Trapp, trapp, trapp, die Bauern kommen
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Mittwoch, 21 September 2011 00:05

Schnellen Schrittes in Wildeshausen

Es muss ja immer weitergehen, auch in der Welt des Schachs. Das dachten sich auch einige Spieler des SK Wildeshausen und brachten mit Quickstep eine spannende Neuerung im Bereich der Turnierformate auf den Markt.

Das Quickstep-Schachturnier!

Der Quickstep ist nicht nur ein flotter Tanz, sondern auch eine neue Turnierform, die hier im Nordwesten des Landes für eine gewisse Furore sorgt. Manche mögen schon davon gehört haben. Es ist in der Tat eine plietsche Idee, und ich glaube, es waren Christian Bien, Dirk Rütemann und einige andere Spieler aus dem Schachklub Wildeshausen, die sie als Erste in eine tolle neue Turnierform gegossen haben:

http://www.quickstep-chess.de/start.php3

Beim Quickstep spielt man drei etwas flottere Turnierpartien an einem Tag, und jede dieser Partien dauert nicht länger als 3 Stunden. Für jede Partie hat man 1 Stunde Bedenkzeit, um die ersten 30 Züge gepflegt über die Bühne zu bekommen, und den Rest muss man dann in weiteren 30 Minuten absolvieren. Weil man gleich drei solcher Partien an einem Tag spielt, ist eine gewisse zeitliche Anspannung ein ständiger Begleiter. Wir erleben einen weiteren strengen Schritt in Richtung Beschleunigung des Schachlebens. So weit, so gut, gerade auch für den modernen „Wenigzeitinhaber“ (Turnierhomepage).

Quickstep-Turniere sind aber weit mehr als nur eine weitere Umformung und Verkürzung der Bedenkzeit. Raffiniert werden diese Ein-Tages-Turniere vor allem auch durch die Art der Auslosung. Man meldet sich zum Turnier und gibt seine Wertungszahl an. Das kennt man auch von anderen Turnieren, doch hier – Überraschung! – ist es erlaubt, die eigene Zahl um bis zu 100 Punkten nach oben oder unten zu verändern.
Zu Beginn des Turniers wird dann aus den Wertungszahlen dann die Rangliste der Teilnehmer aufgestellt – auch so etwas kennen wir schon von anderen Turnieren. Nun aber wird aus den ersten vier Spielern der Liste eine Gruppe gebildet – und nur diese vier spielen nun ein Art Mini-Rundenturnier. Dasselbe geschieht mit den Spielern mit der Ranglistennummer 5 – 8 – auch hier entsteht eine Gruppe, die ein charmantes kleines Rundenturnier austrägt. Und so geht es weiter mit allen Spielern des Teilnehmerfeldes.

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Seit jeher auch bei Großmeistern sehr beliebt - das Rundenturnier (Quelle: Wikicommons)

Der Charme dieser Turnierform besteht darin, dass alle Teilnehmer an nur einem Tag drei Gegner bekommen, die ungefähr eine ähnliche Wertungszahl haben wie sie selbst. Die Gewinner jeder Gruppe bekommen einen Preis – ungefähr 75% des Startgeldes, das in ihrer Vierer-Gruppe bezahlt worden ist. Man wird also nicht wirklich reich beim Quickstep – aber hat drei starke Gegner, und das ist prima.

Anders als beim Schweizer System fällt man hier durch eine Niederlage nicht dramatisch zurück und trifft auf einen Gegner mit einer deutlich niedrigeren Wertungszahl (oder nach einem Gewinn auf einen Großmeister). Stattdessen spielt man sein kleines Rundenturnier und hat drei relativ gleich starke Gegner an einem Tag. Es kann sogar sein, dass man alle drei Partien an einem Tag verliert. Schön ist das dann nicht, aber – beim Quickstep ist das Turnier dann ja auch schon wieder vorbei, und man kann nach Hause fahren und seine Wunden lecken.

  Die Beschleunigung des Schachs setzt sich also fort - im Nordwesten des Landes geht der Trend (auch bei Jugendturnieren) zum Quickstep. Eine erstaunliche Bewegung, und eine spannende, unkomplizierte Ergänzung im Turnierkalender.
Auch wenn mir die knappe Bedenkzeit noch einige Sorgen macht – ich bin mal gespannt, wie mein erstes Quickstep-Turnier am Wochenende laufen wird. Wenn Turnierschach wirklich das beste Training ist, hilft mir vielleicht ein Tag in Wildeshausen.

Ein Problem allerdings bleibt - weil man drei Partien spielt, geht es schon um 9 Uhr morgens los. Ja, das ist früh, aber in solchen Fällen orientiert man sich dann gerne an einer alten Regel, die da lautet:  

Kaffee ist der beste Freund des Schachspielers

Nun gut, das stimmt natürlich nur bedingt. Der beste Freund des Schachspielers ist immer noch der volle Punkt, ist die Gewinnpartie, das Matt am Ende eines Mannschaftskampfes! Nichts anderes ist es, wonach uns dürstet. Kaffee allerdings, und hier stimmen wir den Spökenkiekern zu, Kaffee hilft uns dabei, die milde Irritation über einen viel zu früh begonnenen Sonntagmorgen beim Schach zu überstehen und langsam durch die Zugabe von reichlich Milch und etwas Zucker wieder in die Gänge zu kommen.
Ohne Kaffee ist alles nichts? Wir sagen es nicht gern, aber – so ist es. (Manche versuchten es schon mit Apfelsaft, aber die spielten dann auch 1.c2-c4.)

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Sieht doch nett aus, so eine kleine Tasse Kaffee (Photo: Julius Schorzman, Wikicommons)
Die Zeiten ändern sich

Warum aber überhaupt spielt man gleich drei Turnierpartien an einem einzigen Tag? Auf so eine Idee wäre früher niemand gekommen, doch früher war ja auch alles anders. Das Leben ist allgemein schneller geworden, und nicht immer bleibt viel Zeit für wirklich genussvolle, richtig lange Turnierpartien. Ulrich Schnabel hat in seinem Buch „Muße – vom Glück des Nichtstuns“ sehr schön beschrieben, wie das moderne Leben den Menschen durch einen intensiven Alltag treibt – wenn man nicht aufpasst, lauern überall Termine, Ansprüche, Handyklingeln, der Abwasch und eine diffuse Forderung nach ständiger Erreichbarkeit.

Das Tempo hat sich erhöht, und das Schachspiel als Abbild der modernen Gesellschaft ist diesem Trend gefolgt:

- Noch im Jahre 1834 lief der Wettkampf zwischen dem Franzosen La Bourdonnais und dem irischen Meister MacDonnell über 85 (in Worten, und bitte nicht erschrecken: fünfundachtzig) Partien. Das Match wurde von La Bourdonnais mit 45:27 gewonnen (bei 13 Remisen). Deutlich schneller ging es bereits in späteren Jahrzehnten zu. Dort endeten die Wettkämpfe zwischen Lasker und Tarrasch 1908 und zwischen Lasker und Schlechter 1910 schon nach knapp bemessenen 16 bzw.10 Partien.

- Anfang des 19.Jahrhunderts gab es auf Schachturnieren keine Uhren, und die Spieler konnten überlegen, bis der Arzt oder die Reinigungskräfte kamen. Martin Beheim-Schwarzbach beschreibt in Knaurs Schachbuch die Szenerie beim Wettkampf zwischen La Bourdonnais und MacDonnell:

Es kam vor, dass MacDonnell anderthalb Stunden und sogar noch mehr über einen einzigen Zug nachdachte. Er saß immer mit den Beinen auf der einen Seite des Stuhls und war so völlig in das Spiel vertieft, als ob das Schicksal seiner Seele davon abhinge [womit er ja vielleicht auch ganz richtig lag, O.St.].
[…] Manchmal verlor La Bourdonnais über die endlosen Grübeleien seines Gegners die Geduld und bezeugte sein Mißfallen durch allerhand sehr deutliche Gebärden, die sich in extremen Fällen bis zu offenem Schelten steigerten. Da weder La Bourdonnais ein Wort Englisch noch MacDonnell ein Wort Französisch sprach, hatten die beiden keinerlei Gespräch miteinander.
Das Wörtchen „Schach!“ war so ziemlich die einzige Silbe, die je zwischen ihnen gewechselt wurde.“

Was soll man dazu sagen? Gens una sumus!

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Louis de la Bourdonnais, heimlicher Weltmeister 1834 (Quelle: Wikicommons)

Man merkt, dass sich die Atmosphäre bei Schachwettbewerben mittlerweile doch um Einiges geändert hat:

Wie Mr Walker, der Gefährte MacDonnells, beschreibt, pflegte La Bourdonnais, wenn er nicht am Zuge war, und zumal, wenn er auf Gewinn stand, viel zu reden und zu lachen, während er laut saftige Flüche von sich gab, wenn es nicht nach seinem Geschmack ging. Ein anderer Beobachter schilderte, wie der Franzose sich ergiebig mit den Zuschauern meistens über Politik unterhielt und meist noch seine Züge machte, noch während er redete.
Gelegentlich flossen auch Witze und Schnurren wie eine Flut von seinen Lippen; die Meinungen gehen darüber auseinander, ob er es auch mit Gesang versuchte.

[…] MacDonnell selber scheint die Ergüsse seines Gegners mit einer Art grimmiger Resignation ertragen zu haben, war doch dieser Mann, so anstößig er sich auch benahm, der einzige auf der Welt, gegen den es sich lohnte zu spielen.“ (wenn das mal kein schönes Kompliment ist!) -

Irgendwann aber führte ein schlauer Kopf die Schachuhr ein, die Partien wurden kürzer und vorbei war es mit dem Nickerchen während des Spiels und dem zwanglosen Gespräch mit schönen Zuschauerinnen.

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Die Schachuhr, Quelle manchen Leidens (Quelle: bragcat/ wikicommons)

- Der Trend zur allgemeinen Verkürzung setzte sich fort: in den 1960er Jahren wurde das Fünf-Minuten-Blitzschach immer populärer, und man begann sogar damit, Deutsche Meisterschaften in dieser neuen, aber etwas hektischen Disziplin durchzuführen. Wie Bernd Feustel in seinem Blitzschachbrevier berichtet, hieß der erste Deutsche Meister im Jahr 1974 Karl-Heinz Podzielny - wer auch sonst hätte es sein sollen!?

- Auch danach sah man Beschleunigung allenthalben. So wurde die Schach-Weltmeisterschaft 1984 zwischen Kasparov und Karpov noch als lustige Open-End-WM ausgetragen, da die FIDE bei einer größeren Anzahl von Partien mehr Werbeblöcke an das amerikanische Fernsehen zu verkaufen hoffte. Weil diese Rechnung irgendwie nicht ganz aufging, wurde der Wettkampf nach 48 Partien beim Stand von 5:3 für Karpov abgebrochen. Schon die WM 1985 verlief beschleunigt und war nur noch auf äußerst knappe 24 Partien angesetzt.

- Die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts – wer erinnert sich noch? Man spielte Turnierpartien mit 50 Zügen in 2,5 Stunden, dann folgte eine halbstündige Analysepause. Im Anschluss spielte man eine weitere Stunde für je zwanzig Züge, und dann – nochmal 20 Züge in je einer Stunde. (Oder täusche ich mich? Neun Stunden Spielzeit für eine Partie, plus An-und Abreise – waren wir damals wirklich so hart? Wow.)
Heute dagegen hat man zum Beispiel in der Zweiten Bundesliga nur noch 150 Minuten für 60 Züge (90 Minuten für 40 Züge, 30 Minuten für 20 Züge, und pro Zug einen Aufschlag von 30 Sekunden). Ruckeldiekatz, das ist Beschleunigung pur.

- Um 1990 herum: die FIDE greift durch und schafft die Hängepartien ab, um das Spiel zu beschleunigen. Für unsere jüngeren Leser: bis dahin wurden die Partien nach dem 50.Zug unterbrochen und erst nach einer halbstündigen ---> Kaffeepause weitergespielt. Doch das war nun vorbei! Seitdem hatte man keine Möglichkeit mehr, Partien in einer oft sehr aufgeregten Analyse mit den anderen Spielern seiner Mannschaft zu analysieren, um die eigenen mauen Endspielkenntnisse zu kaschieren.

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Wir sehen – alles wurde immer schneller, und alles wurde auch immer eiliger, seit La Bourdonnais damals seinen Wettkampf gewann. Noch immer scheinen wir nicht am Ende dieser Entwicklung zu stehen. Irgendwie war die Zeit wohl schon wieder reif für eine weitere kleine Beschleunigung – und schon ersann die Evolution gemeinsam mit dem SK Wildeshausen das Quickstep-Turnier als gute Gelegenheit, an nur einem Tag eine ganze Reihe längerer Partien zu spielen. Der Erfolg dieses Turnierserie gibt der Idee Recht.

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Zum Schluss eine Verbeugung vor den alten Meistern und vor den Turnierpartien ohne den ganzen Bedenkzeitstress:

macdonnell - la bourdonnais

MacDonnell - La Bourdonnais, 1834

In dieser umkämpften Stellung ließ der Franzose mit  ...

35......e4-e3

einen weiteren Bauern in Richtung Grundreihe eilen. MacDonnell wird hier vielleicht wieder zwei Stunden überlegt haben, bevor er sich schließlich zu

36.Dc5-c3

entschied und drohte, mit 37.Tf1xe1 den schwarze Zauber erfolgreich zu beenden. Doch es sollte nichts mehr nützen - wie sicherte sich La Bourdonnais nun mit einiger Eleganz den vollen Punkt?