und dem seine Linie hintertreibenden Weyer (2009/11).

Der Herzogenrather ist als Geschäftsführer des Geologenverbands ein Verbandsprofi. Einst galt er als Anpacker, der auch Probleme offen anspricht. Als 2001 Alfred Schlya von der Spitze in NRW an die im DSB rückte, sorgte Weyer für Aufbruchstimmung in seinem Landesverband. Inzwischen wären dort manche froh, Weyer auf dem gleichen Weg loszuwerden. Es ist unklar, wo er Akzente setzen würde und wo aufgrund der schlechten Finanzsituation sparen, ob er den Mut hätte, die unsäglichen Zustände beim Ramada-Cup zu beenden, dessen Überschüsse dem DSB nicht nur nicht zugute kommen, sondern der sogar noch subventioniert wird, vom zeitlichen Engagement der Funktionäre, das an anderer Stelle fehlt, ganz zu schweigen.

Die nächste Amtszeit wird alles andere als leicht. Ideal wäre ein Moderator des Übergangs, der sich der Lösung der internen Probleme verschreibt, ohne im Funktionärsland Brownie-Punkte zu sammeln oder besonders auf Außenwirkung zu achten. 2013 könnte der DSB dann einen gestandenen Verantwortungsträger (und dabei starken Schachspieler) an seine Spitze holen, den Mainzer OB Jens Beutel.