Der KGB setzt matt
von GM Boris Gulko, GM Viktor Kortschnoj
von Wladimir Popow, Juri Felschtinski

Wie der sowjetische Geheimdienst die Schachwelt manipulierte ...

Tatsachenbericht, Biographie
Preis: 22,00 €
Bezugsquelle: Schachversand Niggemann
Dieses Rezensionsexemplar wurde vom Schachversand Niggemann zur Verfügung gestellt.
ISBN-13: 978-3-935800-06-8
Verlag: Exzelsior, Sprache: Deutsch
216 Seiten, gebunden, 1. Auflage 2009

der-kgb-setzt-matt

Das KGB entstand 1954 und wurde 1991 aufgelöst, danach übernahm der Föderale Sicherheitsdienst (FSB) dessen Aufgaben. Heute nennt sich lediglich der Geheimdienst in Weißrussland KGB.

Aufgabenschwerpunkte des KGB:
- Auslands-Spionage
- Gegenspionage
- Kontrolle von Regimegegnern innerhalb der Sowjetunion
- Überwachung der Staatsführung / Mitgliedern der Partei

Und was hat das alles mit Schach zu tun ... ?

Das vorliegende Werk ist in drei Bereiche aufzuteilen:

1. Kampf David vs. Goliath oder GM Boris Gulko vs. KGB. GM Boris Gulko schreibt über seine Erlebnisse (bis Seite 116)
2. Wladimir Popov & Juri Felschtinski berichten über interne Verknüpfungen und Einflussnahmen des KGB (bis Seite 196)
3. Nachwort von GM Viktor Kortschnoj, Brief von Popov an Felschtinski

Zu Teil 1:
Bekanntlich gestaltet es sich als schwierig, sich eine Meinung aufgrund der Darstellung nur einer Seite zu bilden. GM Boris Gulko schildert im ersten Teil - sehr detailliert - seinen Kampf gegen die KGB-Maschinerie. Hierbei benennt er alle involvierten Personen mit Namen und Dienstgrad / Abteilung (das sind nicht wenige). Gulko war in jüngeren Jahren am Schachbrett sehr erfolgreich, dann begann er sich gegen das Regime zu wehren. Gulko, jüdischer Abstammung, stellte gemeinsam mit seiner Frau GM Anna Achscharumowa einen Ausreiseantrag. Das Ende der schachlichen Karriere der Gulkos war damit besiegelt und beide galten in der Sowjetunion als "Abgelehnte". Unmöglich würde er damit durchkommen, denn der KGB hatte unter anderem Angst davor, er würde mit GM Viktor Kortschnoj sympathisieren (etwa unterstützend als Sekundant), zumal in einer Zeit, als GM Viktor Kortschnoj sehr erfolgreich war und selbst Chancen hatte um die Krone zu spielen. Das alles war für den KGB Katastrophe genug, bekanntlich flüchtete Kortschnoj und wurde Schweizer Staatsbürger. Es lag im Interesse des KGB, dass Anatoli Jewgenjewitsch Karpow Weltmeister blieb. Der Kampf begann und die Gulkos wehrten sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, wie Hungerstreik, Demos etc. Boris Gulko selbst war nicht bekannt, dass verschiedene Großmeister seinen Kampf unterstützten, indem sie bei Schachturnieren T-Shirts mit der Aufschrift "Boris Gulko" trugen.

Beim Lesen dieses unglaublichen Lebensabschnittes von Boris Gulko habe ich mich selbst dabei erwischt, die Faust zu ballen. Besonders hat mich ein öffentlicher Brief bewegt. Großmeister, die diesen nicht unterschrieben, mussten damit rechnen, nicht mehr an Turnieren im Ausland teilnehmen zu dürfen. Allerdings wollte jeder Sportler, jeder Trainer, einfach alle, aus den im Buch ausführlich geschilderten Gründen, ins Ausland reisen dürfen.

Boris Gulko hat letztendlich seine Partie gegen den KGB gewonnen. Er kann nun stolz auf seine Vergangenheit zurückblicken. Er gehörte nicht zu den "Ja-Sagern", sondern wählte den beschwerlichen Weg. Die Gulkos lebten zeitweilig in ärmlichen Verhältnissen, wie fast alle der "Abgelehnten".

Beachtlich: Gulko zog seinen beschwerlichen Weg durch.

Gulko ist einer der wenigen Spieler, die eine positive Bilanz gegen WGM Garri Kimowitsch Kasparow haben. Er hat 8x gegen Kasparow gespielt und dabei 3x gewonnen, 4x Remis gespielt und nur 1x verloren. Auch seine Frau GM Anna Achscharumowa, hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Chancen gehabt, selbst um die Weltmeisterschaft zu spielen. Damit hat die Nachwelt aus schachlicher Sicht verloren, aber ...

Ein Lebensziel wiegt mehr als eine Karriere am Schachbrett.

Gulko selbst relativiert an vier Stellen seine Erläuterungen deutlich (sofern ich richtig gezählt habe). Er schreibt, dass er Handlungen von KGB Agenten und anderen involvierten Personen verstehen konnte. So Gulko: "Die haben auch nur Ihre Arbeit erledigt". Sein Kampf richtete sich nicht gegen Personen, sondern gegen das Regime selbst.

Fast kein bekannter sowjetischer GM dieser Zeit bleibt unerwähnt. Auf welcher Seite standen welche Personen? Wo standen GM Krogius, WGM Karpow, WGM Botwinnink und die vielen anderen? Mittels ChessBase Mega 2010 habe ich mir Bilder aus der Zeit angesehen, Partien nachgespielt. Interessant wäre es, einen "Stammbaum" der genannten Personen zu erstellen. Mit einer solchen Aktion wäre ein interessierter Leser sicherlich 1-2 Tage beschäftigt.

Gulko genoss immer einen sehr guten Ruf, u.a wurde er nach seiner Ausreise amerikanischer Landesmeister.

Erschreckend ist der Tatbestand, dass über die ganze Geschichte nur wenig berichtet wurde. Ich selbst habe darüber in jungen Jahren nur sehr begrenzt Informationen erhaschen können.

Zu Teil 2:
Im zweiten Teil werden weitere Missstände beschrieben. Der KGB hatte auch im Ausland - und überhaupt im Sport - seine Hände im Spiel. Ob nun beim Karate oder bei einzelnen Sportlern wie dem Wasserspringer Sergej Nemzanow, der Eisläuferin Katharina Witt oder der sehr beliebten Turnerin Olga Korbut. Die Liste der im Buch erwähnten Namen ist ellenlang. So wird auch der Eishockey Trainer Viktor Tichonow benannt (Leonid Iljitsch Breschnew's Lieblinge waren Eishockey und Schach). Es wird im Detail zu GM Boris Wassiljewitsch Spasski und GM Viktor Kortschnoj oder seinem Sohn Igor Kortschnoj berichtet. Während Viktor Kortschnojs wichtigstem Match wurde sein Sohn Igor in ein russisches Gefängnis gesperrt. Warum wurde der Kampf Karpow - Kasparow beim Stand von 5:3 abgebrochen? In welcher Verbindung stand der FIDE Präsident (heute Ehrenpräsident) Florencio Campomanes zum KGB? Im zweiten Teil erhält der Leser einen sehr tiefen Eindruck über KGB Strukturen. Teilweise werden Themen aus dem ersten Teil wiederholt, allerdings aus der Sichtweise der hier verantwortlichen Autoren.

Zu Teil 3:
In einem Nachwort äußert sich GM Viktor Kortschnoj, dessen Sichtweise natürlich auch sehr interessant ist.

Bewertung: 5 von 5
Es steht mir fern, die "Partie", die GM Boris Gulko gegen den KGB spielte, zu bewerten. Es liegt mir auch fern, die vielen anderen Informationen zum Leben russischer Sportler in Verbindung mit dem Mächtigsten der drei russischen Machtorgane dieser Zeit (KGB, Partei und Armee) zu bewerten. Das Buch liest sich spannend, schockiert und informiert jedoch ungemein. Die Informationsflut ist unglaublich. Trotz der Masse an Informationen liest sich alles sehr flüssig und selbst für uns komplizierte russische Namen prägen sich gut ins Gedächtnis ein. Einmal in den Händen, legt man dieses Buch nur zähneknirschend wieder zur Seite.

Fazit:
Schach in Russland verkörperte sich für die "westliche Welt" als - sagen wir - geheimnisvoll.  Eingeleitet durch Michail Sergejewitsch Gorbatschow, kam es durch die Politik der Glasnost (Offenheit) und der Perestroika (Umbau) schrittweise zum Ende des "Kalten Krieges". In der Zeit des kalten Krieges gelangten nur wenige Informationen über russische Schachspieler in die Öffentlichkeit. Internet für den Hausgebrauch gab es nicht und jede Information der Schachpresse wurde dankbar aufgenommen. Dies alles war tragisch genug, denn viele russische Schachspieler setzten die Maßstäbe (Gulko, Tal, Botwinnik, Karpov, Kasparov, Polugaevsky, Krogius, Dorfman, Petrosjan, Psachis, Gutman, Spassky, Kortschnoj und viele weitere).

Mit dem Buch "Der KGB setzt matt" füllen sich nachträglich unsere Lücken mit vielen herbeigesehnten Hintergrundinformationen.

® Copyright: Frank Quisinsky / SCHACHWELT
vom 27.01.2010
zuletzt aktualisiert am 28.01.2010, 23:30