Grimms Märchenstunde
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Sonntag, 28 Juli 2013 10:11

Grimms Märchenstunde

Grimms Märchenstunde

oder

Playing the Trompowsky, An Attacking Repertoire von IM Richard Pert. Quality Chess Verlag.

Unsere heutige Märchenstunde dreht sich um eine recht seltene Eröffnung, verwünschten Varianten, einen alten Sonderling und losen Radmuttern.

Doch immer der Reihe nach!

 

 

 

Playing the Trompowsky An Attacking Repertoire

264 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Das Buch ist erhältlich bei Schach Niggemann (http://www.schachversand.de/)

 

Es war einmal in einer weit, weit entfernten Galaxis.

Moment, wir sind bei den Gebrüdern Grimm und nicht bei Georg Lucas.

Also noch mal von vorne: Es war einmal ein böser Rezensent. Dieser üble Genosse hatte die seltsame Angewohnheit, Schachbücher zu lesen und anschließend zu vertilgen wenn sie ihm nicht gefielen. Im ganzen Königreich war er gefürchtet und gehasst, ja nicht einmal die Wölfe in der Nacht trauten sich vor sein Haus. Eines Tages kam jemand auf eine Idee, wie man diesen griesgrämigen Kauz ein für alle Mal den Garaus machen könnte!

Man bräuchte nur ein besonders unbekömmliches Schachbuch vor seine Türe legen und der Alte würde zum letzten Mal seinen Schrecken verbreiten!

Gesagt, getan. Nach der Lektüre fiel der alte Eigenbrötler für mehrere Tage in einen tiefen, dunklen Schlaf. Das gesamte Königreich feierte 3 Tage lang den vermeintlichen Tod des alten Miesepeters.

Doch noch schlummerte etwas Leben in seinen klapprigen Knochen! In einer überdimensionalen Arena verfolgten ihn riesige Schachfiguren während tausende von Buchstaben fröhlich auf der Tribüne umher hüpften. Solch wirre Träume und die Bettwanzen sorgten schließlich dafür, dass er schweißgebadet erwachte.

Von da an schwor er sich, nie wieder ein Schachbuch in die Hand zu nehmen, das mit „Playing the“ beginnt!

Nach seinem Tod fand man nicht unweit seiner Behausung in einem hohlen Stamm eine Schriftrolle. In diesem Schriftstück, das auch als Warnung für nachfolgende Generationen gelten sollte, berichtet der Kauz über dieses ominöse Buch:

Titel: Playing the Trompowsky.

Autor: Ein gewisser Richard Pert. Ein englischer IM mit einer GM-Norm. Spielt diese Eröffnung seit ca. 15 Jahren.

Inhalt: Durch manuelle Auswahl des  Schreiberlings zusammengestellte Zugfolgen die als Eröffnungsrepertoire aus weißer Sicht dem geneigten Leser dienen mögen. Der dazugehörige Untertitel „An Attacking Repertoire“ soll eine gesunde aber doch aggressive Zusammenstellung suggerieren. Ausgangslage des gesamten Unternehmens ist die Zugfolge 1.d4 Sf6 2.Lg5 und 1.d4 d5 2.Lg5. Es werden auch noch Zugfolgen wie zum Beispiel 1.d4 f5 2.Lg5 näher besprochen und vorgestellt. Durch Analysen und Kommentare versucht der Autor seine These von „Attacking“ und „Repertoire“ zu untermauern.

Kritik: Als erstes möchte ich auf eine Variante gegen Holländisch näher eingehen:

1.d4 f5 2.Lg5 h6 3.Lh4 g5 4.e4 Sf6 5.e5 e6 6.Lg3 f4 7.Ld3 d5 8.exf6 (der Autor weist hier noch auf den „interessanten“ Zug 8.Lg6+ hin. Danach geht es weiter mit 8… Kd7 9.Lxf4 gxf4 10.Sh3 und Weiß hat Angriff nach Meinung des Autors. Wie es aber nach zum Beispiel 10… c5 11.Sxf4 cxd4 12.c3 dxc3 13.Sxc3 Sc6 14.Lf7 Sxe5 15.Lxe6+ Kc7 16.0-0 Sc6 17.Sfxd5+ Sxd5 18.Sxd5+ Kb8 19.Lxc8 Dxc8 und unklarer Stellung weitergehen soll, darüber schweigt er sich aus.) 8...Dxf6 9.Dh5+ Kd8 10.Sf3 Sc6 11.c3 hier geht die Variante im Buch mit 11…Ld7 weiter und nach ein paar weiteren Zügen steht Weiß klar besser. Hier kann Schwarz meiner bescheidenen Meinung nach mit 11…e5 12.dxe5 Sxe5 13.Sxe5 Dxe5+ 14.Kd1 c6 15.Sd2 Ld6 16.Kc2 Lf5 problemlos ausgleichen.

Ein anderes Beispiel:

In einer der Hauptvarianten 1.d4 Sf6 2.Lg5 e6 3.Sd2 h6 4.Lh4 c5 5.e4 cxd4 6.e5 g5 7.Lg3 Sd5 8.h4 gxh4 9.Txh4 Sc6 10.Sgf3 bezeichnet der Autor den Zug 10…Tg8 als interessant und gibt darauf 11.Th3 Le7 N an und Weiß besitzt nach einigen weiteren Zügen die Initiative. Dass aber 11…Da5 12.a3 Se3! völlig ausgleicht, wird ebenso verschwiegen wie die Tatsache, dass nach 1.d4 Sf6 2.Lg5 e6 3.e4 h6 4.Lxf6 Dxf6 5.c3 d5 6.Sd2 c5 7.Sgf3 cxd4 8.Sxd4 Lc5 9.S2b3 Lxd4 10.Sxd4 dxe4 11.Sb5 De5 12.Sd6+ Ke7 13.Sc4 Dd5 14.Dc2 Sc6 15.Td1 Df5 16.Da4 Dc5 17.b4 b5! (im Buch wird nur 17...Dg5? 18.b5 Se5 19.Db4++- betrachtet) 18.Dc2 Df5 ebenso ausgleicht.

Was soll ich sagen?

Ich glaube nicht, dass es sich hierbei um ein Versehen handelt. Wäre dem so, würde es sich hierbei vielleicht um 1-2 Varianten handeln. Hat das Ganze aber System und werden dabei mit grausamer Regelmäßigkeit kritische Abspiel „geschönt“, kommen beim Betrachter doch Zweifel auf.

Doch Grimms Märchenstunde ist noch nicht vorbei!

Zum Abschluss noch ein paar „märchenhafte“ Abspiele, die mir persönlich den Rest gegeben haben:

1.d4 Sf6 2.Lg5 d5 3.e3 c5 4.Lxf6 exf6

(diesen Zug nennt der Autor einen Fehler. Nach 4...gxf6 5.dxc5 e6 6.Sc3 Lxc5 7.Dh5 Sc6 8.Lb5 Ld7 9.Sge2 a6 10.La4 De7 11.0-0-0 b5 12.Lb3 b4 bringt der Autor das Turmopfer 13.Txd5, vergibt dafür ein Ausrufezeichen und ist der Meinung, Weiß stehe hier besser. Nimmt man aber nun den Turm einfach weg mittels 13…exd5 ergibt sich eine erzwungene Zugfolge die da lautet: 14.Sxd5 De5 15.Sc7+ Kd8 16.Dxe5 Sxe5 17.Sxa8 Lc6 18.Td1+ Kc8 19.Ld5 Kb7 20.Lxc6+ Kxc6 21.Sd4+ Lxd4 22.Txd4 a5 23.Tf4 Txa8 24.Txf6+ Kd5 mit Ausgleich)

5.Sc3 Le6 6.dxc5 Lxc5 7.Dh5 Lb4 8.Lb5+ Sc6 9.Sge2 0-0 10.0-0-0 Se5 11.h3 Db6 12.La4 im Buch wird nun wieder einmal geträumt: 12...Tfd8 13.Lb3 und Weiß steht besser.

Stimmt.

Aber wenn Schwarz hier den viel besseren Zug 12…Da5! aufs Brett setzt, bleibt Weiß nur noch 13.Kb1 (aber bitte nicht 13.Lb3?? d4!! 14.Txd4 Sd3+-+) 13… Lxc3 14.Sxc3 Tac8 15.Lb3 Txc3 16.bxc3 Dxc3 mit Ausgleich.

Fazit: Ich weiß nicht, was den Quality Chess Verlag geritten hat ohne vernünftige Abschlussprüfung solch ein Buch vorzulegen. Das Buch gleicht einem Auto, bei dem in der Werkstatt vergessen wurde, die Radmuttern fest zu ziehen. Der ahnungslose Käufer/Kunde wird grob fahrlässig auf die Reise geschickt. Schon an der nächsten Kurve können sich die Räder lösen und einen schweren Unfall verursachen. Ebenso kann man, nein eigentlich ist es erzwungen, mit diesem Buch schweren Schiffbruch erleiden. Halbgare Analysen und Wunschvarianten machen aus einer Randeröffnung noch lange kein Angriffsrepertoire!

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach Niggemann überreicht.