
Verloren in Moskau
Mit einigem Interesse habe ich in den letzten Tagen den Auftritt vom jungen Deutschen Meister Niklas Huschenbeths beim Aeroflot-Open in Moskau verfolgt. An meine erste Begegnung mit Niklas kann ich mich noch gut erinnern. Es war Sommer 2002 oder 2003 in Hamburg, am ersten Brett eines (für uns alle) bedeutenden Jugendmannschaftsschnellturniers und wir spielten mit dem HSK-Post Hannover gegen Eppendorf. Ich führte die Brettwertung an 1 überraschenderweise mit etwa 7/7 oder so an, als mir dann ein extrem kurzgeschnittener, etwas verschüchterter Junge gegenüber gesetzt, der (wie der Russe sagt) fast noch zu Fuß untern Tisch gehen konnte. Ich kann nicht sagen, dass ich diese Aufgabe im ersten Moment besonders ernst nahm, aber im nächsten, an den ich mich erinnern kann, hatte ich beretis zwei Bauern weniger... Reingefallen war Niklas dann im tiefsten Endspiel wirklich auf den allerallerletzten Trick, der ihm dann dummerweise nicht nur den halben, sondern gleich den ganzen Punkt kosten sollte. Der Kleine war schon da extrem enttäuscht, und wie mir zugetragen wurde, fing er später auch noch an, richtig zu weinen - als er erfuhr, dass er gegen Ilja Schneider gespielt hatte... :) Später traf man sich dann auf Turnieren aller Art und im Dezember sogar beim B-Kader-Training des Deutschen Schachbundes. Niklas ist mittlerweile mindestens einen Kopf größer als ich und hat in der Zeit alle möglichen Jugendmeisterschaften sowie eine kleine DEM und 3 Großmeisternormen gewonnen und leistet gerade in der Sportfördergruppe der Bundeswehr seinen Wehrdienst - kann ich alles nicht gerade von mir behaupte, ich war ja nicht einmal an der Waffe... Aber zurück nach Moskau.
Zuerst sollte man feststellen, dass es gewiß einiger Chuzpe bedarf, überhaupt im A-Open bei Aeroflot mitzuspielen. (Ich selbst würde mich das schon gar nicht trauen, denn es droht auch in "Mother Russia" der Wehrdienst - anderes Thema! :). Aber mal im Ernst: Wieviele Turniere haben Sie persönlich schon mitgespielt, wo Sie von 86 Personen zunächst auf dem vorletzten Platz der Setzliste zu finden waren? Ich mit Sicherheit kein einziges... Es gehört schon eine enorme Bereitschaft zur Leidensfähigkeit dazu - denn wenn es da mal nicht richtig läuft, gibt es auf gut Deutsch richtig aufs Maul. Verlockend sind auf der anderen Seite die Aussicht auf spannende Kampfpartien gegen Spieler, die einen von Anfang an fertigmachen wollen und - natürlich - die fehlenden ELO-Punkte zum GM-Titel.
Der Auftritt von Niklas lag irgendwo im unteren Drittel vom Querschnitt der ganzen geschilderten Szenarien. Es gab zwar erfreulicher Weise nicht das befürchtete "Aufs Maul" - dafür waren die 2/4 zum Start einfach zu gut. Dann folgte allerdings in den Runden 5-8 doch noch der allseits befürchtete "Audi" und zum Abschluss eine Punkteteilung gegen das Mitschlusslicht der Setzliste Sami Khader aus Jordanien, durch das man auch nicht mehr keine ELO-Reichtümer anhäufen kann. Fazit: 2,5/9, -5 ELO, Platz 81/86, kein Sieg.
Niklas' Schwarzpartien haben mich halbwegs überzeugt. Der Hamburger ist bereits vor einiger Zeit endlich von seinen angestammten "schwarzfeldrigen" Systemen (zumeist KI), wo es meist wenig zu holen gab, abgekommen und stellt nun gegen 1.d4 (was ihm mit einer 1.Sf3-Ausnahme von Ragger in Moskau ausschließlich vorgesetzt wurde, 1.e4 vermeiden seine Gegner wohlweislich) konsequent alles auf Weiß - angenommenes Damengambit, Stonewall. Das alles klappte beim Aeroflot insgesamt ganz gut, die Niederlage gegen Romanov war durchaus vermeidbar und fußte auf einem taktischen Versehen, nachdem Niklas lange Zeit über recht deutlichen Vorteil verfügte. Nicht wirklich funktioniert hat einzig das Eröffnungs"exkrement" gegen Zhigalko (1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 c6 4.e4 Lb4?!), aber ich vermute, das wird Niklas auch nicht so bald wiederholen.
Die Schwierigkeiten lagen vielmehr in den Partien mit den weißen Steinen. In allen 4 Fällen bekam Niklas beim Aeroflot auf sein geliebtes 1.e4 Sizilianisch vorgesetzt und in den meisten Fällen entstanden getreu seinem Spielstil scharfe, recht hitzige Theoriediskussionen. Niklas' König hat im gesamten Turnier ein einizges Mal das Feld g1 gesehen, sonst wurde traditionellerweise immer lang rochiert und danach sofort die Königsflügelbauern in Gang gesetzt oder am besten gleich 'was auf e6/d6 reingeopfert.
Da die Gegner allerdings - wie in diesen Kreisen auch durchaus nicht unüblich - nicht sofort zusammenbrachen, hatte Niklas in den weiteren Phasen der Partien nur zu oft mit den immer wieder gleichen Verschleißprobleme und das sowohl struktureller als vermutlich auch körperlicher Natur. Schwachen, oder zu weit vorgeschobenen Bauern gesellten sich lose, nicht aufs Endspiel gepolte Figuren und auch ein etwas müder Kopf hinzu, was nur allzu verständlich ist, wenn bereits in den ersten 25-30 Zügen extrem viel Rechenarbeit geleistet werden muss. Verbunden damit, dass Niklas grundsätzlich immer auf Sieg spielt, versäumte er es leider mehr als nur einmal, den Trend der Partie zu erkennen und überzog seine Stellungen. Insgesamt fiel mir darüber hinaus ein gewisser Hang zu mangelnder Figurenharmonie auf, Figuren wurden recht kaltherzig auf Felder gestellt, wo sich sie normalerweise, frei nach Rowson "mit Händen und Füßen dagegen wehren sollten, dahin abgeschoben zu werden". Kann ein Zeichen sein, dass man dann und wann zu viel rechnet und zuwenig "hinguckt".
So, bevor ich mich nun mit meinem oberlehrerhaften Gelaber noch "beliebter" mache, als ich eh schon bin, lasst uns doch einfach schauen, ob an meinen Beobachtungen wenigstens irgendetwas Wahres dran ist oder nicht.
Huschenbeth - Bojan Vuckovic (2623), AEROFLOT 2011 (2)
Ich habe im Prinzip keine Ahnung von dem, über was ich hier rede. Niemand hat mich bisher Zeit meines Lebens ernsthaft den offenen Sizilianer spielen sehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich hier (angenommen ich werde von kleinen grünen Marsmännchen in diese Stellung hereingebeamt) vermutlich etwas wie 14.Kb1 in Betracht ziehen würde. Der Ansatz von Niklas ist höchst direkt, aber vielleicht nicht das Beste. Er schlachtet seine guten Steine ab und behält den Rest.
14.f5 e5 15.Se6! Wenn schon, denn schon. 15...dxe6 16.fxe6 Kb8 17.exd7 Dxd7 18.Dxd7 (das würde ich vielleicht wirklich mal unterlassen) 18...Txd7 19.Thf1 Tg7 20.Tf2 Im Nachhinein zieht man natürlich eher den Bauern nach g3.
20...f5! Der GM nutzt sofort die Chance, das Spiel zu öffnen und sein Läuferpaar in Szene zu setzen. (Wobei einer der Läufer, der f8) bis zum 36 Zug auf seinem Platz verharren wird).
21.exf5 Txg2 22.Txg2 Lxg2 23.a4!? Hält dynamisch dagegen... 23...bxa4 24.f6 h4 Klar sichtbar: Der h-Bauer ist der künftige schwarze Held. 25.Lxa6 h3
Die weiße Lage hat sich bereits verschlimmert. Sein f6 geht nirgendwohin und der h2 wird innerhalb der nächsten Zeit fallen. Eines der geringsten Übel wäre es nun vermutlich, wenigstens schon mal 26.f7 zu ziehen, um eine der Figuren an f8 zu binden. Nun kommt aber ein sehr unkonkreter, "loser" Zug.
26.Lc4? Th4! Man sollte eben im Endspiel nicht unbedingt seine Figuren auf ungedeckte Felder stellen - das rächt sich mit Zeitverlust.
27.b3?! Er hat es sich bestimmt nicht von Anfang an (23.a4!?) vorgestellt, den schwachen schwarzen a4 so abtauschen zu müssen. Vielmehr wollte er ihn später abholen und dann den b-Bauern laufen lassen - aber die Not ist groß. Der Läufer will auf c4 bleiben, wo er f7 und f1 im Blick hat. Und das geht nur mit 27.b3.
27...axb3 28.cxb3 Tf4 29.f7 Tf2 Turm auf der 2 Reihe! Schwarz hat Vorteil. 30.Td3 Niklas bindet wenigstens den Läufer an den Bauern h3 fest. 30...Lf3?! Eine Ungenauigkeit. Weiß kann aktuell nicht gut seine Stellung verbessern, also machte 30...Kc8! durchaus Sinn.
Nun gleicht 31.Td2 mehr oder minder aus, weil der Turm keinen guten Rückzug hat. Spielt Schwarz 31...Tg2, so sollte Weiß noch 32.Tc2! finden (weicht 32...Lh6 aus) und hält sich.
31.Ld5?? Es erscheint wirklich unnatürlich, sich den Verteidiger des f7 wegtauschen zu lassen und dabei noch den h2 abzugeben.
31...Lxd5 32.Sxd5 Txh2 33.Tg3 Darauf hat er sich verlassen. Nun irrte Schwarz mit 33...Tf2?, wonach die Geiseln mit 34.Txh3 Txf7 wechselseitig erschossen wurden und Schwarz durch den megaschlechten Läufer nicht mehr hoch gewinnen konnte. Den Rest hielt Niklas gut remis. Hätte Schwarz aber mit 33...Th1+ 34.Kb2 h2 35.Th3 Kb7 endgültig die Daumenschrauben angesetzt, wäre es für den Hamburger aus gewesen. Der Springer darf wegen eines Turmwegzugs von h1 nicht auf ungedeckte Felder gehen und 36.Th8 Kc6 führt dazu, dass am Ende in allen Variationen ein total verlorenes Turmendspiel entsteht.
Huschenbeth - Alexander Fier (2571), AEROFLOT 2011 (6)
Der letzte Zug des brasilianischen Großmeisters war 15...Sf4-g6, so dass sich Niklas mit der starken Drohung ...d5 konfrontiert sieht. Der Königsflügelangriff findet also auch heute nicht statt - er tauscht die Damen.
16.Db6 Dxb6 17.Lxb6 Te8 18.h4 d5! 19.exd5 exd5
Gut, es ist klar, dass Weiß nichts aus der Eröffnung hat. Muss ja auch nicht immer sein. Mir gefällt aber ohnehin die zerzauste weiße Stellung am Königsflügel nicht besonders und die "Entwicklung" lässt auch zu wünschen übrig. Müsste ich wählen, wäre ich klar lieber Schwarz. Aber den nächsten Zug - den verstehe ich einfach nicht. Mehr noch - ich glaube, ich könnte ihn einfach niemals ausführen:
20.Sh5?! Ok, er wäre gleich vom Läufer auf d6 angegriffen worden und müsste eh fliehen, aber doch nicht nach h5! Er greift da nichts an, deckt nichts, steht angreifbar und dafür dem h-Bauern im Wege. God gracious me!
Das Einzige, was dem Weißen in den nächsten Zügen über die Runden hilft, ist die im Schach fast unendlich hohe Remisbreite - manchmal kann man so einen Trash halt folgenlos machen.
20...Ld6 21.Ld4 Le5 22.Lxe5 Sxe5 23.Le2 Sc4
Klopf Klopf! Der Springer h5 will zurück ins Spiel. Wenn er nun 24.Sf4 macht, ist noch nichts passiert...
24.Txd5?! Nein! Zum Preise des Bauern wird der Kollege im Exil versauern gelassen - und bekommt noch Besuch.
24...Lb7 25.Lxc4 bxc4 26.Tf5 Te3 27.Tf1 Tae8
Das ist das, was ich mit "Harmonie" meine. Wenn ich eine Variante sehe, in der ich am Ende meine Figuren so anordnen muss, betrachte ich sie nicht weiter, sondern verwerfe sie. Einige machen das anders, aber dafür muss man gut rechnen können...
In Sachen b-Note haben die weißen Artisten schon verloren. Allerdings macht der Mehrbauer die Stellung noch durchaus erträglich. Dieser sollte auch langsam mal ziehen, denn es droht Matt.
28.b4(?) Nein, doch nicht dieser. Ich bin sicher, dass dieser b-Bauer bestimmt nicht so schnell nach vorne schreiten und dem Kollegen das Feld c3 überlassen wollte. Aber... Es geht alles noch. Die Remisbreite im Schach... 28...c3 Wieder droht Matt.
29.a3? Zu den strategischen Fehlern kommt der taktische dazu - das wars jetzt aber endgültig.
Als ob die Natur der Stellung es quasi extra auf mich abgesehen hätte, fast alles, was ich vorhin gesagt habe, zu widerlegen, sollte ich aber hinzufügen, dass das Endspiel nach 29.a4! Te1+ 30.Txe1 Txe1+ 31.Ka2 Lc8! 32.Td5! Le6 33.Sf4 (endlich!) Lxd5+ 34.Sxd5 einfach total unklar wäre. Womit wir beim Unterschied zwischen subjektiven 20.Sh5?! und objektiven 29.a3? Fehlern angelangt wären und nicht weiter in die Tiefe gehen.
29...Te1+ 30.Txe1 Txe1+ 31.Ka2 Lc8! und Niklas hatte genug gesehen, hätte es aber dank des verlorenen Tempos (29.a3 statt 29.a4!) eh schwer gehabt, im Endspiel nach 32.Td5 Le6 33.Sf4 Lxd5+ 34.Sxd5 (und nun etwa 34...Kf8! oder auch 34...Th1!, sagt die Maschine) , noch etwas zu organisieren. 0:1
Huschenbeth - Alexandra Kosteniuk (2498), Aeroflot 2011 (8)
Klar, mit 2/7 und nach 3 Niederlagen in Folge will man natürlich mal auch eine gewinnen. Es fing auch (wenig überraschend, aber gut) an mit 12.Lxf6 gxf6 13.Lxb5 axb5 14.Sxb5 Dc8 15.Sxd6+ Lxd6 16.Dxd6, wo der Rechner sofort die weißen Steine verwalten will. Die ehemalige Damenweltmeisterin verlor immer mehr die Kontrolle und Niklas spielte sich eine Gewinnstellung heraus, aber die Varianten waren nicht immer einfach zu finden. Darüber wollte ich auch gar nicht reden, sondern zeigen, wie sich die Endphase der Partie entwickelte:
Niklas hat seinen Vorteil bis ins Endspiel gerettet. Der Bauernklumpen sieht extrem robust aus und sollte irgendwann die Ziellinie einlaufen. Frau Kosteniuk kann nur noch verstohlen auf ihren e-Freibauern hoffen, aber normalerweise kann der nicht weit kommen. Statt etwas Normalem wie 42.Tc1, was man in jeder Schnellschachpartie spielt, kommen nun 3 Hammer hintereinander:
42.Td4? e5 43.Th4 Sf6 44.g4
Mir fällt dazu nichts ein. Ich verstehe es nicht, wie man auf die Idee kommen kann, freiwillig seinen Turm auf h4 einzusperren? Das ist doch keine Harmonie!
44...Tg8 45.b6 Kd7 46.Th6 Tg6 47.Txg6 hxg6
Viel ist für Weiß nicht mehr zu holen, aber 48.g5! sollte man aus praktischer Sicht doch mal versuchen.
48.Kb5? Verbissenes Spiel auf Gewinn? Es empfiehlt sich aber, nicht das Quadrat des Bauern zu verlassen... 48...e4 Nun aber schnell zurück ins Quadrat! Der Rechner zickt nach 49.Kb4 zwar noch ein wenig rum, aber die weißen Bauern beschäftigen den schwarzen Chef noch lange genug und die Partie endet remis. Stattdessen...
49.c5?? Er schaltet einfach nicht mehr den Hebel um. Dabei hält der Springer die paar Bauern doch mit der Mütze auf. Wenn das "Wollen" sich über das "Denken" stellt... 49...e3 50.c6+ Kc8 51.Ka6 Sd5! 0:1

Neapler Partie
Als Siegbert Tarrasch seine Gedanken zum Thema Schach und Liebe niederschrieb, dachte er möglicherweise an seine Italienreise im Jahre 1914 zurück. Damals unternahm er auf den Spuren von Johann Wolfgang v. Goethe eine Bildungsreise in den Süden, fand aber daneben auch noch Gelegenheit zu einigen Schachpartien. In Neapel gelang ihm dabei in einer Beratungspartie gegen vier Spieler (Prof. D. Marotti, E. Napoli, de Simone, del Giudice) eine wunderschöne Kombination, die ihn bestimmt sehr glücklich gemacht haben dürfte. Er gab der Partie den Namen „Neapler Partie“. Dr. Dyckhoff bezeichnete die Kombination in seinem Nachruf auf Tarrasch sogar als „die schönste Schlußwendung, die wohl jemals in einer praktischen Partie ersonnen wurde“. In Tim Krabbés Liste „The 110 most fantastic moves ever played“ hat die Partie aber leider keinen Eingang gefunden. Nun ja, Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters. Die „Most Amazing Move of All Time“-Liste des British Chess Magazine von 1998 konnte ich leider im Zwischennetz nicht finden (hat jemand einen Link?), möglicherweise taucht die Kombination ja dort auf.
Nun wollen wir aber einen Blick auf Tarraschs Geniestreich werfen, damit sich jeder ein eigenes Urteil bilden kann. Wer sich zunächst selbst an der Lösung versuchen möchte, sollte seinen Blick oberhalb der Diagramm-Unterkante belassen. Unterhalb findet sich nämlich die Auflösung (Originalkommentar von Tarrasch).
Weiß (Tarrasch) zieht und setzt spätestens in fünf Zügen matt.
{fen}2r3r1/3q3p/p6b/Pkp1B3/1p1p1P2/1P1P1Q2/2R3PP/2R3K1 w - - 0 1{end-fen}
Tarrasch: „Lösung des Problems: 1.Le5-c7!!. Auf 1...Txc7 folgt 2.Db7+ Txb7 3.Txc5# (die Bombe ist auf c5 geplatzt); schlägt die Dame den Läufer [1...Dxc7], so folgt 2.Txc5+ Dxc5 3.Dxb7+ nebst 4.Ta1#. Das Merkwürdige des Problems liegt darin, daß es eines der jetzt so modernen „Schnittpunktprobleme“ darstellt und zwar das erste, das in einer praktischen Partie vorgekommen ist. In der Stellung des Diagramms deckt der schwarze Turm den Punkt c5, die schwarze Dame den Punkt b7. Die Linien dieser beiden Figuren schneiden sich im Punkte c7. Der dorthin ziehende Läufer unterbricht nun die Linien beider Figuren; schlägt ihn der Turm, so ist die Richtung der Dame auf b7 unterbrochen, der Turm wird durch Db7+ abgelenkt und auf dem dann nicht mehr gedeckten Punkt c5 mattgesetzt. Umgekehrt ist, wenn die Dame schlägt, die Richtung des Turmes nach c5 unterbrochen, die Dame wird durch Turmopfer auf c5 abgelenkt und das Matt erfolgt auf b7 (genauer erst auf a1, was unwesentlich ist). Die Schwarzen gaben nach dem Läuferzug die Partie auf.“
Anmerkung 1: Die geforderten max. fünf Züge ergeben sich durch die Einschaltung des Racheschachs Txg2+ (Dxg2).
Anmerkung 2: Bei dem hier vorliegende Schnittpunktthema handelt sich um einen sogenannten „Plachutta“.
Der Kommentar und das obige Zitat Dyckhoffs sind übrigens der letzten Ausgabe von „Tarrasch's Schachzeitung“ entnommen. Von Oktober 1932 bis März 1934 erschien diese Zeitschrift mit zwei Heften pro Monat. Die Februar-Ausgaben hatte Tarrasch noch persönlich fertigstellen können, bevor er plötzlich erkrankte und am 17. Februar 1934, also heute vor 77 Jahren, an einer Lungenentzündung verstarb.

Deutsche Meisterschaft auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit
Da der Schachbund großen Wert auf eine Teilnahme der Vertreter der Landesverbände legt, empfehle ich, die Veranstaltung in den Ramada-Cup, die Deutsche Amateurmeisterschaft, zu integrieren, was zudem den strapazierten Etat erheblich entlasten könnte…
Die Besetzung anderer Deutscher Meisterschaften, ob Blitz- oder Schnellschach, sieht keineswegs besser aus. Die letzten hochkarätigen Veranstaltungen findet man im letzten Jahrtausend: Bremen 1998 mit 24 der TOP 25 und auch Altenkirchen 1999 waren durchaus noch brauchbar besetzt, danach wurde es immer dünner.
Auch die Einigung mit der deutschen Nationalmannschaft ist möglicherweise noch nicht unter Dach und Fach. Ein desillusionierter Georg Meier, für den Deutschland keine vernünftigen Turniere zu bieten hat, geht nun zunächst für zwei Monate nach Uruguay (ohne Schach) und anschließend ist ein Studium in Amerika im Gespräch. Damit wäre er das zweite deutsche Großtalent (nach Leonid Kritz) mit Elo 2600+, auf das das deutsche Schach verzichten muss.
Lieber Herr Weyer, ändern Sie schnellstens etwas an der Schieflage, sonst muss ich meine voreilig abgegebene Stimme zurücknehmen.
Verwandte Artikel:
Kein Interesse an Deutschlands TOP10?, Jörg Hickl, 13.02.2011
Stell dir vor, es ist Deutsche und niemand geht hin! Ilja Schneder, 10.02.2011

Warmer Südwind ?!
Ob es der revolutionäre Südwind aus dem Mittelmeer war oder auch nur ein Zufall ist nicht bekannt. Jedenfalls dürfen nach langer Zeit Engines, deren Sourcecode zum Teil öffentlich zugänglich (opensource) sind und dennoch im Verdacht standen Clones einer kommerziellen Software zu sein, nun im kühlen Hamburger Maschinenraum ohne Sanktionen (Sperre, ....) verwendet werden.
Im Maschinenraum treffen sich die Computerschachfreaks und lassen dort ihre Engines auf übertrakteten Computer mit getunten Büchern gegeneinander spielen – vielleicht sogar schachtheoretisch sehr interessant, aber die Außenwahrnehmung ähnelt eher der Mantaszene: aufgemozzt und tiefergelegt.
Aber vielleicht liegt es daran, dass sich ab heute jedermann Clusterleistung mieten kann. „Rent a supercomputer” ist seit heute online und mit um die 1.000 Euro vor Steuer ist man schon dabei. Offen bleibt wie viel Elo der Cluster zur Egobefriedigung in die Waagschale wirft und ob er auch unterhaltssame Anekdoten erzählen kann?
Ist der große Zauberer Houdini damit seine Nummer eins wieder los?

Nobody is perfect
Teske H. - Prusikin M.

42...Df6! ausnahmsweise erkannte ich die richtige Idee, der Zug ist nicht nur trickreich, sondern sogar objektiv der stärkste! 43.d6 schlicht der einzige, das Schlagen auf d1 verliert: 43.Lxd1 Lc3! 44.Txc3 Dxc3! - die Pointe von 42...Df6. Nun versuchte ich angestrengt, die Folgen von 43...Dxd6 und 43...Lc3 zu berechnen. 20 von den verbliebenen 25 Minuten waren verstrichen, als ich von meinen Qualen dadurch erlöst wurde, dass sich unsere Führung auf 3:1 erhöhte (in Österreich wird an 6 Bretter gespielt, muss man wissen). Denn immerhin habe ich inzwischen erkannt, dass ich mit 43...Dxd6 kein Risiko eingehe, während mir 43...Lc3 eher gefährlich erschien. Erleichtert griff ich zur Dame: 43...Dxd6 Nach kurzem Nachdenken Schlug Henrik auf d1 und bot gleichzeitig Remis an. 44.Lxd1 Eine kurze Analyse zeigt, dass unsere Stellungseinschätzung richtig war: 44.Lxd1 Dc6 (44...exd1D 45.Dxd1 Dc6 46.Kg2 Te3 47.Lf2 Txf3 48.Dxf3 Dxf3+ 49.Kxf3 Lxf2 50.Kxf2 a5=) 45.Lxe2 Te3 46.Kg2 De4 47.Ld1 Txe1 48.Kh2 a5 49.h4= ½–½

43...Te6!! 44.d7 (44.Lxd1 Lc3!–+) 44...De7!! 45.d8D Dxd8 46.Lxd1 exd1D (46...De7!? Ist schöner, aber weniger genau, weil das Endspiel nach 47.Lc2 Db7 48.Kg2 Te3 49.Dxe3 Lxe3 50.Ld3 De7 51.Lxe2 Lxf4 52.Kf2 Le5 53.g4 eventuell gar nicht gewonnen ist) 47.Dxd1 De7 48.Ld2 Te2 49.Lc3 De4! 50.Dd3 Tc2! 51.La5 Tb2 mit vollständiger schwarzer Domination.
Meine Lehren aus diesem Fragment:
-
Der Mensch (ja, ich meine in erster Linie mich selbst, aber die Verallgemeinerung scheint mir hier auch nicht ganz falsch zu sein) ist unvollkommen.
-
Die Viecher können sehr wohl eine Bereicherung sein – von wegen Tod des Schach durch die Engines!
-
Schach ist ein faszinierendes Spiel!
In diesem Sinne – bis zum nächsten Mal!

Grüziwohl, Herr Weltmeister
Vishy Anand hat das Wochenende in Zürich verbracht und einen lockeren, selbstbewussten Eindruck gemacht. Am Samstag spielte er ein Simultan. An 35 Brettern gab er fünf Remis ab, eines davon gegen den Stuttgarter Mathematikprofessor und Schachautor Christian Hesse. Am Freitag traf Anand an die 200 indische Mitarbeiter der Crédit Suisse und gab dem Tages-Anzeiger ein in der Onlineausgabe nicht abgedrucktes Interview. Neues gab es allerdings wenig. Dass seine Schachpause nach der WM eher mangels Turnieren denn mangels Lust so lange ausfiel. Dass er den Urlaub in Sri Lanka und Chennai genossen hat. Ebenso einen Abstecher zu einem Mathematikerkongress, wo er im August simultan spielte. Und dass er von Carlsens WM-Ausstieg überrascht wurde, zumal mit London 2012 ein großartiger Finalort wartet.
PS: Im Hamburger Abendblatt erschien mittlerweile ein lesenswertes Interview mit Anand über die Entwicklung des schachlichen Denkens.

Schachwelt anno Tobak (1)
Das waren noch Zeiten! Das eigene Telefon hatte keine ELO-Zahl und die Eröffnungstheorie kam noch ohne Endspieldatenbanken aus. An jene längst vergangenen Tage soll in dieser Rubrik erinnert werden.
Zum Start dieser Serie soll dem wohl abwechslungsreichsten Weltmeisterschaftskampf aller Zeiten gedacht werden. An einem Tag gewann Weiß, am nächsten Schwarz*. Am Ende hatte Weltmeister Emanuel Lasker seinen Herausforder Dawid Janowski mit 8:0 (bei 3 Remisen) deklassiert. Der Wettkampf fand vor genau 100 Jahren in Berlin statt. Obwohl Janowski bereits ein Jahr zuvor von Lasker in einem Privatwettkampf mit 1:7 abgefertigt wurde, bekam er seine WM-Chance. Im Gegensatz zu den heutigen Kandidatenauswahlprozessen wurde der Herausforderer damals nämlich auf eine für jedermann verständlich Art und Weise ermittelt: 5000 Frcs. cash auf den Tisch! Für Janowskis Sponsor Leo Nardus war dieser Betrag offensichtlich keine unüberwindbare Hürde.
Janowski war ein kompromissloser Angriffsspieler, der sich stets ohne Rücksicht auf Verluste auf den gegnerischen König stürzte. Über Laskers Spielstil äußerte er sich herablassend: „Er spielt so dumm, das ich gar nicht auf das Brett sehen mag ...“. Bis zuletzt glaubte Janowski an seine überlegene Spielstärke. Die eigenen Niederlagen erklärte er stets mit allerlei unglücklichen Umständen. Wie er den Klops der ersten Matchpartie (Weiß: Lasker, Schwarz: Janowski) in sein Weltbild eingefügt hat, ist mir leider nicht bekannt:
s. obige Stellung im Artikelbild nach 19. ... Td8-d6??:
Es folgte 20. Txd5 Txd5 21. Dxd5 Dxb4 22. Txc6 1-0.
In einigen der späteren Begegnungen stand Janowski aber tatsächlich kurz vor dem Partiegewinn. Mit zunehmenden Vorsprung ging Lasker allerdings auch immer größere Risiken ein, in der elften Partie spielte er z.B. das Königsgambit. Insbesondere in der fünften Partie (Weiß: Lasker, Schwarz: Janowski) überlebte Lasker nur sehr knapp:
{fen}2kr1bnr/pp3ppp/2n1b3/q7/3N4/2N1B3/PP3PPP/R2QKB1R w KQ - 0 11{end-fen}
Die Eröffnung ist Weiß schon nicht gelungen, die Fesselung in der d-Linie ist sehr unangenehm. Nach dem Partiezug 11. a3? (besser (11. Dd2) hätte die Partie eigentlich in wenigen Zügen vorbei sein müssen. Lasker wollte 11...Lc5 offenbar mit 12. b4 beantworten. Nach 12...Lxd4 13. Lxd4 (auch 13. bxa5 hätte übrigens nicht geholfen: z.B. 13...Lxc3+ 14. Ld2 Txd2 15. Dxd2 Lxd2 16. Kxd2 Sxa5 -+.) 13...Dg5 wäre der Läufer auf d4 nicht mehr zu halten gewesen. Z.B. 14. Se2 Sxd4 15. Sxd4 De5+. Janowski ging aber an seinem Glück vorbei und spielte 11...Sh6? (statt 11...Lc5) und verlor die Partie schließlich sogar.
Die achte Matchpartie feiert heute übrigens hundertsten Geburtstag. Aus diesem Anlass hier die komplette Partie:
*Okay, okay, ich gebe es zu, die Pointe ist von Georg Marco (ehemals Herausgeber der Wiener Schachzeitung) geklaut. Nachzulesen z.B. in: „Umkämpfte Krone“ v. Raymund Stolze, Sportverlag Berlin 1988.

Mehr Elo, weniger Österreicher
In der österreichischen Liga, deren Saison an diesem Freitag in Graz startet, geht das Wettrüsten weiter. Noch spannender würde es ohne den Rückzug von Holz Dohr Semriach. Den Spott über seine sportliche Glücklosigkeit, aber auch über Kämpfe, in denen 1900-Spieler auf der Gegenseite saßen, dass heimische Kräfte von FM bis knapper IM-Stärke auch noch hofiert werden wollten und das Bundesland für läppische 500 Euro Förderung pro Saison Ausführungen von zwanzig Seiten verlangte, ertrug Mäzen Alexander Dohr, wie er mir per E-Mail mitteilte, nicht länger.
Der von einem mut- und wohl auch konzeptlosen Verband ermöglichte (und auch von Holz Dohr gesetzte) Trend zu ausländischem Personal hält an (Aufstellungen). An den ersten sechs Brettern hat nicht einmal die Hälfte der Teams Österreicher gemeldet. Ganz vorne spielt nur Staatsmeister Markus Ragger bei Maria Saal. Wenigstens an Position sechs gemeldet ist die Staatsmeisterin Eva Moser (viele wissen nicht, dass sie sich um diesen Titel heuer nicht etwa aus Angst oder Formschwäche bemühte, sondern weil im Herrenturnier mangels Titelträgern keine GM-Norm möglich war). Die Ausländer treffen an den vorderen und mittleren Brettern meist aufeinander, die Österreicher bleiben an den hinteren Brettern weitgehend unter sich. Am Ende wird die Einsatzquote der Inländer wohl um die vierzig Prozent liegen.
Der Überraschungsmeister von 2008 SK Advisory Invest Baden geht mittlerweile, wie schon vorige Saison als Favorit ins Rennen. Ein 2700er (Eljanow) und sechs 2600er stehen auf der Liste, darunter Neuzugang (von Holz Dohr) Georg Meier. Zu rechnen ist aber auch mit dem SK Sparkasse Jenbach (übrigens mit Anita Stangl als Kosponsor), der vorige Saison, als er zu null Meister wurde, über sich hinauswuchs und nun Jan Gustafsson (der hoffentlich auf seiner Seite berichten wird) dazu bekommen hat. Ein Zweikampf zwischen diesen beiden Teams scheint das wahrscheinlichste Szenario. Außenseiterchancen gebe ich dem SK (ebenfalls) Sparkasse Fürstenfeld und dem ASVÖ Wulkaprodersdorf.
Mit 1900ern braucht man diese Saison wohl nicht rechnen. Nur Pöchlarn scheint im Kampf um den Klassenerhalt chancenlos, wird sich aber wohl so teuer wie möglich verkaufen. Am Freitag ab 16 Uhr, Samstag ab 14 Uhr und Sonntag ab 10 Uhr wird live übertragen.
?
Weiterlesen...