Sonntag, 27 November 2011 11:27

Ein Audi in Nordafrika

Welch eine Woche. Lang hat an 46 Brettern kurzen Prozess gemacht. Der Weltmeister hat sich dort, wo er seinen nächsten fetten Scheck abzocken wird, mit einem Vishywaschi-Resultat beliebt gemacht. Hou hat sich (und vielleicht mögliche Geldgeber) für einen Zweikampf gegen Judit warmgespielt. Kasparow hat sein Schulschachengegament in der FAZ erklärt. Die FIDE hat das nächste Kandidatenturnier nahezu stillschweigend in ein doppelrundiges Achterturnier umgemodelt. Fridman hat in Sachen Nationalmannschaft und DSB zu retten versucht, was an Common Sense geblieben ist. Und Naiditsch ist mal eben nach Nordafrika gedüst und hat einen Audi abgeliefert - soll keiner glauben, dass ein noch im Nachhinein so umkämpfter Europameistertitel keine Spuren hinterlässt. Sein Team Marcote war denn auch die große Enttäuschung des Finals der im von hohen Zäunen umgebenen Mellila ausgetragenen Spanischen Mannschaftsmeisterschaft. Zwei mit hochrangigen Legionären bestückte und mit baskischem Geld finanzierte Teams, Sestao und Gros Taldea aus San Sebastian, haben es dominiert. Als Einzelspieler domingierte Dominguez. Fehlt noch was?    

Wartet auf ein Angebot: Judit Polgar
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Dienstag, 05 Juli 2011 12:22

China will sie spielen sehen

In Wien werden an diesem Dienstag die Maccabi-Spiele eröffnet, die Olympischen Spiele der jüdischen Sportler. Alle vier Jahre findet sie in Israel und alle vier Jahre in einem anderen Land statt. 2009 in Netanya gab es ein hochklassiges Schachturnier mit Gelfand, Beljawski, Judit Polgar, Nepomnjaschtschi und acht weiteren starken Großmeistern. Dieses Jahr ist es wieder ein Amateurturnier. Aber am Sonntag wird Judit Polgar ein Simultan spielen, anlässlich der Benennung des Rudolf-Spielmann-Platzes vor dem Wiener Haus des Schachsports gleich beim Praterstadion. Ob ich ihr etwas über Spielmann sagen könne, fragte sie mich, als ich sie für die Jüdische Allgemeine interviewte. Ich konnte sie auf die Schnelle auch nur auf Wikipedia verweisen. Zeit, ihre Hausaufgaben zu machen, hat sie ja noch. Wobei sie natürlich schon in der Vorbereitung für die Mannschafts-WM in China steckt, wo Ungarn mit Leko, Almasi, ihr und Berkes stark auflaufen wird.
 
Polgar erwähnte, dass sie von chinesischer Seite wieder Anfragen habe für ein großes Match gegen eine Frau. Vor Jahren war es um Xie Jun gegangen, die aber eigentlich nie auch nur annähernd ihre Kragenweite hatte. Jetzt geht es um Hou Yifan. Es wäre kein offizieller WM-Kampf, sagte Polgar, aber jeder würde es wohl als einen ansehen. Und sie würde es sehr ernst nehmen (und sich ein halbes Jahr für Vorbereitung und Match nehmen), wenn auch das Angebot ernst (sprich: lukrativ) sei. Noch ist die 17jährige Chinesin deutlich hinter Polgar, aber in etwa drei Jahren könnte es ein spannendes Duell sein. Ihre Meinung über die Trennung des Frauenschachs wird es aber wohl nicht mehr ändern.    
 
Freitag, 31 Dezember 2010 01:27

2010 im Schnelldurchlauf

Das zu Ende gehende Jahr war ein ereignisreiches Schachjahr, aber war es auch ein gutes? Welche Ereignisse, welche Spieler haben es geprägt? Einige Glanzpunkte setzte sicher die Jugend. Als Erinnerungsstütze ein kurzer, nicht ganz unsubjektiver Überblick.

Los ging es mit der Mannschafts-WM im türkischen Bursa und einem Favoritensieg Russlands. Überraschend holten die USA mit dem überragenden Nakamura und Indien, obwohl ohne Anand, die Medaillen vor den höher eingeschätzten Team aus Aserbaidschan und Armenien. Den besten Start des Jahres erwischte Alexei Schirow in Wijk aan Zee mit fünf Siegen en suite. Am Ende wurde er dann doch noch überholt von dem trotz seiner erst 19 Jahre seit 1.Januar Führenden der Weltrangliste Magnus Carlsen. Die B-Gruppe wurde eine Beute des nächsten Carlsen, des 15jährigen Anish Giri.

Weltmeister Anand riss sich in Wijk aan Zee bei seinem letzten Test vor seinem Titelkampf kein Bein aus und holte seine üblichen plus zwei. Anders einen Monat später Wesselin Topalow: Mit unberechenbarem, hoch riskantem Schach gewann der Herausforderer in Linares, wo allerdings weder Carlsen, Anand noch Kramnik am Start war. Das wahrscheinlich stärkste Open des Jahres gewann der 18jährige Vietname Le Quang Liem. Während die Nationalspieler bei der EM in Rijeka unter ferner liefen mit ansahen, wie der 19jährige Jan Nepomnjaschtschi als Nummer 35 der Setzliste Europameister wurde, holte sich ein anderer Junior, der 18jährige Hamburger Schüler Nicolas Huschenbeth den deutschen Titel.

In der Bundesliga war der Titelgewinn des hohen Favoriten Baden-Baden nach einer Niederlage gegen Werder Bremen dank der ebenfalls vorne mitmischenden Solinger erst im letzten Spiel perfekt. Spannend verlief auch die WM. Anfangs überschattet von der Flugsperre, die Anands Reise nach Sofia erschwerte, und Spekulationen über Provokationen in der Heimat des Herausforderers wurde es ein fairer und hochklassiger Zweikampf, den Anand knapp aber zu Recht gewann. Zur gleichen Zeit und ein halbes Jahr zu spät kam der FIDE-Grandprix in Astrachan doch noch zu einem Abschluss, der aber überschattet wurde von Mutmaßungen über eine Partieabsprache zwischen Mamedscharow und Radschabow, die letzterem zum letzten offenen Platz im Kandidatenturnier verholfen haben könnte.

Korruption ist im Weltschach sonst eher auf Funktionärsebene ein Problem. Hoffnungen auf Veränderung nährte die Kandidatur von Anatoli Karpow um die FIDE-Präsidentschaft mit maßgeblicher Unterstützung von Garri Kasparow und dessen Draht zu Financiers im Westen. Das Turnier im rumänischen Bazna mauserte sich zum Elitewettbewerb. Der Sieger hieß einmal mehr Carlsen. Derweil eskalierte ein seit längerem schwelender Streit zwischen den Nationalspielern und dem Deutschen Schachbund um Honorare und die Bedingungen für Profis in Deutschland. Dazu gehört etwa auch, dass in Dortmund nur Naiditsch willkommen ist (das unzureichend gemanagte Turnier gewann heuer Ponomarjow) und in Mainz, dem Treffpunkt des Schachs in Deutschland, aufgrund der Wirtschaftskrise das Programm auf zweieinhalb Tage eingedampft werden musste.

Bei der Schacholympiade holte dann eine Ersatzauswahl mit Platz 64 das mit Abstand schlechteste deutsche Ergebnis. Im sibirischen Chanti-Mansisk enttäuschte auch Gastgeber Russland und musste Gold den leidenschaftlicheren, von einem entfesselten Wassili Iwantschuk angeführten Ukrainern überlassen. Dafür dominierten die Russinnen den Frauenwettbewerb. Bei der FIDE-Wahl unterlag Karpow mit praktisch der selben Marge wie vier Jahre zuvor Bessel Kok gegen Kirsan Iljumschinow, dessen Hintermänner seit 1995 in die eigenen Taschen wirtschaftend das Chaos verwalten.
Als Finale der unabhängigen Grand-Slam-Turniere hatte Bilbao eine schiefe Optik, hatte doch nahezu alle Qualifikationswettbewerbe Carlsen gewonnen, der gerade eine Formkrise durchmachte, während der einzige andere Qualifizierte Topalow von vornherein absagte. Kramnik gewann. Nur wenige Tage später begann der neue Grand Slam Tausende Kilometer entfernt in Nanking, wo Carlsen wie verwandelt agierte und überlegen gewann.

Kurz danach schockte der Norweger, dessen WM-Sieg für viele nur eine Frage der Zeit ist, mit dem Rücktritt aus dem im Frühjahr anstehenden Kandidatenturnier. Keinen klaren Sieger gab es in Moskau. Aronjan (der anschließend die Blitz-WM gewann), Mamedscharow und Karjakin teilten am Ende Platz eins. Das wäre nach der üblichen Wertung auch in London der Fall gewesen. Weil ein Sieg dort aber drei Punkte wert war, wurde Carlsen vor McShane und Anand zum Sieger erklärt. Zwischendurch setzte Marc Lang, FIDE-Meister aus Günzburg, mit einem Blindsimultan gegen 35 Gegner das deutsche Schachhighlight des Jahres. Die Frauen-WM im türkischen Antakya wurde von den Chinesinnen dominiert. Den Titel holte sich die 16jährige Hou Yifan, so dass sie sich künftig wohl öfter mit Männern messen darf.

Russischer Meister wurde nach einem Stichkampf, in dem es nur Remisen gab, und obwohl er zuvor im regulären Vergleich gegen den gleichaltrigen Karjakin unterlegen war, der mittlerweile 20jährige Nepomnjaschtschi. An die Weltranglistenspitze kehrt aber, nachdem zwischenzeitlich Anand vorne war, Carlsen (ebenfalls 20) zurück.

Weg frei für höhere Ziele
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Montag, 20 Dezember 2010 10:16

Weg frei für höhere Ziele

Es kommt nicht häufig vor im Schach, dass die Eloliste eines Jahrgangs von einer Spielerin angeführt wird. Judit Polgar war lange die Nummer eins der 1976 Geborenen. Bis Anish Giris Aufstieg war Hou Yifan Elobeste des Jahrgangs 1994. Zuletzt flachte die Entwicklung der Chinesin allerdings ab. Was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass sie dazu verdammt ist, China beim Sammeln von Frauentiteln zu helfen. Je früher Hou Weltmeisterin wird, umso früher kann sie sich oder vielmehr der Chinesische Verband ihr höhere Ziele setzen, also im richtigen Schach, Verzeihung, im Männerschach, auch nicht richtig, in der offenen Schachklasse, klingt bescheuert ist aber wohl politisch korrekt.
Bei der WM im türkischen Antakya ist Hou nun drauf und dran, diesen Schritt zu nehmen, der ihr vielleicht vor der Schacholympiade 2012 den Weg in die chinesische Herrenauswahl, Verzeihung Offene-Gruppe-Auswahl (oh Mann) ebnet. Im Halbfinale setzte sie sich deutlich gegen die nach Elo etwas höher klassierte Inderin Humpy Koneru durch (die klare Nummer eins der Frauen Judit Polgar hat die Frauen-WM noch nie gespielt, was ihr von der Frauenschachmafia, äh von einigen Kolleginnen übel genommen wird, die anscheinend ernsthaft glauben, dass es dann mehr Publizität und höhere Preisgelder für alle gäbe). Nach einem Sieg in der ersten Partie reichte Hou in der zweiten ein Remis, aber von Klammern nicht die geringste Spur. Sie steckte beherzt zwei Bauern ins Geschäft und blieb bis zum Ende am Drücker. Als Humpy (sicherheitshalber erwähne ich jetzt mal: das ist keine Anbiederung, sondern Humpy und Hou sind die Hauptnamen, wie Anand oder Mao) ihr remis bot, konnte nur Hou noch (mittlerweile mit einem Bauern mehr) gewinnen, aber war ja nicht nötig.


Im Finale über vier Partien ist Hou hohe Favoritin gegen ihre 111 Elopunkte schwächere Landsmännin (Frage an die Sprachpolizei: darf man noch Landsmännin schreiben?) Ruan Lufei.
Tiebreaks Runde 3
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Montag, 13 Dezember 2010 01:00

China - Russland 4:0

Da ich in den letzten Tagen in Wien Zeuge zweier von Meisterinnen unseres Spiels sehr souverän vorgetragener Simultanvorstellungen war, Judit Polgar holte 10:0 und Eva Moser 24:1 Punkte, habe ich mir nicht nur angesehen, was in der Bundesliga (keine Überraschungen), bei der Russischen Meisterschaft (auch nicht) und in London (detto, abgesehen mit Problemen der Website, weshalb man den Entwicklungen vielleicht besser auf der Twic-Liveseite folgt) los ist, sondern auch was Frauenschach gerade läuft bei WM in Antakya, nahe der türkischen Grenze zu Syrien. Von den 64 Teilnehmerinnen zu Beginn kamen neun aus Russland und acht aus China (Lise Pähtz war auch dabei, scheiterte aber in der zweiten Runde an ihren Nerven). In der dritten K.o.-Runde ist mit Sascha Kostenjuk die Titelverteidigerin und letzte Russin ausgeschieden. Von den Chinesinnen sind dagegen vier unter den letzten acht. Bei der Schacholympiade waren die Chinesinnen von den dort überragenden Russinnen noch um volle vier Punkte distanziert worden. In der Türkei üben Hou Yifan und Co eindrucksvoll Revanche. Zumindest soweit. Von den anderen Viertelfinalistinnen kommen übrigens zwei weitere aus Asien, nämlich aus Indien. Alle Chinesinnen treffen im Viertelfinale übrigens auf die Nichtchinesinnen.