Vorbericht: Heusenstammer Sparkassen Open 2015 (26.-29. November)
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Vorbericht: Heusenstammer Sparkassen Open 2015 (26. – 29. November)

„Wo bitte liegt denn nochmal Heusenstamm?“ war meine erste Frage, als ich auf das Ende November stattfindende offene Turnier aufmerksam wurde. Fündig wurde ich in der Frankfurter Umgebung: die hessische Kleinstadt liegt südlich von Offenbach am Main und ist mit der S-Bahn vom Frankfurter Hauptbahnhof in nur 25 Minuten zu erreichen. Der SC Heusenstamm ist ein aufstrebender Verein. In der Oberliga Ost B steht die „Erste“ des Vereins momentan auf Tabellenplatz 1 und hat den Aufstieg in die 2. Bundesliga fest im Visier.

Höhepunkt im Jahresplan ist das Heusenstammer Sparkassen Open 2015. Es schickt sich an, eins der größten, wenn nicht das größte Open in Hessen zu werden.

Heusenstamm wirbt damit, Holzfiguren und Holzbretter als Spielmaterial zu verwenden. Das ist ein Kriterium, welches mich als „Ästheten“ sogleich anspricht.

 

                        

Durch die Bank Holzbretter. Da macht das Spielen Spaß!

Von Donnerstagabend, 17:00 Uhr, bis Sonntagabend werden 7 Runden Schweizer System ausgetragen. Gespielt wird in den zwei Ratingkategorien A und B, wobei das B-Turnier für Spieler mit einer Wertungszahl unter 1600 gedacht ist. Zusätzlich gibt es noch ein Jugendturnier U-14, das aber erst mit einem Tag Verspätung am Freitag, 17:00 Uhr, beginnt und nur fünf Runden umfasst.

Mit dem Kultur- und Sportzentrum Martinssee steht den Organisatoren ein geräumiges Spiellokal zur Verfügung. Hier hat jedes Brett einen eigenen Tisch, da bleibt den Spielern ausreichend Platz, um Kaffee und Getränke abstellen zu können. Hier fühlen sich alle Teilnehmer wie in der 1. Reihe.

Fürstliche Spielbedingungen bis zum letzten Brett: durchweg komfortable Einzeltische

Die Sparkasse Langen-Seligenstadt ist der Hauptsponsor und somit auch Namensgeber. Preisfond in Höhe von 6000 € allein fürs A-Turnier ist garantiert.

Letztes Jahr hieß das neu ins Leben berufene Turnier noch Schloss-Open und wurde in einer Gruppe ausgetragen. 134 Teilnehmer stiegen damals in den Ring, eine beachtliche Zahl für einen Neueinsteiger. Doch 2015 sieht es so aus, als könne der Veranstalter die Teilnehmerzahl mehr als verdoppeln!

Die guten Bedingungen des Vorjahres, die rührige Arbeit der Verantwortlichen – jedenfalls verzeichnet die Internetseite

http://www.schach-chroniken.net/hso/hso_historie.htm

zwei Wochen vor Turnierstart, bereits mehr als 230 Starter! Im Turniersaal stehen 150 Bretter zur Verfügung; gut möglich, dass sich an die 300 Teilnehmer am Donnerstag, den 26. November im Kultur- und Sportzentrum Martinsee einfinden werden, sichern Sie sich deshalb rechtzeitig Ihren Startplatz!

Schon 2014 innovativ:die Spitzenpaarungen werden live ins Internet übertragen und mit dem Beamer an die Wand geworfen

Bei der 2014-Ausgabe war bereits ein sehr starkes Feld zusammengekommen, das neun Großmeister und eine Vielzahl weiterer Titelträger aufwies. Mit dem Chinesen Li Chao war gar ein absoluter Weltklassespieler mit von der Partie. Der 2700-Spieler zeigte dann auch seine sportliche Klasse und holte sich souverän mit 6 Punkten den alleinigen Turniersieg.

Wurde seiner Favoritenrolle gerecht: Li Chao, Supergroßmeister und Bundesligaspieler von Schwäbisch Hall

Heuer hat sich zwar kein Superstar angekündigt, aber die Spielstärke in der Spitze wird wohl noch gedrängter sein als im Vorjahr. Träger des Großmeistertitel sind genau 10 angesagt, dazu gesellen sich noch 10 IM, 5 FM sowie zahlreiche ambitionierte Jugendspieler, die auf Normen aus sind. Angeführt wird die Teilnehmerliste vom französischen Nationalspieler Sebastien Feller. Feller war fast drei Jahre vom Weltverband FIDE gesperrt gewesen, da er im Verdacht stand, zusammen mit Teamkollegen bei der Olympiade in Chanty-Mansijsk betrogen zu haben. Damals war der mittlerweile 24-jährige Feller ein hochtalentierter Jugendlicher. Eine Jugendsünde?! Dem Schach ist Feller treu geblieben, an seiner Spielstärke hat er nichts eingebüßt und spielt wieder sehr aktiv.

Einer der Topfavoriten ist Andrej Sumets aus der Ukraine

Unter den Favoriten mit dabei sind auch wieder Andrej Sumets, der Vorjahresdritte, sowie Igor Rausis, Fünfter der letzten Ausgabe.

Für den ausrichtenden Verein starten auch einige ihrer Titelträger aus der Oberligamannschaft, allen voran Spitzenbrett Daniel Sadzikowski aus Polen. Der 21-jährige ist der einzige IM mit einer Zahl über 2500 und wird sicherlich im Kampf um den Turniersieg ein Wörtchen mitreden können.

Dr. Igor Rausis ist Kosmopolit im Schach, kam viel herum und spielte für mehrere Verbände. Seit 2007 vertritt er Tschechien.

Heusenstamms Spitzenspieler Daniel Sadzikowski (l.) hier im abgesperrten Bereich der Spitzenbretter, die ins Internet übertragen wurden.

Hochkonzentriert: früh übt sich, wer Meister (oder Meisterin) werden will

Der Beweis: selbst bei doppelt so vielen Teilnehmern wie 2014 stehen die Chancen für einen Einzeltisch sehr hoch!

Wenige Meter vom Spiellokal entfernt liegt idyllisch der Martinsee

Turnierseite:

http://www.schach-chroniken.net/hso/2015/a/hso_ausschreibung.htm

wikimedia commons
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Dienstag, 02 August 2011 09:03

Smile trotzdem!

Die Zeitungsredakteure streiken. Verhandlungen verliefen bislang ergebnislos. Die Verleger wollen Sparpolitik betreiben, denn es fehlen Werbeeinnahmen wie Leser. Die Internetkonkurrenz und Stimmungsbarometer wie Facebook machen der klassischen Tageszeitung das Leben schwer. Besonders Berufsanfänger werden darunter zu leiden haben: Neuredakteure sollen, geht es nach den Verlegern, mit 25 Prozent weniger Gehalt abgespeist werden. Wird da der Todesstoß der papierenen Zeitung eingeleitet? Geht sie schleichend ihrem Untergang entgegen? Und was wird aus kritischem Journalismus? Können wir uns den noch leisten? Entscheiden künftig Suchmaschinen und Optimierungshilfen über die Meinungsbildung in der zusammenwachsenden Online-Weltgemeinschaft?

Auch die Schachgemeinde, eigentlich gewohnt daran, ein Außenseiterdasein zu fristen, bleibt nicht verschont von den globalen Entwicklungen. Das Internet bietet Informationen über Schach en masse – und das auch noch für umme! I

Nun, im Schachzeitschriftensektor sind wir hierzulande noch verwöhnt, alle regelmäßig erscheinenden Schachorgane lassen sich gar nicht an den Fingern einer Hand abzählen. Es gibt was für die Profis, die Jugend, den Vereinsspieler, den kulturell interessierten Schacher wie den Liebhaber von abgefahrenen Eröffnungen. Jeder Schachliebhaber kommt hierzulande auf seine Kosten und darf aus einem breiten Spektrum wählen. Aber wie lange noch? Der Niedergang der Artenvielfalt auf dem Schachsektor begann im letzten Jahr, als sich Herausgeber Hickl entschloss, seine gedruckte Monatszeitschrift „Schachwelt“ aufzugeben und fortan für eine Internetpräsenz zu ersetzen, auf der Sie gerade diesen Artikel lesen können. Umsonst versteht sich! Und die weitere Entwicklung? Wer weiß? Ich fühle mich nicht berufen, in die Zukunft zu blicken, zumal mir der wirtschaftliche Weitblick völlig abgeht. Aber die Zeichen stehen nicht gerade auf rosig.

Andere anscheinend kennen sich besser aus mit den Markgesetzen und umgeben sich mit dem Selbstverständnis, die Entwicklungen prognostizieren wenn nicht gar in ihrem Sinne beeinflussen zu können. Hellhörig hätte der aufmerksame Leser schon vor geraumer Zeit werden können. Vor bald einem Jahr war auf der Chessbase-Seite ein Interview mit dem Herausgeber des seit mittlerweile drei Jahren bestehenden Periodikums „Schachzeitung“, Michael Schönherr zu lesen, in dem dieser seine Philosophie erläuterte und die Zukunft voraussagte. Da heutzutage eh jedes Taschen-Programm Großmeister in dieselbe steckt kommt die Zeitschrift weitgehend ohne fachliche Hinweise von Schachprofis aus. Schönherr dazu

„um so etwas (eine Partieanalyse) zu produzieren, muss man ja offenbar auch kein Großmeister sein...“

In der Tat. Es gibt ja auch schon Musikprogramme,  zum Beispiel aus dem Hause Chessbase

 Banner-JH-Sonnenalp2Damit wird jeder User zum Mozart, die bildende Kunst wird sicherlich auch bald für den Eigenbedarf reproduzierbar werden, der Künstler als solcher wird bald überflüssig werden, weil jeder Einzelne im Verbund mit seiner häuslichen Software Kunst aus der Retorte produzieren und in Facebook und Youtube auf Applaus aus sein darf. In jedem steckt ein Genie, wollte das nicht der alte Polgar beweisen? Damals, ohne PC, bedurfte dies noch einer gewaltigen Energieleistung und eines disziplinierten Lehrplanes, heutzutage ist selbst das nicht mehr vonnöten. Nein, in jedem steckt sogar ein faules Genie!

Doch hören wir noch mal in das Interview rein, da gibt es eine sehr interessante Stelle zu entdecken:

Schönherr: “Ich glaube übrigens, dass es in einiger Zeit nur noch zwei Schachzeitungen geben wird.“
Andre Schulz (Chessbase) Zwei zusätzliche Schachzeitungen...?
„Nein, nur noch zwei Schachzeitungen insgesamt!“
Also zwei, die von den sieben noch übrig sind? Und Sie sind dabei?
„Ja.“

Mag sein, der Mann ist nur realistisch. Oder visionär. Zumindest scheint er Selbstzweifel nicht zu kennen. Wie dem auch sei, man kann nur hoffen, dass sein Szenario nicht eintreffen wird. Schon um der Vielfalt und der Qualität willen.

Übrigens hat der Kampf um die Marktanteile schon begonnen. Oder sagen wir um die Verkündigungsorgane der Landesverbände. Immer mehr Länder nehmen Abstand vom Altbewährten und laufen zum Neuen über. Schwer zu beurteilen, an welchen Schrauben da gedreht wurde, aber eine Art Dominoeffekt ist zu beobachten. Zuletzt probten die Schwaben den Aufstand. Ganz wie in der Politik. Da wurde die Regierung auch einfach abgewählt.

Was werden die Bayern tun? Die Bayern fallen doch nicht etwa um? Nein, die Bayern sind aus anderem Holz. Stellen Sie sich vor, die CSU würde abgewählt werden?! Nein, nein, da muss man schon die Kirche im Dorf lassen.

Tendenzen zur Nivellierung  sind in den etablierten Schachzeitschriften bereits zu erkennen. Ich habe drei davon abonniert, zudem kaufe ich mir von den anderen (auch englischsprachigen) am Bahnhofskiosk  öfters welche. Die Partieanalysen klingen gern mal ähnlich, auch wenn unterschiedliche Leute (mit ausgewiesenem Schachverstand) die Partie analysiert und kommentiert haben. Liegt es daran, dass sie alle mit demselben Schachprogramm arbeiten? Denn ohne scheint man heutzutage nicht mehr auszukommen, es spart Zeit und hilft, etwaige Fehler auszumerzen. Also ähneln sich in den unterschiedenen Magazinen gern mal die Einschätzungen zu einzelnen Zügen, etwa: „bla? der entscheidende Fehler; richtig war …bla! , wonach laut dem Rechner Weiß nur einen geringfügigen Vorteil aufweist.“ Dann folgt noch die Computervariante: 35.Sxg5 Lf6 37.T L xx 7l Sa )O50. xxKD …. bla bla usw. Oder wenn man ganz gewitzt sein und Platz und Nerven sparen will heißt es: „diese computergenerierte Variante wollen wir dem Leser nicht zumuten.“ (und der Redakteur will sich selber auch nicht das Entwirren zumuten, zurecht übrigens)

Heutzutage kann man es eh keinem Leser mehr zumuten, sich anzustrengen. Die Happen müssen mundgerecht serviert werden, sonst geht dieser zur Konkurrenz, die haben mehr Diagramme, da muss man nicht mal blind spielen geschweige denn ein Brett aufbauen. Denn bis man da wieder bis zu 32 Figuren aufgebaut hat, das dauert, damit kann sich heutzutage kein zeitgemäßer Mensch mehr aufhalten, er muss ja alle neuen Einträge in unzähligen Internetbloggs durchlesen und Stellung beziehen.

Der Großmeister macht sich übrigens selbst überflüssig, wenn er beim Aufzählen von Computerbewertungen stehen bleibt.

Eine weitere Tendenz erkenne ich: den Hang (vor allem der jüngeren Kommentatorengilde) zum Gebrauch des Smilies! Vielen Schachfreunden passiert es beim Daddeln an ihrer Tastatur, dass sie „:“ und „)“ eingeben, und plötzlich erscheint dann dieses Sonderzeichen: lächelnd 

Goldig! Zunächst weiß man noch gar nicht recht, wie einem geschieht und wodurch man diese freundliche Erscheinung denn ausgelöst hat, doch beim wiederholten Male wird einem klar, mit welcher Tastenkombination man das lachende Mondgesicht erhält. Mittlerweile stößt man immer öfters bei einer Partiekommentierung auf das witzige Sonderzeichen. Es steht womöglich kurz davor, zum international anerkannten Informatorkürzelalphabet hinzugefügt zu werden. In welcher Bedeutung ist noch unklar, vielleicht so:  „nicht der beste Zug, aber mit Humor gespielt.“

Man könnte auch via Facebook zukünftig über die Schönheit von Partien abstimmen. „Wie hat Euch die letzte Partie von Carlsen gefallen? Und dann die Smilies sammeln. Weil jedes lächelnd zählt!

So wie es in geraumer Zeit nur noch zwei Schachzeitungen geben wird, wird auch die Schachanalyse einer Standardisierung anheim fallen. Spätestens im Jahre 2022, passend zur Fußball-Retorten-WM in Katar, wenn für 5 Scheichs, 20 Funktionäre und 25 798 Haremsdamen im künstlich angelegten Fußballtempel von Doha die Temperatur von 55 auf 18 Grad herabgekühlt wird, werden nur noch zwei Arten verwendet werden. Und so wird es dann aussehen, wenn das neue Schachwunderkind Haschisch Bibi (Name redaktionell erfunden) sein Gedankengut unters Volk bringt (bzw. die Schachzeitung sie volksnah kommentiert):

a)  N.N. – Haschisch Bibi, Elista 2022

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0–0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 0–0 bislang einzige Züge +0,12

8.c3 d5?! Nur die sechstbeste Wahl. Hatte Schwarz die Theorie vergessen? Besser ist …d6.

Bekannt als Marshall-Angriff, nach dem amerikanischen General, der nach dem 2. Weltkrieg Finanzhilfen für Europa ermöglichte (wikipedia)

9.exd5 Sxd5 10.Sxe5 Sxe5 11.Txe5 c6 (einziger Zug +0,07)

12.d4 Ld6 13.Te1 Dh4 14.g3 Dh3 (einzige Züge, +0,15)  15.De2? Warum nicht 15.Lxd5 mit +0,45? Weiß spielt wie ein Patzer und vernachlässigt sträflich die Entwicklung. Meine Oma hätte das besser gespielt, die hat auch mehr Freunde auf facebook.

15. …Lg4 0.02 Die Partie ist sehr ausgeglichen. Das Remis unvermeidlich. 16.Df1 0.00 Dh5 0.00 17.Sd2 Lh3 0.00 18.De2 +0,41 Weiß steht deutlich besser 18. …Lg4 19.Df1? Weiß vergibt den klaren Gewinn (19.f3 +- ) 19. …Lh3 20.De2 Lg4 Remis. Das moderne Schach bedarf einer Erneuerung. Wir fordern die Einführung zweier neuer Figuren mit dem Aussehen von Schwarzenegger und der Gangart von Heidi Klum!

b) N.N. – Haschisch Bibi, Elista 2022, (Bibi analysiert) 1.e4 e5 Ich wollte meinen Gegner überraschen lächelnd 2.Sf3 Sc6 Russisch ist ja remis, aber ich wollte Schach spielen lächelndlächelnd  

3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0–0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 0–0 8.c3 d5 In der Kleinkindgruppe hat mir meine Nanni die Feinheiten des Marshall-Gambits erklärt, es ist altmodisch, aber ich hatte eine unruhige Nacht hinter mir und die Cheesburger drückten mir unangenehm im Gedärm lächelndlächelndlächelnd    

9.exd5 Sxd5 10.Sxe5 Sxe5 11.Txe5 c6 12.d4 Ld6 13.Te1 Dh4 14.g3 Dh3 15.De2 Er kneift. Beim Frühstück hatte mein Trainer mir noch ein paar Dateien zu den aktuellen Varianten untergeschoben. Ich bestrich sie mit Ahornsirup und hatte sie auswendig gelernt, noch bevor ich sie runterschlucken konnte. unentschlossenStirnrunzelndCoolschreiendBetretenlächelnd

15. …Lg4 Der Rest war einfach lächelndschreiendZunge rausCoolBetretenlächelndKüssendStirnrunzelndlächelnd  

16.Df1 Dh5 17.Sd2 Lh3 18.De2 Lg4 19.Df1 Lh3 20.De2 Lg4 okay Kumpels, es war nicht gerade eine Immergrüne, aber Schach ist halt Remis und wir spielten beide einfach zu perfekt  

lächelndStirnrunzelndStirnrunzelndunentschlossenschreiendlächelndlächelndVerlegenStirnrunzelndlächelndlächelndlächelndlächelndCoolStirnrunzelndSchreiendZunge rausunentschlossenlächelndzwinkerndüberraschtLachendBetretenSchreiendlächelndlächelndlächelndlächelndlächelndzwinkerndZunge raus

Gens una sumus (wir sind alle genial - oder alle gleich blöd)!

Verblichener Charme im Ruheraum
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Samstag, 29 Januar 2011 11:00

Aus der Provinz (II):

 

Während in Wijk aan Zee unter den Augen der Weltöffentlichkeit Schach auf spielerisch wie organisatorisch hohem Niveau gepflegt wird fand ein ähnliches Schachfestival auch im tschechischen Marienbad statt: drei Rundenturniere für Titelträger und solche die es werden wollen, dazu noch ein Open fürs gemeine Schachvolk zur Abrundung. Im Westböhmischen blieb die Öffentlichkeit abgeschnitten vom Geschehen, und das war auch gut so, denn vorzeigbar war die Veranstaltung beileibe nicht.

Schon seit Jahren wollte ich mal in solch einem Rundenturnier mitspielen, bei dem man jeden Tag einen gleichstarken oder stärkeren Gegner bekommt. Üblicherweise spiele ich nur in den Open in meiner näheren Umgebung. Da treffe ich in neun Spielen meist auf sechs oder mehr Gegner, die ich durch meinen Elovorteil eigentlich zu schlagen habe. Zudem wollte ich mal wissen, ob ich mit über 40 noch in der Lage bin, auf Großmeister-Norm zu spielen. Dummerweise schlug ich vor ein paar Jahren die Einladung zu einem Rundenturnier in Wien aus, um stattdessen ein anderes Turnier zu spielen –dies wurde dann das allerschlechteste meiner „Karriere“! Hoffentlich werde ich irgendwann noch einmal nach Wien eingeladen?!

http://schach.wienerzeitung.at/Tnr2582.aspx?art=4

So nahm ich die Chance wahr, zu Jahresbeginn in Marienbad, tschechisch Marianske Lazne, zu spielen. Zunächst muss man sich „einkaufen“, sprich Startgeld in nicht unbeträchtlicher Höhe entrichten. Das verstehe ich durchaus, nur hätte ich dann auch was fürs Geld geboten, nicht „nur“ die nackte Voraussetzung, gegen drei Großmeister spielen zu dürfen.

Vor Ort erwartete mich ein Kulturschock. Zwar ist Marienbad insgesamt ganz reizend, viele alte Villen sind renoviert und auf Hochglanz poliert worden. Barocke Pracht blitzt durch die Baumreihen hervor, üppige vier Sterne-Plus-Hotels gibt es zuhauf. Solcherlei Zuckergussansichten kennt man aus der Internetberichterstattung, ich denke da an das Duell Snowdrobs versus Oldhands (Mädels gegen Altmeister), ein Format, das seit ein paar Jahren in Marienbad unter ausgezeichneten Bedingungen stattfindet. Doch zunächst bot sich mir dieses Bild dar: kalter Winter, Nebensaison, das in die Länge gezogene Städtchen (besteht im Prinzip nur aus einer langen Strasse) eher verwaist, die kulturellen Angebote ausgedünnt, Museen geschlossen. Aber vor allem: das Hotel Kossuth, das Spiellokal, ist von der Aufbruchsstimmung der tschechischen 90er nicht berührt worden. Es befindet sich in einem erbarmungswürdigen Zustand, wenngleich man erahnen kann, dass es vor hundert oder mehr Jahren reichlich Glanz versprühte, denn es bietet, an einem erhöhten Ort liegend, einen prächtigen Blick über den Marienbader Kessel. Der Bau an sich, aus drei aneinander gereihten Häusern bestehend, ist riesig, wuchtig und würde die ideale Grundmasse für eine Nobelhotelkette bieten.

Leider hat sich in Zeiten des Sozialismus und auch danach niemand seiner erbarmt und so führt das Haus heute eine Notexistenz und treibt gelassen seinem Untergang entgegen. Als es mal stark regnete wurden im Flur große Eimern verteilt, um den Regen, der durch das marode Dach triefte, aufzufangen. Behelfszustand und Resignation eben.

Für eine Provinzveranstaltung des Schachsports bietet so ein kostengünstiges Ambiente den willkommenen Rahmen. Es ist ja nicht zuletzt eine Geschäftsidee, die die Organisatoren von Czechtour umtreibt, und so gilt es mit möglichst wenig Kosten und Aufwand die Struktur zur Verfügung zu stellen. Ansprüche, so lernte ich, muss man freilich zurückstellen und alles dem Ziel, Norm, unterordnen. Ich bemühte mich und es funktionierte auch. Anfänglich fiel es mir noch schwer, mich mit dem Spielmaterial anzufreunden. Als Bretter dienten vergilbte braun-gelbe Kartons, aus zwei Teilen bestehend und in der Mitte mit einem dunklen Klebeband zusammengehalten. Einmal war das Klebeband auf meinem Brett so breit wie eine Reihe, so dass es wirkte, als hätte das Brett neun Reihen – ich tauschte es schnell aus. Zwischendurch fand ich es auch ganz amüsant in diesem vor sich hinwelkenden Hotelrelikt in seinem muffigen Plüsch, und wenn sich mal eine Sprungfeder meines Stuhles knarzend durch den Stoff Bahn brach oder der Untersatz bei jeder Bewegung zu zerbersten drohte, nahm ich das belustigt hin, schnappte mir einen freien Stuhl, der noch robust wirkte, und spielte unverdrossen weiter.

Drei Großmeister, allesamt ihrer besten Zeit schon entwachsen, stellten sich der Veranstaltung zur Verfügung, von denen einer, Malanjuk, vor ein, zwei Jahrzehnten noch zur erweiterten Weltspitze zählte. Sein Genie blitzt auch hie und da auf, vor allem in der Post-Mortem-Analyse, die ich mit ihm führen konnte. Ansonsten betätigten sich die Großmeister überwiegend als Remisschieber. Kamen im Trainingsanzug und mit Schlappen zum Brett, wurden im Hotel Kossuth abgespeist, zogen ein paar Mal, boten Remis und gingen wieder auf ihr Zimmer. Von den fünf Partien des Großmeisterturniers waren zwei oder gar drei stets nach wenigen Zügen beendet, die gleichzeitig stattfindenden IM-Turniere boten deutlich mehr Abwechslung und Kampfgeist.  Gern traf man die Großmeister auch beim Rauchen auf dem Flur an. In Tschechien gehört der blaue Dunst noch zum Alltag, in Gaststätten gibt es stets ein Raucher- und ein Nichtraucherzimmer. Aber wehe, wenn die Großmeister provoziert werden! Ich erdreistete mich als einer der wenigen, Remisofferten auszuschlagen beziehungsweise opferte als Schwarzer frühzeitig einen Bauern, um die Titelhalter gleichsam zum Spielen zu zwingen. So kommentierte Malanjuk meine Eröffnungswahl 1.d4 Sf6 2.Sf3 c5 3.d5 e6 4.Sc3 b5!? nach 5.dxe6 fxe6 6.Sxb5:

Malaniuk

„I was one pawn up – I couldn`t offer draw!”

Die verdiente Strafe folgte auf dem Fuße: ich musste zweimal gegen die Altmeister hinter mich greifen. In der Tabelle warf es mich auch zurück, doch darauf kam es nicht mehr an, die Norm (6,5 aus 9) war eigentlich nach 5 Runden (2,5) kaum mehr zu erreichen.

http://czechtour.net/marienbad-open/results-and-games/

Dass es alternde Schachprofis nicht leicht haben weiß man eigentlich schon, und doch ist es irgendwie deprimierend, aus nächster Nähe zu sehen, wie sich etliche Profis ihr Gnadenbrot in zugigen Kaschemmen verdingen müssen, ihre Zahl ruinierend und immer bereit, mal ein Spiel für etwas Taschengeld verkaufen zu können. Wozu will ich eigentlich Großmeister werden, wenn solche Aussichten locken?!

Ich bin jetzt auch erst mal „geheilt“ und verspüre zunächst mal keine Lust mehr auf eine „Ochsentour im Osten“. Es gibt sicher eine glamouröse Seite im Schach. Da partizipieren die oberen 2700er und noch die Spitze im Damenschach. Schön ist es auch, nachdem man mal eine andere Perspektive eingenommen hat, wieder zu erkennen, auf welch hohem Niveau hierzulande viele Schachveranstaltungen, offene Turniere ausgetragen werden. Was freue ich mich nun wieder auf Deizisau, dem Mekka des Deutschen Schachs über Ostern! Aber es gibt etwas, das weder attraktiv noch erstrebenswert ist. Schach am Rande des Existenzminimums. Schach am Rande der Gesellschaft. Schach verzagt eben. Und diese Seite unseres einst edlen Spiels ist leider gar nicht so selten anzutreffen…