Januar 2018
Das kleine Blitzschach-Brevier vom legendären Bernd Feustel - ein unerlässlicher Begleiter, wenn die Zeit mal knapper wird
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Vielleicht würde es helfen, wenn wir alle öfter Lenny Kravitz hören würden? Vielleicht auch nicht, aber zur Sicherheit beginnen wir einfach mal mit einem Lied:

Nun aber zum Thema - der Monatsblitz für Januar hat stattgefunden! Trotz der unglaublichen Flut an parallel stattfindenden internationalen Schachveranstaltungen hat es das Bremer Traditionsturnier geschafft, wieder ein respektables Feld von zwölf zumindest lokal renommierten Spielern ins Werder Vereinsheim zu locken. Die Hansestadt hielt den Atem an, denn war es nicht der geballten Werder-Entourage beim November-Wettbewerb zum ersten Mal seit der Erfindung des Streichholzes gelungen, dem unschlagbaren David Höffer aus DEL ein Schnippchen zu schlagen und ihm den üblichen Turniersieg sowie das schöne Preisgeld von guten 11,-€  zu entwinden?

Pommes
        Ein ähnlich starkes Team wie die Werder-Blitzer: Die Pommesgabeln des Teufels

Sven Charmeteau hatte sich den Sieg im November geholt, doch nach dem Motto "Er ist wieder da" betrat der junge Höffer um 19:25 Uhr leichtfüßig die grün-weißen Vereinsräume und meldete zum Januarturnier. Damit hatte er schon den ersten Punkt so gut wie sicher, denn gemeinhin gewinnt David jede direkte Begegnung gegen mich und somit auch stets zumindest einen Punkt. Das kam mir an diesem Abend auch ganz gut zupass, denn nach Niederlagen in den Runden eins (überzogen gegen Nikolas Wachinger), zwei (Turm weggestellt nebst Matt gegen David Kardoeus), drei (eine gelungene Verlustpartie gegen Rechtsanwalt Joachim Asendorf) und vier (Lars Milde hatte vor ungefähr zehn Jahren eine Fernschachpartie begonnen und wurde seitdem nicht mehr im Verein gesehen - nun war er wieder da und schnappte sich mit schönem Läuferopfer auf .... h7! den vollen Punkt gegen mich) - nach diesen vier Nullen in Folge, vier Nullen zum Auftakt 2018 war ich auch mehr als bereit für eine weitere Niederlage gegen SF Höffer. Wie heißt es unter Softwareleuten? "Der Fehler sitzt immer vor dem Computer" - oder eben vor dem Brett. Zeit für weiteres Training!

training frhstck
       Die drei Zutaten des Erfolgs: Trainieren, trainieren, trainieren (und etwas Honig)

Das Rennen um die vorderen Plätze wogte indessen auch ohne den matten SF Steffens (siehe oben) hin und her. Die Höffers, Charmeteaus und Asendorfs dieser Welt schnappten sich Punkt um Punkt, und man hätte kaum gedacht, dass ein junger Konkurrent noch so lange um die Spitze mitspielen würde. Doch in der Tat, vor der letzten Runde war Werdertiger David Kardoeus punktgleich führend, alleinig führend, wer weiß das schon so genau, und nur eine Null am Ende gegen den gefährlichen FM Stephan Buchal brachte ihn letztlich um einen großen bremischen Schacherfolg - schade! Dies war die Chance für die Titelträger FM RA Dr. Joachim Asendorf und FM David Höffer, noch gemeinsam an die Spitze zu ziehen - und dort waren sie dann am Ende, mit je 8,5 Punkten aus elf strengen Runden. Glückwunsch an beide Preisträger - und an den Turniersieger Joachim Asendorf, der durch den Sieg im direkten Vergleich Platz Eins und seinen hervorragenden Platz im Gesamtklassement behauptete.

Der Spezialpreis < 2000 DWZ wurde anschließend überreicht an Robert Klemm von der Bremer SG. Den Sonderpreis der Jury erspielte sich Carsten Ballandis (SVW) mit Erreichen des souveränen fünftletzten Platzes. Glückwunsch auch hier!

Weiter geht es im Februar mit dem Monatsblitz Semi-Royale: die Bundesliga (Schach!) kommt am 03. und 04.Februar nach Bremen in Gestalt der SG Solingen, DJK Aufwärts Aachen und dem SV Mülheim-Nord, und Werder lädt ins Weserstadion zu zwei sehr intensiven Spieltagen im Norden. Zum Aufgalopp der Doppelrunde findet am Donnerstag, 01.Februar 2018, der Monatsblitz Semi-Royale statt, mit hübschen Preisen am Vor-Vorabend der Bundesligarunde und einem (mal schauen) gut gefüllten Vereinsheim in der Hemelinger Straße. Nah und fern - kommt alle und seid dabei!

Bundesliga Plakat Februar 2018 V4

Noch zwei Worte am Rande:

a) Nichts geht im Blitzen ja ohne einen Turnierleiter - ich hielt es seit jeher für übermenschlich, sowohl die Turnierrunden als Spieler zu bestreiten, als auch die Zeit zwischen den Runden damit zu verbringen, dem versammelten Schachvolk die Ergebnisse abzuringen UND dann auch noch korrekt in die Turniertabelle einzutragen: wer gegen wen, in welcher Runde, wie war das Ergebnis, habe ich alles eingetragen?

Wenn ich einst in schwachen Minuten mal das Amt des Turnierleiters übernahm - es war keine Freude für alle Beteiligten, und Fehler in der Tabelle waren eine für alle faszinierende Begleiterscheinung. Nichts dergleichen allerdings scheint der Fall, wenn ein Blitz-Wettbewerb bei Werder von Stefan Preuschat geleitet wird: Stefan blitzt zügig mit wie ein junger Schachgott, und sammelt ohn' Unterlass, mit nie versiegender Energie und zu hundert Prozent korrekt die Resultate ein.

Das ist beinahe übermenschlich. Wir sagen vielen Dank!

Mobli
          Raketentechnik könnte kaum komplexer sein - die Turniertabelle, souverän geführt von SF Preuschat

 

b) Was hören wir da wieder von der FIDE? Änderung der Blitzschach-Regeln, alles muss raus, Platz für neue Regelungen:

- erst der zweite unmögliche Zug verliert nun die Partie, der erste unmögliche Zug verliert nicht mehr direkt, wird jedoch mit einer Minute Zeitgutschrift für den Gegner geahndet. Wir sagen: viel Spaß beim Einstellen der Uhren! Sonst aber eine interessante Regelung - endlich kann man seinen König wieder stehenlassen oder sonstigen Unfug machen, ohne gleich zu verlieren. Doch war es nicht immer genau das, was Blitzschach ausgemacht hat - gesunde Härte?

- niemand hat mich vorher dazu befragt, darum kommt es für mich überraschend, dass ab 2018 auch der Plättchenfall neu verhandelt wird. In den goldenen Schachzeiten (= bis incl 2017) war die Partie unentschieden, wenn beide Plättchen gefallen waren. Eine schöne, klare Regelung - doch natürlich musste man sie irgendwie ändern, und zwar so: das erste gefallene Plättchen verliert.

Wenn beide Plättchen gefallen sind, stellt man fest, welche zuerst "unten" war - und diese Seite hat dann verloren. Zum Glück gibt es die elektronische Schachuhr, mit der solcherlei Rekonstruieren möglich wird. Doch warum soll jemand eine Partie gewinnen, dessen Zeit ebenfalls abgelaufen ist? Soll es keine Rettung mehr geben, sobald auch der geschätzte Gegner seine Zeit überschreitet? Wie langweilig.

Das alles ist betrüblich. Natürlich gibt es noch viel betrüblichere Dinge auf dieser Welt, und hey, es ist ja nur Schach. Und trotzdem - wieso können jahrhundertelang bewährte Blitzregeln einfach so geändert werden?

Vielleicht habe ich das alles auch nur falsch verstanden. Unmögliche Züge werden erlaubt, man kann gewinnen, auch wenn das eigene Fähnchen gefallen ist - welche Späße wird sich die FIDE noch ausdenken für das Blitzen? Hauptsache aber, wir dürfen keine Bermudashorts mehr tragen beim Schach. Der Rest ist dann schon egal.

Trösten wir uns daher schnell mit etwas Schach aus der Zeit, wo man noch nach den (alten) Regeln spielte:

 

Michna-Paehtz nach 74 Zügen
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05. Januar 2018

Blitzschach und Poesie

Zur heute besprochenen Partie zunächst die Schlusstellung: Turm gegen Turm ist generell remis, Ausnahmen bestätigen diese Regel. Die beiden beteiligten Damen haben nicht etwa nach und nach, gepflegt und freundschaftlich, Figuren und Bauern getauscht bis es soweit war - nein, auch diese Stellung wurde auf Umwegen erreicht.

Dieser Artikel, Teil zwei einer Serie, war bereits geplant bevor ich von dichterischen Aktivitäten auf Facebook erfuhr. Angefangen hatte eine Schachspielerin, die auch singen kann - derlei Ambitionen habe ich nicht. Und auch das war Teil einer Serie, zuvor bekam ein Grossmeister gleich zwei Ständchen. Nun bin ich selbst dran, vorab eine kurze Zusammenfassung dieses und des vorigen Artikels - "ein jeder wird zum Dichter, und nun auch Thomas Richter":

Paehtz zweimal mit Mehrfigur,

was machte sie dann nur?

Es war nicht souverän,

doch kurios anzuseh'n.

Weiss sagte zweimal "niemals nie",

und einmal wurde es remis.

Lela ist das nicht gelungen,

doch Marta hat es dann erzwungen.

Sie konnte Paehtz "betrügen",

nach nicht mal hundert Zügen.

War das jeweils ein Witz?

Nun ja, es war halt Blitz!

"Betrügen" natürlich nur des Reimes wegen ... . Vorab noch das: Zuvor gewann Paehtz im Schnellschach Bronze - vor allem durch einen starken Schlusspurt. Ein sehr gutes, dabei nicht unbedingt "sensationelles" Ergebnis für die Nummer elf der Setzliste. Im Blitzturnier war lange unklar, wer beste deutsche Spielerin wird: am Ende hatte Paehtz einen halben Punkt Vorsprung auf Michna - und das ist (im Schweizer System) relevanter als Turnierleistung und Buchholz. Nach dem ersten Tag waren beide punktgleich, am zweiten Tag lag meistens Michna vorne, aber nicht mehr nach 21 von 21 Runden. Punktgleich waren sie zuvor aufgrund des direkten Duells in Runde 11, dann war erst einmal Pause - Abendessen, Nachtruhe, den ersten Tag verdauen und dann nochmal 10 Partien.

Michna (2377) - Paehtz (2464) 0-1 1/2

Wieder überspringe ich die Eröffnung bzw. erwähne dazu nur, dass Marta Michna 1.e3!? entkorkte - nicht ganz neu, so spielte bereits u.a. Magnus Carlsen, von ihm inspiriert (Partien chronologisch später) seine Landsleute Simen Agdestein und Aryan Tari, ausserdem Baadur Jobava, Richard Rapport, ... . Alle kann ich nicht nennen, noch ein paar: im Alphabet direkt hinter Carlsen Jonathan Carlstedt, dreimal auch Bent Larsen (im zweiten Zug nach 1.-Sf6 oder 1.-f5!? jeweils Larsen-untypisch 2.b4!?), zweimal anno 2004 auch Marta Michna (jeweils in Warschau in der alten polnischen Heimat), grösster Spezialist offenbar ein gewisser Novotny bzw. wenn man genauer hinschaut deren drei - Jaroslaw, Jiri und vor allem Josef. Erst oder bereits 8.-Sc6 (der kam von e7) war in der heute besprochenen Partie total neu - Michna hatte allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits über eine Minute investiert.

Direkt "nach der Zeitkontrolle", nämlich nach 40.-g2, stand es so:

Michna Paehtz move 40

Noch hat Schwarz keine Mehrfigur, nicht einmal einen Mehrbauern, und steht dennoch offensichtlich besser - Weiss hat nur einen nicht allzu beeindruckenden Freibauern. Sechs Züge später stand es so:

Michna Paehtz move 46

Nun hat Weiss immerhin einen Freibauern, der die Gegnerin etwas beschäftigt (f3 meine ich nicht). Ab hier Zug um Zug: 46.-Txe4+ 47.fxe4 g1D+?! (natürlich nicht wirklich falsch, aber Schwarz konnte damit noch warten und zunächst 47.-Lxd7 spielen) 48.Txg1 hxg1D+ 49.Txg1 Lxd7

Michna Paehtz move 49

Im Prinzip aus schwarzer Sicht gewonnen genug. Michna gab nicht auf, Paehtz musste noch Technik demonstrieren - bei perfekter oder jedenfalls guter schwarzer Technik gäbe es diesen Artikel nicht. Ab hier einige Motive - Endspiel, diesmal nicht damenloses Mittelspiel, denn wir haben bereits ein Endspiel. Wieder ist es Zufall, dass diese beiden Spielerinnen beteiligt sind - allerdings kein Zufall, dass ich mir ihre Partie angeschaut habe. Derlei Stellungen haben Leser vielleicht auch mal in Blitzpartien, oder mit anfangs mehr aber inzwischen knapper Bedenkzeit. Wie zuvor erwähnt, die allermeisten Leser haben wohl Elo unter 2400 (und auch unter 2377). "Gewühlt" hatte Michna zuvor vom 40. bis zum 46. Zug - nun hat sie eher das Ende abgewartet und/oder auf ein Wunder gehofft.

50.Kd4 Le6 51.e5+ (mag Stockfish gar nicht, aber auch das laut ihm beste 51.Tb1 sollte nicht gut genug sein) 51.-Kf7 52.Tb1 Ta4 53.Tf1+ Ke7 54.Tb1

Michna Paehtz move 54

Der erste "technische" Moment: sauber war offenbar 54.-Lxc4 nebst -Lxa2 - der schwarze Turm bleibt da, wo er am besten steht: hinter dem (entstehenden) Freibauern. Dass Schwarz nur noch diesen a-Bauern behält und dazu den falschen Läufer war unvermeidlich (b6 passiv verteidigen bringt keine Fortschritte). 54.-Txc4+ war natürlich nicht falsch - Schwarz muss danach nur wieder umgruppieren, was in der Partie möglich war aber nicht geschah. 55.Ke3 Tc2 56.Txb6 (der ist weg) 56.-Txa2 (der auch) 57.Tb7+ Ld7 58.Kd4 Tb2 59.Ta7

Michna Paehtz move 59

Und hier ging nun 59.-Tb4+ 60.Kc3 Ta4 61.Txa4 (was sonst?) 61.-Lxa4

Michna Paehtz move 59 Variante

Analysediagramm - ähnlich oder analog bereits im vorigen Artikel. Wenn ja wenn Weiss zwei Freibauern hätte, die der gegnerische König nicht beide kontrollieren kann, dann wäre auch das remis. So ist die einzige "Remischance" à la Carlsen-Inarkiev 62.Kc2!??! und hoffen, dass die Gegnerin nicht reklamiert (62.Kb3 oder 62.Kb2 könnte auch funktionieren, wäre allerdings dann ein doppelter Lottogewinn). Stattdessen kam 59.-a2 (auch das sollte gewinnen, sonst nichts) 60.Kc5 Ke6 61.Kd4 Td2+ 62.Kc3 Tg2 63.Kd4

Michna Paehtz move 63

Und wieder konnte der "falsche" schwarze Läufer den richtigen Zug machen - 63.-La4!

Michna Paehtz move 63 Variante

Da ist er indirekt gedeckt, und hier könnte Weiss (bis auf ein paar Schachgebote) allenfalls noch z.B. 64.Tc1!??! versuchen. Stattdessen 63.-Lc6 (nicht falsch, aber die Ursache dessen was kommen würde) 64.Ta6! Kd7 65.e6+ Ke7 66.Kc5 Tc2+ 67.Kd4

Michna Paehtz move 67

Und nun? Am einfachsten war wohl 67.-Lb5 und erst dann 68.-Kxe6 (oder, wenn Weiss das nicht zulässt, 68.-Lxa6 bzw. 68.Tb6 a1D). Stattdessen 67.-Kxe6?? und nun ist es passiert: 68.Kd3! Tb2?! (sie konnte noch z.B. 68.-Tc1 69.Txa2 oder 68.-a1D 69.Txa1 versuchen - Turm und Läufer gegen Turm ist zwar theoretisch aber nicht immer praktisch remis, das Turmendspiel ist dagegen trivial remis) 69.Txc6+! Kd5 70.Ta6 Kc5 71.Kc3 Tf2 72.Kb3 Kb5 73.Ta8!? (73.Txa2=) 73.-Tf3+ 74.Kxa2

Michna Paehtz zum Schluss

Dieses Diagramm hatten wir bereits, dazu eine Anekdote aus eigener Praxis im letzten Jahrtausend: Kurz nach der Wiedervereinigung spielte ich für die Kieler SG Brett 4 bei der Norddeutschen Blitz-Mannschaftsmeisterschaft (als Reservespieler - andere hatten den Verein qualifiziert und danach verlassen). Dabei waren Schleswig-Holstein (meerumschlungen!), Niedersachsen (etwas Küste), Mecklenburg-Vorpommern (Küste und Seenplatte), Hamburg, Bremen und Berlin (auch am Wasser) sowie Brandenburg (relativ trockenes Bundesland, Ausrichter war das dezentral gelegene Forst bei Cottbus an der polnischen Grenze).

Damals prallten "Schachkulturen" aufeinander: im Westen wurde mit Turm gegen Turm remis vereinbart, im Osten war es dagegen akzeptabel, bis zum Blättchenfall weiter zu zocken - jeweils zumindest Mehrheits-Ansicht? Nun vereinbarten eine Hamburger Polin und eine Thüringerin hier remis, Ursachenforschung: 1) Die Wiedervereinigung ist vollendet, und der Westen hat sich hier durchgesetzt? 2) Auch damals war es nur auf Niveau Elo unter 2400 üblich? 3) Inzwischen gibt es Inkrement, was Gewinnversuche erschwert. Übrigens hatte Michna hier noch 23 Sekunden, und Paehtz noch vier.

Wasser hatte ich bereits erwähnt - auf Texel regnet es momentan, und gleichzeitig scheint die Sonne, also ein Regenbogen. In Riad hat es vermutlich nicht geregnet, da kein Naturwunder aber aus Michnas Sicht ein schachliches Wunder.

Im nächsten Artikel werde ich mir dann vor allem Frau Gunina und Frau Goryachkina vorknöpfen, ein bisschen auch Frau Kosteniuk und Frau Batsiashvili - Partien mit deutscher Beteiligung hatten Priorität.

 

Paehtz-Javakishvili (während 55.-Txa3)
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Das - Nachlese zur Blitz-WM im umstrittenen Riad - wird Teil eins einer Serie. Diverse Blitzpartien im Damenturnier registrierte ich, weil die Spielerinnen nun einmal dabei fotografiert wurden - ob das von dem Fotografen oder der Fotografin Absicht war oder ebenfalls Zufall, kann ich nicht beurteilen. Kein Zufall allerdings, dass deutsche Spielerinnen beteiligt sind - wobei ich später zeigen werde, dass neben einer deutschen Spielerin und einer Georgierin auch andere (aus Deutschland, Georgien und Russland) diese Art, Blitzschach zu spielen, beherrschen. In diesem Artikel am Ende auch ein "turnierrelevantes" und nach Elo hochkarätiges Fragment aus dem offenen Blitzturnier.

Sinn der Sache ist nicht, mich über die Spielerinnen zu mokieren - auch wenn mir das vielleicht unterstellt wird. Nein, es geht um zwei Dinge: 1) Wie kann man (oder frau) eine Gewinnstellung effizient gewinnen? Einige Momente sind da wohl spezifisch, aber ein Motiv wird insgesamt doppelt auftauchen. 2) Wie geht Wühlen in (totaler) Verluststellung, vielleicht gar erfolgreich? Beides ist vielleicht lehrreich für das Publikum dieses Blogs, wobei die allermeisten Leser(innen) wohl Elo deutlich unter 2400 haben. Unterhaltsam ist es womöglich auch.

Ohne weitere Vorrede nun zu Javakishvili (2449) - Paehtz (2464) 0-1. Das Titelbild etwa bei Halbzeit (nach Zügen, wohl nicht nach verwendeter und verbleibender Bedenkzeit), das erste Diagramm zeigt nun die Schlusstellung:

Javakishvili Paehtz zum Schluss

Das ist - so etwas gibt es - eine gewonnene Version von Turm gegen Turm, da nur Schwarz seinen bzw. ihren König behält. So stand es nach 104 Zügen und diversen Irrungen und Wirrungen - Paehtz hatte gut 80 Züge lang eine Mehrfigur und konnte die Gegnerin sicher schon früher zur Aufgabe bewegen. Javakishvili verpasste allerdings die eine oder andere Remischance - nicht nur am Ende mit Turm gegen Turm und Läufer, auch zuvor mit Bauern und teils weiteren Figuren auf dem Brett.

Javakishvili Paehtz move 18

Das die Stellung nach 17.-e4 18.h4?? - momentan hängen zwei Figuren, dabei blieb es quasi nach 18.-Df6! allerdings waren es nun zwei weisse Figuren. "Der Rest ist Technik"?! Javakishvili weigerte sich, aufzugeben - denn durch Aufgeben wurde noch nie eine Partie gewonnen, und dafür gibt es auch keinen halben Punkt. Die nächsten 20 Züge überspringe ich, wie auch zuvor die etwas unkonventionelle Eröffnung, dazu sage ich nur "A41" - Königsindisch und irgendwie doch nicht, Schwarz spielte nie -Sf6 (sondern erst im 21. Zug -Se7). So stand es nach 38.Tc3:

Javakishvili Paehtz move 38

Bis dahin machte Schwarz Fortschritte, und nach dem ebenso gierigen wie einfachen 38.-Sxf2 - das nicht nur einen Bauern gewinnt sondern auch die weissen Springer entwurzelt - 39.Tf1 Txg3 40.Txf2 Tg4 wäre die Partie vielleicht "zur Zeitkontrolle" oder kurz danach vorbei - 0-1 ohne Umwege.

Stattdessen 38.-Lb3 "mit Tempogewinn" - allerdings tut die schwarze Mehrfigur da nichts, während Weiss nun aktive Möglichkeiten erhält: 39.Td7 (Teil von Javakishvilis Wühlerei zuvor war 34.c5 und 35.c6) 39.-Tf6 (Schwarz muss f5 decken, und wieder -Le6 funktioniert nicht: 39.-Le6?? 40.Sxe6 Txe6 41.Sxf5 und Weiss gewinnt) 40.h6 (Weg damit!) 40.-Kxh6? (40.-Tgf7 und Schwarz steht weiterhin besser, aber auch hier vielleicht nicht total gewonnen):

Javakishvili Paehtz move 40

Und schon ist es passiert!?! Weiss hat hier 41.Txg7 Kxg7 42.Sgh5+ (falsch wäre 42.Sfh5+ Kg6 43.Sxf6 Sxf6 44.b5 Sd5) 42.-Kf7 43.Sxf6 Sxf6 44.b5

Javakishvili Paehtz move 40 Variante

Analysediagramm - Weiss steht nicht mehr schlechter! Da zeigte sich, dass vom Springerquartett im Diagramm zuvor die weissen gefährlicher waren - schliesslich stand am Königsflügel unkoordiniertes bzw. gabelanfälliges schwarzes Holz!

So kam es nicht, sondern 41.Tc5? Sfe5 42.Sgh5 Sxd7 (42.-Txd7 43.cxd7 Td6 war genauer) 43.cxd7 Txd7 44.Sxf6 Sxf6 45.Txf5 Td6 46.Tc5 Td2+ 47.Kc1 Txf2 48.Sh3 Tf3 49.Sg5 Tf1+ 50.Kd2 Tf2+ 51.Ke3 Tc2 52.Ta5 - Turmtausch war hoffnungslos aus weisser Sicht, und nun stand es so:

Javakishvili Paehtz move 52

Hat Weiss mit reduziertem Material wieder Hoffnungen oder Schummelchancen? In der Partie ja, da Schwarz auf das multi-funktionale 52.-Sd5+ verzichtete - deckt für alle Fälle c7 und gewinnt nebenbei noch eine Figur. So kam es allerdings nicht, sondern 52.-Kg6 53.Sxe4 (einer weniger) 53.-Sxe4 54.Kxe4 Ta2 55.Tc5 Txa3

Javakishvili Paehtz move 55

Zu diesem Zeitpunkt, bzw. kurz davor, wurden Javakishvili und Paehtz fotografiert. Nun natürlich 56.Txc7 und Schwarz hat nur noch den falschen Randbauern bzw. den falschen Läufer - das zu gewinnen ist jedenfalls nicht mehr trivial. 56.-Ta2 (Engines sagen, dass 56.-Ta1 viel besser ist, aber alles kann ich nicht untersuchen) 57.Ta7 Td2 58.b5 (Weiss hat auch einen Freibauern) 58.-Td6??

Javakishvili Paehtz move 58

Eigentlich ist es wieder passiert, aber Schwarz spielte den Remiszug erst als er keiner mehr war: 59.Ta5? (59.Ta6! und Schwarz kann weder Turmtausch verhindern noch, dass der weisse König dann das Feld a1 erreicht) 59.-Kf6 60.Ta6 

Javakishvili Paehtz move 60

Zu spät! Und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben - so kam es am Ende. 60.-Ke6? Hier gewann offenbar nur 60.-Ke7! 61.b6 Tc6 62.b7 Tc4+ - das geht mit schwarzem König auf e6 nicht - 63.Kd3 Tb4 64.Ta7 Kd6 65.Kc3 Tb5 [bitte nicht 65.-Tb6? 66.Ta6! =] usw. - Tablebases sagen, dass das für Schwarz gewonnen ist nachdem der weisse b-Bauer unweigerlich fällt, und zwar ohne Turmtausch. Trivial ist es auch dann nicht unbedingt. 61.b6 - nun muss der weisse Läufer sich um den b-Bauern kümmern. Nicht remis ist hier 61.Txd6+? Kxd6 62.Kd4 a3 63.Kc3 La4!

Javakishvili Paehtz move 61 Variante

Analysediagramm - Der weisse König kommt nicht in die Ecke, sondern muss früher oder später -a2 und -a1D zulassen. Hier konnte Weiss dieses Szenario verhindern, in der nächsten Partie (nächster Artikel, selbe Schwarzspielerin) konnte Schwarz derlei forcieren. Zurück zur Partie:

61.-Ld5+ 62.Ke3 Lc6 63.b7 Lxb7

Javakishvili Paehtz move63

64.Txa4?! - auch das ist eigentlich remis, aber einfacher und forciert war 64.Txd6+ Kxd6 65.Kd3 (65.Kd2 geht auch, aber nicht 65.Kd4?? a3 66.Kc3 Ld5! 67.Kc2 La2!)

Javakishvili Paehtz move 64 Variante

Analysediagramm - auch hier wird der weisse König dann abgedrängt. Richtig wie gesagt 65.Kd3 a3 66.Kc2! = denn der Laufspringerzug 66.-Lb7-d5-a2 ist regelwidrig.

So übten sie noch Turm und Läufer gegen Turm und Schwarz gewann doch noch. Alle Feinheiten will ich nicht besprechen - meistens war es Tablebase-remis, mehrfach für Schwarz gewonnen und dann wieder remis, nach 102 Zügen stand es so:

Javakishvili Paehtz move102

Und nun 103.Td7? (allwissende Tablebases empfehlen Kd1, Kf1 oder Tc8, sonst nichts, und sagen "remis") 103.-Ke3! 104.Txd5?! - so ist es einfach, nach 104.Kd1 oder 104.Te7+ müsste Schwarz noch Technik zeigen, was sie zuvor mehrfach nicht vollenden konnte 104.-Th1#

Javakishvili Paehtz zum Schluss

Dieses Diagramm hatten wir bereits: Matt beendet die Partie - auch wenn es materiell ausgeglichen ist (auch wenn die mattgesetzte Seite eine, zwei oder fünf Mehrfiguren hat).

Zur Partie insgesamt: Es war eine dramatische Blitzpartie ... . Eine andere kurios-vergleichbare aus dem Damenturnier habe ich nicht ganz zufällig entdeckt, wie üblich derlei insgesamt war - dazu habe ich nicht recherchiert. Endspiel Turm und Läufer gegen Turm ist ein Thema für sich - auf hohem Niveau durchaus gängig, empirisch-praktische Gewinnchancen für die stärkere Seite vielleicht 50% (d.h. die Turmseite kann etwa jede zweite Partie remis halten). Selbst hatte ich es, soweit ich mich erinnern kann, noch nie.

Mit doppelter Hilfe von Colin McGourty fand ich dazu ein Interview mit Vladimir Malakhov, u.a.: "In endgames, after all, it’s important not only to know the theory, which you can get from books, but to have intuition, which you can’t learn. It shows up with me, for instance, in the fact that all the “R + B v R” endgames that I’ve had in my life I’ve won as the stronger side, and drawn as the weaker side." [In Endspielen ist es dabei nicht nur wichtig, die Theorie zu kennen - dafür gibt es Bücher. Nein, man braucht auch Intuition, das kann man nicht lernen. Bei mir zeigt es sich zum Beispiel daran, dass ich in meinem Leben 'Turm und Läufer gegen Turm" mit Materialvorteil immer gewann, und mit materiellem Nachteil immer remis hielt.] "Immer" ist im zweiten Fall nachvollziehbar, im ersten Fall erstaunlich!?

Colins doppelte Hilfe: Im September 2010 hatte er das unter Künstlername mishanp aus dem Russischen übersetzt, daran (bzw. an so etwas von "einem" russischen GM, vielleicht Malakhov) erinnerte ich mich dunkel. Im Januar 2018 kam auf Nachfrage eine hilfreiche private email.

So, und das waren genug Aufregungen, Irrungen und Wirrungen für einen Artikel - fast. Im offenen Blitzturnier kopierten zwei Spieler mit (Blitz-)Elo 2800+ bis zu einem gewissen Grad tatsächlich Elisabeth Paehtz, Lela Javakishvili und Marta Michna (soviel verrate ich bereits: Teil zwei der Serie wird Michna-Paehtz 0-1 1/2). Wohl nicht nur ohne Absicht, sondern ohne es überhaupt zu wissen - ihre Partie aus der entscheidenden Turnierphase (Runde 19 von 21), Javakishvili-Paehtz war Runde 5, Michna-Paehtz Runde 11. Ich zeige beide zunächst - Fotos ab Turnierseite über Facebook, sie stammen aus dem Schnellturnier mit auf diese Partie bezogen jeweils der falschen Farbe:

 Aronian

MVL

Die meisten Leser (er)kennen sie wohl - oben Levon Aronian, unten Maxime Vachier-Lagrave. Der Armenier drehte am zweiten Blitztag auf, der Franzose spielte da ab Runde 16 plötzlich nicht mehr Remis - aber insgesamt in dieser Phase 2/5 war noch etwas weniger als 2.5/5.

Zu weiten Strecken der Partie nur soviel: MVL entkorkte 1.b3!?, verschmähte später eine Zugwiederholung, dennoch war es lange ausgeglichen. Ab dem 60. Zug bekam Aronian Oberwasser, später verkündeten Engines mitunter bereits Matt in weniger als 25 Zügen.

MVL Aronian move 86

Auch hier, zuletzt geschah 86.Txa3 Txd4 - Weiss hatte einen Bauern geschlagen, Schwarz einen Springer. Wesentliche Kennzeichen dieser Stellung nun spiegelbildlich zu Javakishvili-Paehtz und auch Michna-Paehtz: Schwarz hat hier einen h-Bauern und dazu den falschen schwarzfeldrigen Läufer. Wenn Tablebases sagen "Schwarz gewinnt", dann kann Schwarz das gewinnen. Livekommentator Miroshnichenko skizzierte die Gewinnmanöver, Aronian hörte zunächst auf ihn (ohne dass er ihn hören konnte). Nach genau 100 Zügen (bzw. mit dem richtigen 101. Zug) konnte MVL allerdings mal Remis forcieren:

MVL Aronian move 100

Das dürfen Leser selbst entdecken, nur ein sachdienlicher Hinweis: Wenn Nigel Short das Sagen hätte, gäbe es diesen Remisweg nicht.

MVL Aronian move 112

Nach 112 Zügen (und nun 112.-Te2) war es Matt in sieben - wie genau dürfen Leser mit (oder ohne) Hilfe von Tablebases erforschen. Aronian spielte stattdessen 112.-Ta3 was nach 113.Kh2 Le3 114.Kxh3 den h-Bauern kostete:

MVL Aronian move 114

Immer noch kein Problem - das ist eine gewonnene Version von Turm und Läufer gegen Turm! Vom 117.-123. Zug war es dann allerdings Tablebase-remis, und dann gewann Aronian doch. Da nach dieser noch zwei Runden gespielt wurden, kann man nicht genau sagen wieviele $ in dieser Partie verteilt wurden - am Ende war Aronian jedenfalls mit 14/21 geteilter Vierter bis Fünfter mit Wang Hao, und MVL teilte mit 13/21 Platz zwölf mit sechs anderen Spielern.

Und nun sage/schreibe ich "Fortsetzung folgt"!