Reise nach...
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Montag, 12 September 2011 09:53

Reise nach...

Der Weltcup hat mich bis zum Viertelfinale nicht besonders interessiert. Das Schach war nicht besonders. Der Modus eignet sich, um genau einen Sieger zu ermitteln, aber nicht, um die drei Besten zu finden. So viele Plätze aber werden in Chanti-Mansisk für das nächste Kandidatenturnier vergeben. Wer unter die letzten vier gekommen ist, hat nun beste Chancen auf einen dieser drei Plätze. Sorry, dass ich das so eng sehe, aber die WM-Quali ist aus meiner Sicht das Entscheidende.

 

Nun ändert der Wettbewerb seinen Charakter radikal. Bis zum Viertelfinale hatte niemand eine Chance von 50 Prozent. Jetzt haben alle Verbliebenen eine deutlich höhere Chance. Gespielt wird quasi die Reise nach Jerusalem. Oder nach Chanti-Mansisk, wo es genug Ölgeld gibt, um vermutlich (Gott behüte) das nächste Kandidatenturnier praktisch ohne nichtrussische Berichterstatter und Zuschauer abzuwickeln. Dass ausgerechnet der Kampf um Platz eins, in dem sich zwei Qualifizierte gegenüberstehen, über vier statt zwei Partien angesetzt ist, macht nur Sinn, weil das halt auch bei früheren Weltcups so war. Idiotisch. Also typisch FIDE.

 

Ich freu mich, dass Iwantschuk Radschabow rausgeworfen hat. Aber gerecht ist das nicht. Radschabow hat diesen Weltcup großartig gespielt, und sein mutiges Opfer auf g5 gegen Iwantschuk war nur eines von ihm gesetzten Highlights. Kein bisschen so destruktiv wie im Kandidatenmatch gegen Kramnik. So sympathisch mir Swidler ist, der mit Te2 gegen Kamsky den stärksten Zug des Turniers fand, so bedauernswert ist, dass Polgar gegen ihn überzogen hat und sich auskontern ließ. Je internationaler das Kandidatenturnier wird umso besser. Nun drohen mit Kramnik (nach Elo), Swidler und Grischtschuk drei (befreundete) Russen, was die Wahrscheinlichkeit einer weiteren russischen Austragung sicher nicht reduziert. Apropo Grischtschuk. Auf ihn hätte ich nach seinem blitzorientierten Spiel im Kandidatenturnier verzichten können. Der Glücksvogel wurde im Viertelfinale von Navara wie schon im Mai von Aronjan und Kramnik schlicht ausgelassen. Hoffentlich wirft er nun nicht Tschuky aus der Bahn. Gaschimow hätte ich die Quali im Unterschied zu seinen mit weniger Skrupeln behafteten Landsleuten ein Weiterkommen gegönnt, aber Ponomarjow tue ich es auch.

Michail Tchigorin, Entdecker der Russischen Schachschule
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Viszontlátásra – das war es für Judit Polgár beim Weltcup in Khanty-Mansiysk. Das Aus kam im Viertelfinale gegen Peter Svidler, der als russischer Meister und Mannschaftskollege von Jan Gustafsson zwei exzellente Referenzen vorweisen kann. Nachdem Polgár die erste Partie noch recht locker mit den schwarzen Steinen zum Remis abwickeln konnte, wurde ihr taktisches Spiel in der zweiten Partie von Svidler geduldig ausgebremst, so dass sie sich  von einem geopferten Bauern nicht mehr erholen konnte.
Früher Rückflug also für die Ungarin, die sich als Nr. 33 der Setzliste äußerst respektabel geschlagen hat und nun immerhin mit dem schönen Titel „Beste Frau der Welt“ nach Hause reist.

Neben Svidler haben sich Alexander Grischuk (nach Stechen gegen David Navara), Ruslan Ponomariov (1,5:0,5 gegen Vugar Gashimov schon in den regulären Partien) und Vassili Ivanchuk (im Tiebreak gegen Teimour Radjabov) für das Halbfinale qualifiziert. Die Paarungen dort lauten:

Svidler - Ponomariov

Ivanchuk - Grishuk

Gespielt wird schon ab morgen, und wiederum zwei Turnierpartien mit nachfolgenden Tiebreaks. Erst im Finale gibt es ein Mini-Match, für das vier Partien mit langer Bedenkzeit angesetzt sind. -

Einige längere Analysen zum Match Radjabov vs Ivanchuk findet man auf der sehr abwechslungsreichen Homepage des kanadischen Großmeisters Kevin Spraggett. Sehr gut gefallen hat mir die zweite Partie, in der Radjabov unbedingt gewinnen musste, um im Rennen zu bleiben. Kein leichtes Unterfangen gegen einen Riesen bzw. Bären wie Ivanchuk, doch Radjabov spielte einfach ein paar muntere Züge:

radjabov - ivanchuk

Nach sechs gespielten Zügen und einer relativ englisch aussehenden Eröffnung ist hier eigentlich noch nicht viel los. Umso schöner, dass Weiß hier in weniger Zügen eine Figur opfern wird!

7.h2-h4!

Radjabov schickt einen Außenstürmer auf dem rechten Flügel ins Rennen. Ähnliches probierte auch Levon Aronjan vor kurzem - Frank Zeller hat von dieser turbulenten Partie berichtet. Aber wie sieht es hier aus - die schwarze Verteidigung steht doch eigentlich. Was will der Bauer genau erreichen?

7..... h7-h6

Ivanchuk bleibt cool und stellt sich darauf ein, nach h4-h5 einfach mit g6-g5 zu antworten. Danach bleiben die Linien am Königsflügel weiterhin geschlossen. ( ... so könnte man zumindest meinen!) 

8. Lc1-d2, b7-b6

Spraggett kritisiert diesen Zug, weil das Feld d6 dadurch geschwächt wird. Er hat wohl Recht damit - aber es ist schwer, das an dieser Stelle schon zu ahnen.

Radjabov spielt nun munter weiter - und zwar mit den lustigen Zügen ...

9.h4-h5!

radjabov - ivanchuk1

Das kann man ja erstmal so spielen. Ivanchuk antwortete mit dem geplanten ... 

9.... g6-g5

und fiel nach der unbeschwerten Antwort

10.Sf3xg5!!

wahrscheinlich erst einmal vom Stuhl (Videobilder liegen der Redaktion leider nicht vor.).

radjabov - ivanchuk2

 

Hoppla!

Tatsächlich hat Radjabov einige Kompensation für seinen Läufer. Ein tolle Idee, die man wahrscheinlich ganz ohne die Hilfe von Fritz finden muss. Toll finde ich, dass Radjabov diesen Zug spielte, obwohl es für ihn um alles oder nichts ging und er unbedingt gewinnen musste. Aber so ist das manchmal - und der Druck lastet dann ja auch auf dem Gegner. -

Die stärkste Frau des Teilnehmerfeldes ist nicht mehr dabei, und nach dem Ausscheiden von Jörg Hickl stehen nun also je zwei Spieler aus der Ukraine und aus Russland in der Runde der letzten Vier. Somit sind die Vertreter der russischen Schachschule mal wieder ganz unter sich (auch wenn sich die Ukrainer streng genommen wahrscheinlich nicht dieser Schule zugehörig fühlen werden – ich bitte vorsorglich um Verzeihung). Interessant ist an dieser Stelle vielleicht, dass GM Alexander Yermolinski in seinem Buch "The Road to Chess Improvement" die Existenz einer russischen Schachschule ziemlich direkt in Frage stellt und sie als reinen Mythos beschreibt. Doch wie dem auch sei - die Besetzung des Halbfinales gibt der von Michail Tchigorin schon vor langer langer Zeit entdeckten russischen Schachschule wieder einmal Recht!

Mal schauen, wem wir von nun an die Daumen drücken. Das Spektakel geht weiter!

Wartet auf ein Angebot: Judit Polgar
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Dienstag, 05 Juli 2011 12:22

China will sie spielen sehen

In Wien werden an diesem Dienstag die Maccabi-Spiele eröffnet, die Olympischen Spiele der jüdischen Sportler. Alle vier Jahre findet sie in Israel und alle vier Jahre in einem anderen Land statt. 2009 in Netanya gab es ein hochklassiges Schachturnier mit Gelfand, Beljawski, Judit Polgar, Nepomnjaschtschi und acht weiteren starken Großmeistern. Dieses Jahr ist es wieder ein Amateurturnier. Aber am Sonntag wird Judit Polgar ein Simultan spielen, anlässlich der Benennung des Rudolf-Spielmann-Platzes vor dem Wiener Haus des Schachsports gleich beim Praterstadion. Ob ich ihr etwas über Spielmann sagen könne, fragte sie mich, als ich sie für die Jüdische Allgemeine interviewte. Ich konnte sie auf die Schnelle auch nur auf Wikipedia verweisen. Zeit, ihre Hausaufgaben zu machen, hat sie ja noch. Wobei sie natürlich schon in der Vorbereitung für die Mannschafts-WM in China steckt, wo Ungarn mit Leko, Almasi, ihr und Berkes stark auflaufen wird.
 
Polgar erwähnte, dass sie von chinesischer Seite wieder Anfragen habe für ein großes Match gegen eine Frau. Vor Jahren war es um Xie Jun gegangen, die aber eigentlich nie auch nur annähernd ihre Kragenweite hatte. Jetzt geht es um Hou Yifan. Es wäre kein offizieller WM-Kampf, sagte Polgar, aber jeder würde es wohl als einen ansehen. Und sie würde es sehr ernst nehmen (und sich ein halbes Jahr für Vorbereitung und Match nehmen), wenn auch das Angebot ernst (sprich: lukrativ) sei. Noch ist die 17jährige Chinesin deutlich hinter Polgar, aber in etwa drei Jahren könnte es ein spannendes Duell sein. Ihre Meinung über die Trennung des Frauenschachs wird es aber wohl nicht mehr ändern.    
 
Dienstag, 29 März 2011 10:51

Schüttellähmung

Will niemand Europameister werden? An den vorderen Brettern geht es im französischen Aix-les-Bains ausgesprochen friedlich zu. Was gutteils daran liegt, dass die EM ein Qualifikationsturnier für den Weltcup ist. Viermal klatschen, siebenmal schütteln (für Nichteingeweihte: vier Siege und sieben Remis) sollten, vor allem, wenn man von Beginn an wertungsfördernd gut im Plus ist, für die Qualifikation reichen. Scheiß doch auf die Zuschauer. Es ist allerdings Wasser auf die Mühlen des neuen ECU-Präsidenten Silvio Danailow und seine Antiremislinie, die er an diesem Dienstag bei einer Außerordentlichen Versammlung der europäischen Verbände durchsetzen will, wobei das noch eine der weniger kontroversen Vorstellungen des Bulgaren ist, der auch einen strengen Dresscode und die Einführung der Drei-Punkte-Regel fordert.  

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Zurück zum Turnier. Wladimir Potkin, der als einziger mit fünf Siegen begonnen hat, remisiert inzwischen fleißig mit und ist immer noch alleine vorn. So unbekannt, wie nun manche tun, ist der 29jährige Russe nicht. Er spielt Bundesliga für Mülheim-Nord und gilt als solider, theoretisch beschlagener und auch sehr umgänglicher Spieler. Nicht nur Lewon Aronjan hat ihn des öfteren als Sekundanten eingesetzt. Potkins Elo lümmelte lange im Niemandsland um 2600 und passt sich nun wohl seinem tatsächlichen Spielverständnis an. Ein Siegertyp, der andere weghaut, ist er allerdings nicht, und ich tippe mal, dass er bei plus fünf bleiben wird. Die für den Titel nötigen plus sechs erwarte ich eher von Wolokitin, der mit Weiß alle weghaut und irgendwie überreif ist für einen großen Einzelerfolg und die 2700, oder vom zwar schon gelegentlich und auch jetzt über dieser Marke geführten, aber praktisch ständig formschwankenden Vallejo. Vielleicht, nein hoffentlich wird nach dem Ruhetag an diesem Dienstag ja mehr gekämpft und die Schüttellähmung an den vorderen Brettern überwunden. Das Vorbild liefert Judit Polgar, die am Sonntag gegen Ragger früh eine Figur reinsteckte und es trotz der Niederlage tags darauf gegen Pantsulaja gleich wieder tat - mit mehr Erfolg.?

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