Wer wird der nächste Champion?
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Mittwoch, 30 März 2016 22:11

Thomas Richter siegt im Kandidatenturnier

Thomas Richter ist der neue Herausforderer von Weltmeister Holger Hebbinghaus. In einem aufwändigen Prozedere, zu dem in Moskau eigens acht recht starke Schachspieler zusammenkamen, ermittelte der internationale Schachwelt-Blog aus einer Vielzahl von gewieften Tippspiel-Kandidaten den Besten der Tipper-Zunft - und das ist, wie wir nun wissen, ohne Zweifel Thomas Richter von der holländischen Nordsee-Insel Texas.

SF Richter hatte sich zwar mit seinem Sieger-Tipp, dem russischen Sieger-Typ Sergej Karjakin, weit vorgewagt und stand damit lange Zeit allein auf weiter Flur. Die Führung in dem spannenden Wettbewerb hatte für viele Runde der bislang noch wenig bekannte SF Ta inne, der sich auf Fabiano Caruana festgelegt hatte. Auch der stets unverwüstliche MiBu (Westeuropa) hatte Aussichten, denn sein Tipp, der frühere Ex-Weltmeister Viswanathan Anand, lag zur Mitte des Tippspiel-Turniers gut im Rennen, ebenso wie die Schachwelt-Mitarbeiter Dennis Calder und Olaf Steffens mit ihrer furiosen Wette auf Levon Aronian.

Doch wie es so ist im Leben und öfter noch im Schach, kommt es am Ende manchmal nicht so wie erhofft, und jemand anders läuft mit dem ersten Preis davon. In diesem Fall ist dies Thomas Richter (sagten wir das bereits?), und er wird stolzer Besitzer einer Original Bremer Kandidatenturnier-Schokolade des ehemaligen Bremer Schokoladen-Herstellers Hachez werden. (Thomas, schicke bitte einmal Deine Adresse zu!).
Thomas hat sich dadurch auch für den Kampf um den Weltmeistertitel im Tippspielen qualifiziert, zu dem er im Herbst gegen den langjährigen Amtsinhaber Holger Hebbinghaus antreten wird. Hebbinghaus hat als Weltmeister über Jahre hinweg alle Tippspiele hier im Blog dominiert und ungefährdet die schönsten Preise eingefahren. Doch im Herbst ist damit vielleicht Schluss - Thomas Richter und Holger Hebbinghaus werden die Ergebnisse eines zu diesem Anlass ausgerichteten Schachwettkampfes zwischen Magnus Carlsen und Sergej Karjakin tippen, und dann wollen wir doch mal sehen, wer der neue Weltmeister wird - im Tippspielen natürlich.

holger hebbinghaus
Weltmeister Hebbinghaus - wird er seinen Titel verteidigen können?

Herzlichen Glückwunsch an Thomas Richter, und an Sergej Karjakin - großes Tippen, großes Schach, und danke für die tollen Tage in Moskau!

PS Mehr zum Kandidatenturnier, zu Sergej Karjakin, einen Cadillac - und von Thomas Richter hier:

http://www.chess-international.de/Archive/54556

Umkämpfte Krone
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Donnerstag, 10 März 2016 12:23

Kandidatenzüge in Moskau (Mit Tippspiel)

Morgen startet in Moskau das Kandidatenturnier 2016, dessen Sieger –wir erinnern uns - das Recht erhält, gegen Magnus Carlsen im Herbst um den Weltentitel zu spielen.
Das ist schön, doch sei die Frage erlaubt, warum die große Mutter FIDE zu diesem Zweck ein eigenes Turnier ausrichtet, wahrscheinlich sogar noch mit unseren Mitgliedsbeiträgen? Und dann auch noch in Moskau?

In der prorussischen Hauptstadt ist doch gerade erst ein exzellent besetzter Wettbewerb zu Ende gegangen. Schon vor gut zwei Tagen endete dort mit dem Aeroflot-Open ein großes, großartiges und überaus stark besetztes Turnier. Wenn der Herausforderer unbedingt im schönen und frühlingshaften Moskau ermittelt werden soll - warum nimmt man nicht einfach den Sieger dieser in der weltweiten Schachgemeinde geschätzten und für seine Spielstärke gefürchteten Veranstaltung, und lässt nun den strahlenden Evgeny Najer um die Weltmeisterschaft antreten? Alle acht Spieler des Kandidatenturniers, man hätte sie einfach auch beim Aeroflot-Open antreten lassen können. Einen Gegner für Carlsen hätte man damit jedenfalls viel einfacher finden können, zudem kostensparender und unbürokratischer.

Aber nein, nicht mit der FIDE. Ist es aus Eitelkeit, Geltungsbewusstsein, oder weil es in Moskau so viele Außerirdische gibt? Jedenfalls reist unser Chef Kirsan Ilyumschinov mit den Granden des Weltschachverbandes auch noch einmal an die Moskva, um dort einem ausgewählten Zirkel von Spielern bei der Ermittlung des Herausforderers beizuwohnen. Evgeny Najer muss dabei leider draußen bleiben, und ebenso der Werderaner und junge deutsche Großmeister Matthias Blübaum, obwohl auch er mit Platz 21 ein sehr respektables Ergebnis beim Aeroflot-Open erzielte. Schade, schade.
Und wie ist es mit Hou Yifan und Mariya Muzychuk – ist es nicht recht seltsam, dass die beiden aufgrund eines von der Turnierleitung zufällig in genau dieser Woche angesetzten Wettkampfes für das Kandidatenturnier verhindert sein werden? Gleichberechtigung jedenfalls sieht anders aus, da kann die FIDE noch so sehr für die Förderung von Mädchenschach rackern. Glaubhaft wird Förderung doch eigentlich erst, wenn auch Frauen um den Titel mitspielen dürfen.

Doch was nützt jede nüchterne Analyse und fundierte Kritik aus der Schachwelt-Redaktion, wenn vom Weltschachverband nun schon einmal Fakten geschaffen worden sind? Die Einladungen sind geschrieben, und acht Teilnehmer werden ab morgen spielen. Wenden wir uns also den Kandidaten zu:

Hikaru Nakamura (USA)

Fabiano Caruana (USA/ Italien/ USA)

Sergej Karjakin (Ukraine/ Russland)

Peter Svidler (Russland/ Baden-Baden)

Anand Viswanathan (Indien)

Veselin Topalov (Bulgarien)

Anish Giri (Niederlande)

Levon Aronian (Armenien! SF Berlin!)

Und …

Evgeny Najer, Wildcard? (leider nicht)

Als lokalpatriotische Europäer sollten wir wohl am ehesten Anish Giri und Veselin Topalov die Daumen drücken. Doch Schach ist ein liberales Spiel, und es ja nicht nur der Wohnort, der uns zu Fans eines Spielers werden lässt. Darum fragen wir in die Runde:

Tippspiel - Tippspiel - Tippspiel - Tippspiel - Tippspiel - Tippspiel

Wer gewinnt das Kandidatenturnier?

Tippspiel - Tippspiel - Tippspiel - Tippspiel - Tippspiel - Tippspiel

Ich weiß, ich weiß, das ist keine superfett-originelle Frage. Dennoch muss sie ja erlaubt sein, und es geht ja hopp oder top doch nur darum, wer als Erster die Ziellinie überspringen wird. Einen tieferen Blick auf die Aussichten der einzelnen Teilnehmer wirft unserer Kollege Thomas Richter an anderer Stelle.

Darum – her mit Euren Einschätzungen hier im Kommentarbereich! Wer gewinnt das Turnier? Unter allen richtigen Tipps verlosen wir eine Tafel feinster Bremer Kandidatenturnier-Schokolade!

Einsendeschluss ist Samstag, der 12.März, 13 Uhr Schachwelt-Redaktionszeit, mit Beginn der zweiten Runde in Moskau. Viel Spaß!

PS Wie auf chess.com berichtet wird, versuchen die Veranstalter die gesamte Live- Übertragung ausschließlich auf der offiziellen Turnierhomepage zu bündeln. Keine Partien also bei Chessbase, Chess24, und andernorts? Mal sehen, ob das wohl so klappen wird. Da lobe ich mir doch das Aeroflot-Open!

Frage an die Leser
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Mittwoch, 08 Mai 2013 16:46

Frage an die Leser

Als Abwechslung zur endlosen Schachpolitik mal wieder etwas Handfestes: Die aktuelle "Schach"-Ausgabe wirft eine Endspielfrage auf, die ich mir genau so auch schon gestellt hatte. Die Sache ist mir bis heute etwas rätselhaft. Vielleicht können die Leser dabei helfen, Licht ins Dunkel zu bringen? Es geht um die Partie Carlsen-Gelfand vom Londoner Kandidatenturnier, Stellung nach dem 44. Zug von Weiß (siehe Diagramm). Zur Erinnerung kurz die Partiefortsetzung: 44...Dxf1+ 45.Kh2 Db1 46.b7 Db5 47.c6 Ld5 48.Dg3 1-0. So weit, so einfach. Was aber ist, wenn Schwarz auf f1 mit dem Läufer nimmt? Es ist verblüffend, wie wenig Beachtung diese Möglichkeit fand. Die Londoner Kommentatoren hielten sie für hoffnungslos, Carlsen im Interview ebenso und Peter Heine Nielsen, der die Partie für "Schach" kommentierte, erwähnte den Zug nicht einmal. Aber wenigstens findet sich nun eine "Anm. d. Red." (vermutlich von IM Dirk Poldauf), die ich hiermit zitiere: "Zu prüfen wäre, ob bzw. wie Weiß nach 44...Lxf1! 45.Dxf7+ Kh8 46.Df6+ Kh7 47.Kh2 De8 gewinnt." Endlich noch jemand, der sich diese Frage stellt - ich dachte schon, ich sei einfach zu blöd! Zur Veranschaulichung noch einmal ein Diagramm:

Schwarz plant, eine weißfeldrige Blockade zu errichten und, wenn möglich, seinen Läufer für die beiden Freibauern zu geben. 48.c6 Lb5! 49.c7 La6 führt zu nichts, ebenso wenig wie 48.b7 Db8+. Also was tun? Dazu noch eine Anmerkung: Jeder kann hier seine Lieblings-Engine einschalten und wird feststellen, dass sie eine Gewinnstellung für Weiß anzeigt. Eine ganz andere Frage ist aber, ob dabei auch ein Gewinnweg herauskommt, ob also z.B. diverse Festungsmotive verstanden werden. Branchenführer Houdini hat hier jedenfalls seine liebe Mühe. Ich glaube, dass ich inzwischen trotz allem einen gewinnträchtigen Plan gefunden habe, aber besonders klar ist die Sache keineswegs. Für mich liegt auf der Hand, dass Gelfand so hätte spielen müssen, und ich verstehe nicht, warum dies so wenig beachtet wurde. Zu viel Engine-Gläubigkeit? Oder gibt es doch eine einfache Lösung? Was meinen die Leser?

Two days in London
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Freitag, 12 April 2013 17:33

Two days in London

Was war das für ein Finale beim Kandidatenturnier in London! Dramatisch war's, kurios auch, nervenaufreibend, emotional, historisch - und ich war dabei. "Zufällig" hatte ich schon ein paar Wochen vorher meinen Oster-Kurzurlaub (Samstag bis Dienstag) in London gebucht und ich war dann auch wirklich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, d.h. ich konnte die beiden letzten Runden live verfolgen. Diese Tage werde ich so schnell nicht vergessen. Was Schach betrifft, habe ich noch nie etwas Mitreißenderes erlebt. Die besten Spieler der Welt hautnah, ein Wechselbad der Gefühle, Hochspannung bis zur letzten Minute - und am Ende gewinnt auch noch mein Lieblingsspieler, Wahnsinn.

Schon bald war mir der Gedanke gekommen, dass ich für die Blogleser hier einen Stimmungsbericht verfassen könnte. Inzwischen bin ich seit über einer Woche wieder zu Hause und habe schon ungefähr zwanzig Mal erfolglos dazu angesetzt, etwas zu schreiben. Es ist nicht so, dass mir nichts einfallen würde, im Gegenteil fällt mir viel zu viel ein; ich bin immer noch ziemlich überwältigt von all den Eindrücken. Diese zu kanalisieren und in passende Worte zu kleiden, erweist sich als noch schwieriger, als ich anfangs dachte. Ich war ja nicht als neutraler Beobachter da, sondern in erster Linie als Carlsen-Fan. Und was habe ich gezittert und gebangt, meine Güte! Wenn man vor Ort dabei ist, hat es einfach eine ganz andere Intensität, als wenn man lässig zu Hause vor dem Computer sitzt, womöglich mit laufender Engine im Hintergrund. Man versteht viel besser die menschliche Ebene. Auch die vermeintlichen Halbgötter mit ihren gigantischen Elozahlen sind Menschen aus Fleisch und Blut, jeder ist anders veranlagt, aber alle sind von Emotionen geprägt. Was der Computer anzeigt, mag wissenschaftlich interessant sein, hat aber oft herzlich wenig mit dem zu tun, was in den Köpfen der Spieler vorgeht. Es ist auch z.B. einfach, aus der Ferne über Iwantschuks Zeitüberschreitungen zu lästern. Aber wenn der Mann wenige Meter vor einem sitzt und man jede Regung in seinem Gesicht studieren kann, beginnt man wenigstens annäherungsweise zu begreifen, wie er denkt, wie er fühlt, wie sensibel er ist. Iwantschuk verhält sich unwürdig, schmeißt leichtfertig oder gar absichtlich seine Partien weg? Wohl kaum.

Wie war denn nun die Atmosphäre vor Ort, wie fühlte es sich an? Zunächst ein bisschen wie Harry Potter, wenn er in Diagon Alley einkaufen geht. Man steht vor dem unauffälligen Gebäude, nichts lässt darauf schließen, was drinnen abläuft, aber man weiß ja Bescheid. Man lässt also die ahnungslosen Muggel stehen, tritt ein wie ein Mitglied einer verschworenen Gemeinschaft und legt seine alltägliche Existenz an der Garderobe ab. Willkommen in der Parallelwelt. Hier sind die Bretter, die die Welt bedeuten, hier im dunklen Halbrund wird Geschichte geschrieben. Nichts auf der Welt ist wichtiger als der nächste Zug. Nur der Tablet-Computer, mit dem man die Kommentare verfolgen können soll, erinnert ein wenig an die materielle Außenwelt. Das Ding funktioniert aber sowieso nicht vernünftig, die Übertragung ruckelt wie verrückt, also weg damit, Atmosphäre einsaugen. Nobles Ambiente hier drin, aber egal, entscheidend ist die Gestik und Mimik der Spieler. Was macht Carlsen für einen Eindruck?  Der sonst so lässige Junge sieht angespannt aus, sitzt steif am Brett, manchmal verzieht er gequält das Gesicht. Der Spaßfaktor spielt ja für ihn sonst eine große Rolle, er spielt einfach unheimlich gern Schach. Im Moment macht es aber offensichtlich keinen großen Spaß, der Druck ist immens, aber da muss er durch. 4.Dc2 gegen Nimzo-Indisch von Radja, na gut, das hat er gegen Grischuk auch schon gemacht. Trotzdem starrt Carlsen die Stellung an, als sähe er sie zum ersten Mal in seinem Leben. Was ist los? Mein Gott, bereitet er sich denn gar nicht vor? Was macht eigentlich sein Sekundant in London, außer Sightseeing? Aber wenigstens kommen nach und nach ein paar Züge, auch wenn sie vollkommen improvisiert und nicht sehr überzeugend aussehen. Verrückt wird man hingegen bei der zweiten zentralen Partie des Tages (s. Diagramm):

Kramnik hat gerade 5.e3 gezogen, kein üblicher Zug, aber weiß Gott auch nicht besonders furchteinflößend. Man könnte meinen, dass Schwarz z.B. 5...Lg7 antworten kann, ohne direkt zu verlieren. Aber Gelfand, die alte Schnarchnase, überlegt und überlegt und überlegt. Man wartet, sieht, wie die Zeit verrinnt (10, 20, 30 Minuten...) und wird schier wahnsinnig. Als ob in der Partie nicht noch viel kritischere Momente zu erwarten wären! Irgendwann erfolgt endlich 5...dxc4, Kramnik eilt ans Brett, zieht a tempo 6.Se2 und verschwindet wieder. Und Gelfand verfällt in die nächste Brütphase, nicht zu fassen!

Aber schließlich geht die Partie natürlich doch weiter, ich habe inwischen auch genug gesehen und siedle in den Kommentarraum um, wo eine deutlich lebhaftere Stimmung herrscht. Richtig voll ist es hier, bei weitem nicht alle haben einen Sitzplatz. Vorne gibt Lawrence Trent mit wechselnden Partnern den Chef-Moderator und -Kommentator und er macht es richtig klasse. Jeden Spieltag ist er von Anfang bis Ende da und muss sich den Mund fusselig reden, aber er beweist eine tolle Kondition und ist nie um einen guten Spruch verlegen. Vor allem findet er eine schöne Balance zwischen Sachlichkeit und Unterhaltung. Und langweilig wird es sowieso nicht, schon allein wegen der Turnierkonstellation. 

Vor allem die Partie Kramnik - Gelfand ist natürlich hochinteressant. Zunächst scheint Gelfand die Eröffnung doch ganz gut gemeistert zu haben, aber die Zeit läuft ihm davon. Je näher die Zeitkontrolle rückt, desto höher steigt die Spannungskurve. Gelfand steht kritisch, aber er verteidigt sich prächtig, findet immer wieder Ressourcen. Der ganze Raum fiebert mit, wohl über 100 Leute. Keiner weiß, was los ist. "Kramnik gewinnt!", heißt es zwischendurch, "nee, doch nicht!" Und so weiter. Nach der Zeitkontrolle ist die Lage immer noch unklar, aber zum Glück schaut in diesem Moment Peter Swidler vorbei. Er tut zwar wie üblich so, als hätte er keine Ahnung, sieht aber in einer Minute mehr als Trent & Co. in einer halben Stunde. Tja, deswegen darf er hier auch mitspielen. Der Weltklassemann prophezeit ein Remis und tätsachlich kommt es einige Zeit später auch so. Vorhang auf für Carlsens Endspiel-Magie!

Und damit sind wir bei meinem persönlichen Highlight der ganzen Veranstaltung. Die Schlussrunde war ja auch nicht von schlechten Eltern, aber wie Carlsen dieses Endspiel knetete, hat auf mich einen noch größeren Eindruck hinterlassen. Natürlich war Radjabow nicht besonders gut drauf, aber meine Güte, der Mann hat knapp 2800 Elo und ist (noch) die Nr. 4 der Welt. Und Carlsen drückt ihn aus wie einen Schulbuben! Wobei ich einen Moment herausgreifen möchte, in dem noch einmal richtig Zittern angesagt war:

 Wohin mit dem schwarzen König? Natürlich möchte man gerne nach b7, was die Kommentatoren zunächst auch empfohlen hatten, und auf 76.Sc4 folgt vermeintlich 76...Sc6 "mit sicherem Mehrbauern". Plötzlich stellte man aber fest, dass nach 77.Sb2! dann auf einmal der Läufer weg wäre. Hoppla, das kann man nach so langem Kampf schon mal übersehen! Und just in diesem Moment zieht Carlsen tatsächlich 75...Kb7. Er wird doch nicht etwa... Oh Gott! Alle Carlsen-Fans (ich bin natürlich nicht der Einzige) halten den Atem an, Manager Espen Agdestein mag gar nicht mehr hingucken. 76.Sc4 geschieht, jetzt AUFPASSEN, waaaaa... und man erkennt auf dem Bildschirm, wie Carlsen von der Erkenntnis durchzuckt wird. König zurück nach a6, in nächsten Anlauf nach a7 und weiter geht's. Puh! Man wischt sich die Schweißtropfen von der Stirn, aber Moment mal, wie steht's denn jetzt überhaupt? Carlsen hat zwar einen Bauern mehr, er hat nicht die Figur eingestellt, aber kommt jetzt nicht der weiße König reinmarschiert? 78.Kd4 schon gespielt! Oh je, jetzt wird's konkret. Man versucht zu rechnen, auf den Analysebrettern wird fleißig herumprobiert, wieder weiß zunächst keiner, was los ist. Trent unkt: "Das kann Carlsen auch noch verlieren!" Aaarg! Gibt's eigentlich einen Arzt hier? Aber Radjabow ist inzwischen auch ziemlich fertig und findet nicht die besten Züge. Ehe man sich's versieht, hat Carlsen eine Figur mehr, der Rest ist einfach. Alles bereit zum großen Finale!

 

Am letzten Tag herrscht dann eine Atmosphäre, wie man sie von Schachturnieren wirklich nicht gewohnt ist. Die Räumlichkeiten sind proppevoll und im Analyseraum geht es teilweise zu wie auf einem Rummelplatz. Von links und rechts wird reingerufen, obwohl dies wegen der Internet-Übertragung eigentlich untersagt wurde. Vor allem der direkt neben mir stehende Jonathan Speelman (der immerhin auch schon mal im Kandidaten-Halbfinale war) ist überhaupt nicht zu bändigen und gibt mehr oder weniger laut ständig Zugfolgen und Bewertungen von sich. Auch sonst sind viele englische Prominente da: von der älteren Generation Nunn und Mestel, von den jüngeren Leuten u.a. Jones und Williams, leider lässt Adams sich nicht blicken. Speelmans Prognosen gefallen mir überhaupt nicht: Bei Carlsen wird es remis und Kramnik gewinnt das noch, prophezeit er. So weit sind wir aber noch lange nicht. Die Spannung ist mit Händen zu greifen, mit zunehmender Dauer wird es fast unerträglich, aber man kann ja hier nichts anderes machen als gebannt auf die Bildschirme zu starren und das Beste zu hoffen. Einer hat einen Laptop dabei und analysiert mit Houdini, das gilt nicht! Die Computer-Vorschläge nicht zu kennen trägt außerordentlich zum Reiz der Sache bei. Auch ohne Hilfsmittel wird allerdings mit der Zeit immer klarer, dass beide Führenden die Kontrolle verlieren und somit wohl tatsächlich das eintritt, was vorher nur als Gag vorhergesagt wurde: Carlsen und Kramnik verlieren beide! Aber die Dramaturgie wäre nicht perfekt ohne ein retardierendes Moment: Carlsen hat bereits aufgegeben, Iwantschuk steht kurz vor dem Sieg. Plötzlich wird die Kunde verbreitet, auch die letzte Partie sei vorbei. "Iwantschuk hat Remis angeboten!" Lähmendes Entsetzen - wieso remis? In totaler Gewinnstellung? Iwantschuk schenkt Kramnik den Turniersieg? Skandal, Schiebung, Betrug? Doch da kommt die Auflösung: "April, April!" Tatsächlich, es ist der 1. April und fast könnte man meinen, dass der liebe Gott persönlich sich einen kleinen Scherz erlaubt hat... Mir ist aber eigentlich nicht zum Lachen zumute, sondern ich bin einfach überwältigt. Diese zwei Tage waren so intensiv, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Ein einzigartiges Erlebnis - Schach pur!

 

Die Hand Gottes
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Donnerstag, 14 März 2013 15:49

Die Hand Gottes

Wegen Zeitmangels komme ich im Moment nicht zu tiefschürfenden Analysen, aber eine kleine Einstimmung auf das morgen (na gut, bei Veröffentlichung des Artikels fast schon "heute") beginnende Kandidatenturnier will ich hier schon noch loslassen - natürlich wieder unter dem Blickwinkel des Endspiels. Meine Prognose ist nämlich, dass Magnus Carlsen gerade wegen seiner Überlegenheit im Endspiel das Turnier gewinnen wird. Eröffnungstechnisch werden alle Teilnehmer exzellent vorbereitet sein, auch der sonst etwas theoriefaule Weltranglistenerste, der mit Peter Heine Nielsen einen der besten Sekundanten verpflichtet hat, die man sich vorstellen kann. Im Mittelspiel sehe ich Kramnik und Aronian auf Augenhöhe, vielleicht sogar auch Iwantschuk, falls er in Topform sein sollte. Im Endspiel hingegen kann niemand Carlsen das Wasser reichen. Es ist unglaublich, wie viele Punkte er in dieser Partiephase holt und was für scheinbar leblose Stellungen er immer wieder gewinnt. Faul wie ich bin, verweise ich zu diesem Thema auf einen Artikel, den ich Anfang Dezember anderswo veröffentlicht habe, damals anlässlich der Partie gegen McShane in London. (Und wo ich schon dabei bin, auch noch der Hinweis auf den Artikel meines Vereinskameraden Martin Schmidt, der sich einige Endspiele aus der Bundesliga angeschaut hat, u.a. die hier in den Kommentaren angesprochene Partie Balogh-Khenkin.) Von vielen wird auch Kramnik als überragender Endspielexperte angesehen, aber das halte ich (auch wenn es in der Tendenz natürlich nicht ganz falsch ist) für übertrieben. Wenn man es konkret überprüft, stellt sich heraus, dass er bei weitem nicht immer das Optimum aus seinen Endspielen herausholt. Zu ein paar Beispielen kommen wir gleich noch.

Auch wenn ich mich in diesem Artikel um eine objektive Bewertung bemühe, will ich keinen Hehl daraus machen, dass ich ein langjähriger, eingefleischter Carlsen-Fan bin und natürlich meinem Idol fest die Daumen drücke. Woher kommt eigentlich diese Faszination, dieser "Carlsen-Hype", wie Blogkollege Thomas Richter es leicht abschätzig bezeichnet? Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht genau, aber das ist ja gerade das Tolle. Es hat irgendwie etwas Mystisches. An der Spielstärke allein liegt es wohl nicht. Wunderkinder gibt es immer wieder, z.B. wurde Karjakin noch deutlich früher Großmeister, hat mich deswegen aber trotzdem nie besonders interessiert. Carlsens Spiel hat irgendetwas Besonderes, etwas Magisches, das man nicht erklären kann, sondern entweder fühlt oder eben nicht. Mir scheint jedenfalls, dass es ziemlich viele Leute fühlen, darunter auch einige von Carlsens Gegnern, die davon so beeindruckt sind, dass sie unter ihrem üblichen Niveau zu spielen scheinen. Ich selbst habe mich 2003 zum ersten Mal mit Carlsens Partien beschäftigt, als der damals 12-Jährige beim Open im österreichischen Schwarzach auftrat und die Titelträger das Fürchten lehrte. "Ein neuer Leko?" fragte "Schach" damals. Mir wird vielleicht keiner glauben, aber ich hatte schon damals das Gefühl, dass es sogar noch besser kommen würde. Ein Leko reicht ja auch schon, oder? :)  Ein Schlüsselerlebnis kam für mich jedenfalls einige Jahre später, als ich einem Playchess-Livekommentar von Daniel King folgte. Ich erinnere mich nicht mehr an die Begleitumstände, ich habe nur noch einen Satz im Kopf, mit dem der Großmeister kurz und knapp seine Eindrücke von einer Carlsen-Partie zusammenfasste: "Man konnte die Hand Gottes spüren." Ich bin eigentlich kein gläubiger Mensch, aber trotzdem scheint mir dieser Ausspruch den Nagel auf den Kopf zu treffen, auch wenn ich es, wie gesagt, nicht erklären kann. Und nein, mit Maradona hat das alles gar nichts zu tun. (Zur Illustration siehe übrigens Bild oben. Man beachte auch rechts den ebenfalls nicht unwichtigen O-Saft Gottes.)

Damit wieder zu einer irdischeren Betrachtungsweise. Man findet anderweitig bereits eine Untersuchung von Carlsens Eröffnungsrepertoire, entscheidender erscheint mir allerdings sein "Endspielrepertoire". Da Kramnik und Aronian vermutlich die härtesten Konkurrenten sein werden, folgt nun ein kleiner Rückblick auf Carlsens Endspiel-Duelle mit diesen beiden, angefangen mit dem Armenier.

Es ist keineswegs so, dass Carlsen im Endspiel schon immer besonders gut war, eher im Gegenteil. Zu Beginn seiner Karriere verdaddelte er noch einiges, aber die vorliegende Niederlage gegen Aronian (Tal-Memorial 2006) war ein sehr heilsamer Schock. Etwas ungenau hatte der Jungmeister auch schon vorher gespielt, aber die Diagrammstellung war immer noch remis und die richtige Spielweise aus der Endspielliteratur auch gut bekannt. Weiß droht hier eigentlich nichts, aber Schwarz ist dran und es ist nicht so einfach für ihn, einen unschädlichen Zug zu finden. 73...Tb8? wäre z.B. nicht gut, denn später bei Seitenschachs wäre dann die Distanz zum weißen König zu kurz. Details bitte ich ggf. in den einschlägigen Büchern nachzulesen. Richtig ist jedenfalls einzig 73...Kg6!=, falsch war hingegen die Partiefolge 73...Ta7+? 74.Ke8 und bereits aufgegeben, da der Durchmarsch des Bauern nicht vernünftig zu verhindern ist. Nach dieser Pleite setzte sich der Norweger auf den Hosenboden, beschäftigte sich intensiv mit der Materie und seine Endspiele wurden bald deutlich besser, auch in nicht-elementaren Stellungen.

 

Hier eine Kostprobe aus dem Kandidatenmatch von 2007. Sicher steht Carlsen mit Weiß hier ganz schön, aber wie lautet der Gewinnplan? 27.Sf5!! Zwei Rufzeichen von Mihail Marin, mit dem Kommentar: "Ein fantastischer Zug, der von sehr tiefem Stellungsverständnis zeugt." Das nun entstehende Turmendspiel musste präzise bewertet werden. 27...Sxf5 28.exf5 Kg8 29.Te4! Das Manöver Te4-g4-g7 ist sehr stark; Schwarz kommt gar nicht dazu, den d-Bauern abzuholen. Aronian fand keine Verteidigung, 1-0 nach weiteren 12 Zügen.

Auch Carlsens nächste Weißpartie in diesem Zweikampf war sehr interessant. Die Diagrammstellung sieht nicht sehr vorteilhaft für ihn aus, denn der Bauer c3 geht verloren und das auf der Hand liegende 36.Tf8 nebst Sxf7 führt nur zum Remis. Carlsen hatte jedoch schon einige Züge vorher die Gewinnidee entdeckt: 36.f4! Txc3 37.h5! gxh5 38.Tf8 Ta3 39.f5! und nun sieht man den Unterschied: Weiß erwischt den Bf7, ohne seinen mächtigen Springer abtauschen zu müssen. Gegen dieses Gespann war nichts mehr zu machen, 1-0 nach weiteren 10 Zügen.

Von den weiteren Partien kann ich natürlich nicht alles zeigen; in Linares 2009 verlor Carlsen zugegebenermaßen noch einmal ein objektiv remises Turmendspiel, allerdings nur durch einen sehr späten Fehler in keineswegs einfacher Stellung, nach zuvor starker Verteidigung. Hingegen gab es auch noch mehrere überzeugende Siege im Endspiel. Ich möchte noch an ein recht drastisches Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit erinnern (Carlsen-Aronian, London Classic 2012):

So stand es unmittelbar nach dem Damentausch. Weiß hat hier einen Bauern mehr, aber die schwarzen Figuren sind deutlich aktiver. Die Kontrahenten waren sich einig, dass allenfalls Schwarz besser steht und Weiß eigentlich mit einem Remis gut bedient wäre. Es war jedoch erheiternd, wie die weiße Stellung in der Folge Zug um Zug immer besser wurde. Man hatte das Gefühl, dass Carlsen haargenau wusste, was zu tun war, während sein Gegner eher im Nebel stocherte. Schauen wir uns nach Art eines Vorher-Nachher-Vergleichs eine später entstandene Stellung an. Finden Sie die 20 Unterschiede:

 

Krass, oder? Was hat Schwarz mit seinen Figuren angestellt und was hat Weiß erreicht? Natürlich eine rhetorische Frage. Nähere Kommentare dürften sich erübrigen; 1-0 nach weiteren 8 Zügen.

Und damit zu Wladimir Kramnik, der sich auch immer wieder pikante Duelle mit dem jungen "Wikinger" lieferte. Das erste Endspiel zwischen diesen beiden entstand in Wijk aan Zee 2008; Carlsen gewann, aber dies war auch nicht allzu schwer, da er im Mittelspiel schon klaren Vorteil erzielt hatte. Spannender ging es beim Tal-Memorial 2009 zu: In einem eher langweilig aussehenden Endspiel mit Türmen und ungleichfarbigen Läufern spielten beide Seiten mit aller Macht auf Gewinn und nach einigen Komplikationen endete der Kampf remis. Einen Erfolg für Kramnik gab es dann in der Hinrunde des Grand Slam-Finales 2010, wobei die entscheidende Phase allerdings eher eine Art damenloses Mittelspiel war. Aufschlussreicher ist für uns die Rückrundenpartie:

Die Remistendenz von Turmendspielen ist bekannt, aber hier hat Kramnik mit Schwarz einen gesunden Mehrbauern und nach seinen eigenen Kommentaren ist die Stellung in der Tat gewonnen. Dennoch konnte Carlsen die Partie halten! Noch erstaunlicher war jedoch der Gang der Dinge in London 2010:

Mit sehr starker Mittelspielbehandlung hatte Kramnik sich eine Mehrfigur erarbeitet und hätte nach 62.Td3 recht einfach gewinnen sollen.  Er wählte jedoch 62.Txd6+?! und verkannte dabei offenbar die technischen Schwierigkeiten nach dem Abtausch der Türme und Springer. Objektiv war es zwar immer noch gewonnen, aber während Carlsen sich optimal verteidigte, griff Kramnik später erneut fehl und verdarb auch diese Partie zum Remis.

Hier haben wir nun Kramnik-Carlsen aus Wijk aan Zee 2011, auch wieder ein interessanter Fall. Schwarz hat gerade einen Bauern gewonnen, steht aber noch vor erheblichen technischen Schwierigkeiten, da der a-Bauer seine Kräfte binden wird und der weiße Läufer stark zu werden droht. Bei richtigem Spiel sollte Weiß sich behaupten können, aber derjenige, der das Maximum herausholte, war einmal mehr der Norweger!

Die letzten beiden Fälle: In London 2011 hielt Kramnik ein leicht unangenehmes Endspiel remis, ein Jahr später an selber Stelle tat Carlsen dasselbe, wobei diese Aufgabe m.E. die etwas schwerere war. Insgesamt zeichnet sich jedenfalls wieder das bekannte Muster ab: Hat Carlsen realistische Gewinnchancen, holt er auch den Punkt, steht er hingegen schlechter, hält er in der Regel remis. So muss man es machen und so kann man auch Weltmeister werden. Alles Gute, Magnus!

Mittwoch, 22 Februar 2012 14:22

Goldene Zeiten

FIDE-Präsident Iljumschinow verkündet in einem Interview mit dem russischen Sport Ekspress wieder einmal den Anbruch goldener Zeiten. Das Kandidatenturnier soll Ende Oktober, Anfang November in London über die Bühne gehen. Dass die Ausrichtung dort teuer ist und die britischen Medien das Ereignis links liegen lassen werden, spielt für die Geldgeber keine Rolle. Das Geld kommt aus Aserbaidschan und ermöglicht dem Liebling der dortigen Machthaber, Teimur Radschabow, die Teilnahme. Ursprünglich bewarb sich Baku um die Ausrichtung, doch dort wäre der Armenier Aronjan, einer der Favoriten, nicht willkommen.

Noch dieses Jahr soll auch wieder eine Grandprixserie starten. Die ersten zwei von sechs Turnieren sind zwar, wie der ganze letzte Zyklus 2008-2010, wieder in der Exsowjetunion angekündigt, nämlich in Taschkent und Tscheljabinsk, aber die weiteren Stationen im nächsten Jahr sollen im Westen untergebracht werden. Letztes Mal hat´s nicht geklappt, wir werden sehen.

banner-seminarturnier200-anDie Hoffnungen basieren auf dem amerikanischen Medienunternehmer Andy Paulson, der in Russland ein Vermögen verdient hat mit, man höre und staune, journalistisch vorzeigbaren und politisch nahezu unabhängigen Produkten. Paulson, der im Schach noch nicht vorher aufgetreten ist, soll eine neue Firma namens AGON haben, die die Spitzenwettbewerbe der FIDE in den nächsten Jahren vermarkten soll. Näheres über den Sitz, die Mitarbeiter und Eigentumsverhältnisse von AGON ist bisher nicht bekannt. Dass es Dutzende Firmen dieses Namens gibt, erleichtert die Recherche nicht. Das aserbaidschanische Geld erleichtert AGON den Start: Dem Vernehmen nach will Baku die WM 2013 ausrichten, es sei denn Aronjan wird Herausforderer.

Noch eine weitere Firma wird genannt, von der die meisten Schachfans noch nie gehört haben werden: CNC, die Chess Network Company mit Sitz in Moskau, besteht bereits seit Ende 2009 und gehört laut der New York Times mehrheitlich Chess Lane, einer in London sitzenden Firma von David Kaplan, einem Geschäftsfreund Iljumschinows. CNC hält die Marketingrechte der FIDE und ist auch in den neuen Deal mit AGON involviert

Remis?
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Montag, 16 Mai 2011 09:40

Der will doch nur blitzspielen

Das Kandidatenturnier bleibt spannend, aber sportlich unbefriedigend. Nach 14 von 16 Viertelfinalpartien endeten auch gleich sämtliche Halbfinalpartien remis. Die Remisquote ist damit auf über neunzig Prozent geklettert. Im Finale werden wir einen Spieler sehen, der noch keine reguläre Partie gewonnen hat sondern sein Weiterkommen den besseren Nerven im Schnell- oder Blitzschach verdankt.

Mir gruselt vor einem Sieger Grischtschuk. Wie schon gegen Aronjan bot er gegen Kramnik, wenn er einmal gut stand, remis. Kramnik hat (wie schon gegen Radschabow) mehr versucht und dabei auch riskiert, insbesondere in der vierten Partie, in der zwar allgemein Grischtschuks Verteidigungsleistung gelobt wird, der Pokerexperte aber zwei, drei (von Sergei Schipow in seinen ausgezeichneten Kommentaren angegebene) Chancen verpasste, selbst das Ruder zu übernehmen und aussichtsreich auf Gewinn zu spielen. Zwischen Kamsky und Gelfand war insgesamt mehr los, und in der dritten Partie ließen beide Gewinnchancen aus. Wenigstens sahen wir in keiner Halbfinalpartie bisher das Damengambit, in dem Jan Gustafsson schon "das neue Russisch" vermutet, also wie 1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 die 1.e4-Spieler frustriert das klassische Damengambit die 1.d4-Spieler peinigt. 

Die Stechen an diesem Montag ab 13 Uhr (zunächst vier 25-Minuten-Partien) werden sicher aufregend. Und vielleicht wäre es schlau, wie Olaf Teschke vorschlägt, das Stechen vor den regulären Partien auszutragen, damit einer halt weiß, dass er mehr riskieren muss. Aber, und da wiederhole ich mich, ein legitimer WM-Herausforderer wird in diesem Modus nicht ermittelt. 

Reschs Erbe
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Montag, 09 Mai 2011 21:02

Reschs Erbe

Ekelhaft. Einfach ekelhaft. Und traurig. Nach Topalow hat es beim Kandidatenturnier in Kasan mit Aronjan auch den Hauptfavoriten erwischt. Der Armenier spielte die erste Schnellpartie des Stechens mit Weiß wie ein Kind. In der zweiten kämpfte er sich mit Schwarz mit einer riskanten Eröffnungsanlage zurück ins Match, verlangte aber im vierten Spiel zu viel von seiner Stellung. Sein Bezwinger Grischtschuk ist aber nicht der größte Opportunist in Kasan. Sein Landsmann Kramnik hat ihn klar übertroffen. Nach vier regulären Remis gegen Radschabow war auch im Schnellschach das Gleichgewicht nie ernstlich gestört. Die erste Blitzpartie verlor Kramnik, die zweite war totremis, aber Kramnik zog so lange hin und her, bis Radschabow zwei Bauern einparkte und entnervt auch noch die nächste aus völlig akzeptabler Stellung heraus verlor.

Kramnik ist im Halbfinale Favorit gegen Grischtschuk und Gelfand ist es gegen Kamsky. Gegen den Amerikaner hält der Israeli ein Score von 8:2, wobei Kamskys letzter Sieg schon fast zwanzig (!) Jahre zurückliegt. Pikant ist, dass Kamskys wichtigster Helfer seit Jahren Gelfands Landsmann Emil Sutovsky ist.

Aber zurück zu meinem Ekel an diesem Reglement. Wir haben zwei Halbfinalisten, die keine reguläre Partie gewonnen haben, ja nicht einmal wirklich chancenreich gestanden sind. Vier Partien sind zu wenig für ein Match. Aber zwei Matchrunden über sechs und eine über acht Partien, sprich zwanzig reguläre Partien für die Finalisten ist wohl zu viel für ein Turnier. Ein doppelrundiges Achterturnier hätte die Gefahr von Schiebungen geborgen, aber Mauerschach wie von Kramnik und Radschabow hätten wir kaum gesehen. Hatten sich die Achterturniere um die WM 2005 und 2007 nicht bewährt und jeweils einen klaren Sieger produziert?
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Jusu1Warum haben wir überhaupt Zweikämpfe? Das war nur eine von mehreren Änderungen innerhalb des laufenden WM-Zyklus und geschah auf Wunsch von Kramnik-Intimus Josef Resch. Der deutsch-russische Geschäftsmann, der 2008 die WM Anand - Kramnik in Bonn auf die Beine gestellt hatte, wurde von der FIDE Anfang 2009 zunächst als Ausrichter des Kandidatenturniers und der WM bestätigt, sah sich dann aber in den weiteren Verhandlungen immer neuen Forderungen der Funktionäre ausgesetzt und zog sich zurück. Die Zweikämpfe aber blieben.

Verdammt, warum spielt Carlsen nicht? Wollte er nicht zumindest eine Debatte über den WM-Modus und die Privilegierung des Weltmeisters anschieben? Debattiert wurde fast nur, welche ungenannten Gründe hinter seiner Absage steckten. 

Vielleicht erneuert Resch ja sein Angebot, wenn Kramnik durchkommt. Das Schlimme ist, dass man ihn sich im Interesse einer ergebnisoffenen WM nächstes Jahr als Sieger wünschen kann, die anderen drei haben nämlich alle keine Chance gegen Anand. Man stelle sich vor, Radschabow hätte im Blitz die Nerven behalten. Beamt mich ins Jahr 2013, bitte. 

Toll ist anders
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Montag, 09 Mai 2011 02:28

Toll ist anders

Das Kandidatenturnier ist nicht der erhoffte Knüller. 14 von 16 Partien endeten remis. Dass und wie Gelfand Mamedscharow rausgeballert hat, nämlich unter Verzicht auf Russisch und Einsatz des Najdorf-Sizilianers, ist noch die beste Nachricht. Topalow - Kamski war das Match mit den interessantesten Partien, und der Bulgare hätte für sein risikofreudiges Spiel mit beiden Farben ein Stechen verdient gehabt. Ich hoffe, dass Grischtschuk am Montag auch nach Hause geschickt wird. So gut wie in der vierten Partie stand er das ganze Match nicht - und bot unmittelbar remis an. Verständlich, dass Aronjan annahm. Er wäre der interessanteste WM-Gegner für Anand. Schon deshalb muss er weiterkommen. Aber auch, weil er in dem Match alle Akzente setzte und Grischtschuk in der ersten Partie ausgelassen hat. Eine große Enttäuschung ist Kramnik - Radschabow. Beide riskierten rein gar nichts. Vor allem Radschabow ist anzumerken, dass er sein Glück im Schnellschach sucht. Da hat Kramnik zuletzt in Monaco gar nicht überzeugt.