Die Moderne Schachpartie von Siegbert Tarrasch

Autor: Dr. Siegbert Tarrasch, Seiten: 453, gebunden, Format: 210mm x 150mm, Verlag: Edition Olms, Hombrechtikon Zürich, Erscheinungsjahr: 1912,, Auflage: 5. Auflage, 2003

Über den Autor:
Der Nürnberger Schachmeister Dr. Siegbert Tarrasch war einer der stärksten Spieler seiner Epoche, und das obwohl er eigentlich nur Amateur war, denn "nebenbei" praktizierte er als Arzt. Am Ende des 19. Jahrhunderts erzielte er sensationelle Erfolge bei Meisterturnieren der Schachkongresse, indem er eine Vielzahl dieser gewann. Viele behaupten, Tarrasch sei Lasker unterlegen, da er in ihrem Weltmeisterschaftskampf 1908 deklassiert wurde (+3 -8 =5). Ich denke jedoch, dass Tarrasch ihm in seiner besten Zeit (etwa Mitte der 90er des 19. Jahrhunderts) mindestens ebenbürtig war. Leider lehnte Tarrasch das Angebot eines Wettkampfes hochmütig ab, da Lasker zu dem Zeitpunkt noch keine größeren Turniererfolge aufweisen konnte, und auch wurde ihm von dem alternden Steinitz ein Angebot gemacht, in Havanna einen Wettkampf gegen ihn zu spielen, doch auch hier lehnte er "aus Arbeitsgründen" ab, und als Bestrafung holte sich Lasker den Titel von Steinitz ab. Naja, als Autor und Lehrmeister - Tarrasch erhielt die ehrenvolle Bezeichnung "Praeceptor Germaniae", Lehrmeister Deutschlands - schuf er mehrere Werke, die unzähligen Schachspielern Schach näherbrachten. Außer diesem Titel sind da noch "Das Schachspiel" und "300 Schachpartien" als Hauptwerke zu nennen.

Bezeichnend waren immer seine dogmatischen Lehrsätze wie "Springer am Rande bringt Kummer und Schande" oder "Türme gehören hinter den Freibauern".
Nun wollen wir aber sehen, ob das Buch auch wirklich noch was für heutige Generationen taugt.

Inhalt:
Das Buch beinhaltet 223 komplett kommentierte Meisterpartien aus dem Zeitraum 1903-1912, davon auch viele von Tarrasch selbst gespielt. Die Partien handeln alle damals am häufigsten gespielte Eröffnungen ab, sprich Damengambit und Spanische Partie, die zwei Drittel des Buches ausmachen. Am Ende des Buches finden sich verschiedene Aufsätze über schachliche Themen. Die neueste Auflage wurde von Rudolf Teschner durchgesehen und bearbeitet.

Rezension:

Vorab muss gesagt werden, dass ich mit Tarraschs Werk "Das Schachspiel" meine ersten Schritte auf dem Schachbrett gewagt habe, somit bitte ich um Rückmeldung, sofern ich nicht objektiv urteile.

Die Partien in diesem Buch werden auf etwa 2-4 Seiten und sowohl verbal als auch mit Varianten kommentiert. Tarrasch hat sich mit allein seinen Werken das Ziel gesetzt, dem ungeübten Spieler das Schachspiel näher zu bringen.
Wie ich finde, ist ihm das sehr gut gelungen. Die sehr geringe Anzahl an taktischen Ungenauigkeiten und ein gutes Verhältnis von Varianten und Kommentierung ermöglichen, die Partien zu verstehen.
Es ist aber ein sehr schwieriger Punkt zu erörtern, nämlich der Nutzen des Buches für heutige Verhältnisse.
Der Einfluss seiner Bücher war zu der Zeit bahnbrechend. Er fasste die Lehre von Steinitz zusammen und verbesserte sie an einigen Stellen, wodurch für viele der Zugang zum Positionsspiel ermöglicht wurde.

Man tat damals bestimmte Dinge, weil Dr. Tarrasch sagte, man müsse sie tun. (Schonberg)

Die Beherrschung des Zentrums, die schnelle Entwicklung der Figuren, das Beherrschen von offenen Linien, all diese Dinge sind Themen des vorliegenden Buches. Die von Tarrasch aufgestellten Lehrsätze wie "Springer am Rand bringt Kummer und Schand" sind heutzutage immer noch in aller Munde, werden jedoch etwas belächelt und nicht mehr ganz ernst genommen. Heutzutage stellen viele starke Spieler ohne großes Nachdenken die Springer an den Rand. John Watson stempelte in seinem ebenfalls bahnbrechenden Werken "Geheimnisse der modernen Schachstrategie" und "Schachstrategie in Aktion" die alten Meister als dogmatisch ab. Ich bin nicht ganz einverstanden damit. Ich habe bei Tarrasch auch schon gesehen, dass er den Turm über a3 entwickelt hat und nicht zentral, dass er seinen Turm nicht hinter den Freibauern gestellt hat etc. .
Zu letzterem las ich eine interessante Anekdote:

Dr. Tarrasch erhielt eines Tages einen Brief von einem verzweifelten Schachspieler.
In diesem regte dieser Schachspieler sich darüber auf, dass er seinen Turm "nach Tarrasch" hinter seinen Freibauern gestellt hat und deswegen die Partie verlor.
Als Antwort darauf "verbesserte" Tarrasch seine Regel:
Türme gehören hinter die Freibauern, sowohl hinter die eigenen, um den Vormarsch zu unterstützen, als auch hinter die gegnerischen, um deren Vormarsch zu erschweren, außer in den Fällen, in denen es schlecht ist!
Keiner spielt immer nach Regeln, und dies trifft auch auf den dogmatischen Tarrasch zu.

Ich meine, dass man mit Tarrasch heutzutage immer noch sehr gut arbeiten kann, mit dem Vorbehalt, dass man seine Theoreme nicht als absolute Wahrheiten hinnimmt, sondern bloß als Orientierungshilfe, denn ganz unrecht hat Watson nicht. Das Schach heutzutage ist konkreter geworden, und wer sich stur an Prinzipien hält und für nichts neues offen ist, wird Probleme haben, sich zu bessern.

Ein offensichtlicher Nachteil ist dennoch da. Zu heute gespielten Eröffnungen gibt es wenig Material. Indisch oder 1. ... g6/b6 kommen kaum vor, da man sowas in der Zeit einfach für schlecht gehalten hat. Auch Sizilianisch ist mit nur zehn Partien für heutige Verhältnisse relativ schwach vertreten. Ich bin kein Freund von riesigen Eröffnungsmonographien, die schon am Tag ihres Erscheinens veraltet sind, jedoch sind die oben genannten Eröffnungen von riesigem strategischen und taktischen Gehalt, und jeder sollte ungefähr wissen, worum es in diesen Eröffnungen ungefähr geht.

Die Aufsätze vermischten Inhalts sind interessante Beiträge über zwei Meisterkollegen Tarraschs und über Schachblindheit bilden einen guten Abschluss des Buches.


Das Layout ist einwandfrei. Ein Hardcover passt gut, denn es ist ein dicker Wälzer von 450 Seiten. Eine figurine Notation wird auch verwendet, jedoch erscheint diese auch in den Kommentierungen. Für Läufer steht dann das Symbol für den Läufer, und wenn zwei Figuren in einem Wort auftauchen, beispielsweise Damenläufer, dann stehen diese Symbole statt dieses Wortes. Der Leser mag sich selbst ein Urteil darüber machen. Ich fand das nicht wirklich störend. Störend fand ich jedoch, dass oft einfach das falsche Figurensymbol gewählt und manchmal sogar einfach vergessen wurde, die figurine Notation zu verwenden. Das ist sehr ärgerlich, denn im Vorwort war von der Umsetzung der figurinen Notation die Rede, und es wurde zwischendrin viel geschlampt. Es finden sich aber selten Rechtschreibfehler.

Vorne steht, dass das Buch eine Studie über 224 Partien ist, jedoch sind in dem Buch nur 223 Partien.
Ein Spielerverzeichnis wäre auch angebracht, es wurden am Ende drei Seiten leer gelassen, da kann man mir nicht erzählen, dass man zuwenig Platz hatte! Für wenig Aufwand hätte man hier viel erreichen können

Fazit:
Das Buch " Die moderne Schachpartie" ist, wie ich finde, immer noch aktuell und man kann es
- bis auf manche allzu dogmatische Kommentare, die für Tarrasch prägend waren - sehr gut zum Studium verwenden. Es ist erstaunlich, wie gründlich die Analysen Tarraschs waren, denn heutzutage lese ich oft: "Durch die Verwendung eines Computers konnten zahlreiche Fehler beseitigt werden." Das trifft hier selten zu, denn ich kann mich nicht erinnern, dass Teschner auf einen wirklichen "Groben" in der Kommentierung hingewiesen hat. Das Fehlen von "moderneren" Eröffnungen und deren Strategie ist ein Punkt, der für heutige Verhältnisse ein Problem darstellt.
Punktabzug gibt es indes für die falsche Verwendung der figurinen Notation und das Fehlen eines Spielerverzeichnisses.
Das Buch ist vor allem für aufstrebende Spieler geeignet, denn dazu bietet es eine gute Auswahl an Partien, wie sie zu dieser Zeit gespielt worden sind, und dies auch für heutige Verhältnisse schön kommentiert