Samstag, 25 Dezember 2010 09:35

Regeln im 19. Jahrhundert

Das erste Internationale Schachturnier startete am 26. Mai 1851 in London. Die Einzelheiten wurden von Howard Staunton in seinem Buch "The Chess tournament-London 1851" beschrieben: 16 der besten Spieler der Welt kämpften im "Knockout" Format und ohne Schachuhren oder Zeitkontrollen für fast zwei Monate. Der Gewinner hieß Adolf Anderssen und ging nach Hause mit 183 Pfund. Mich faszinieren die damaligen Regeln die Staunton festgelegt hatte. Unentschiedene Partien zählten nicht, die Spieler sollten acht Stunden spielen und dann abbrechen. Wer mehr als eine halbe Stunde zu spät kam, musste eine Strafe von einem Guinea zahlen. Da keine Rangliste existierte, kam es zu unerwünschten Paarungen wie zum Beispiel Anderssen-Kieseritzky in der ersten Runde. Anderssens Gegner im Finale war der unbekannte Amateur Wyville. Noch eine Kritik war das manche Spieler ewig lang überlegten.
Bei dem Londoner Turnier von 1883 versuchte man einige dieser Probleme zu beseitigen. Es war ein doppelrundiges Rundenturnier – nur die ersten zwei unentschiedenen Partien wurden verworfen, die dritte zählte. Johannes Zukertort machte 22/26. Angeblich verlor er die letzten drei Partien weil er den Stress nicht ausgehalten hat und seine Nerven mit Opium beruhigte. Doping Kontrollen gab es offensichtlich auch nicht.
Die größte Innovation war jedoch die von Thomas Wilson erfundene Schachuhr. Jetzt kam Schwung in das Schachspiel. Es wurde natürlich nicht an Wochenenden oder Feiertagen gespielt und die Zeitkontrollen waren, verglichen mit heute, nicht stressig – 15 Züge pro Stunde.
Im Jahre 1929 legte die F.I.D.E Regeln fest, die sich wenig änderten bis ich anfing Schach zu spielen. Man spielte 40 Züge in zweieinhalb und dann 16 pro Stunde. Nach fünf Stunden wurde abgebrochen, man hatte Zeit für das Abendessen, analysierte ein bisschen und spielte weiter. Es gab auch reichlich Ruhetage. Jetzt hat jedes Turnier eine andere Zeitkontrolle, manchmal werden neun Runden an fünf Tagen gespielt. Und wir wissen alle was Doppelrunden bedeuten: Morgenrunden!
Das "London Classic 2010" Turnier hatte acht Spieler, sieben Runden.
Also lieber Leser/Leserin, welches Turnier wünschen Sie sich für Weinachten? Wer weiß, vielleicht liest Santa Klaus ihren Wunsch.
Anmerkung der Redaktion: Stauntons Turnierbuch ist in einer deutschen Übersetzung als Bd. 8 der Schachklassiker erschienen: http://www.schachklassiker.de/band8.html
Schachwelt anno Tobak - London 1851
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Sonntag, 12 Dezember 2010 16:07

Schachwelt anno Tobak - London 1851

Beim 2. London Chess Classic Turnier sind inzwischen 4 Runden gespielt. In Führung liegen Weltmeister Vishy Anand und der englische Großmeister Luke McShane mit jeweils 3 Punkten. Wie bereits im Vorjahr ist die Veranstaltung vorbildlich organisiert und  Spieler sowie Zuschauer werden bespielhaft „gepampert“. Die Spiellaune der Akteure ist ebenfalls blendend. In der dritten Runde wurde besonders hart gekämpft. So benötigte z.B. Weltmeister Anand 77 Züge, um Magnus Carlsen zur Aufgabe zu bewegen. In der Begegnung McShane-Kramnik (remis) wurde ein T+L vs. T Endspiel sogar bis zum 139 Zuge geübt. Allerdings reichen die modernen Schachhelden damit noch lange nicht an die Ausdauer der Turnierschachpioniere aus dem Jahre 1851 heran. Beim ersten, ebenfalls in London abgehaltenen, Schachturnier saßen die Spieler oftmals noch wesentlich länger am Brett. Sie produzierten zwar nicht mehr Züge, aber es gab damals noch keine Beschränkungen der Bedenkzeit. Die ersten Schachuhren wurden erst ca. 10 Jahre später eingeführt, so dass es vorkam, dass bei einzelnen Zügen über 2 Stunden (!) nachgedacht wurde. Einige Partien dauerten 12, 16 oder sogar 20 Stunden. Der Turniersieger Adolf Anderssen berichtete über die Zustände in einem Brief wie folgt:


„Der Komfort war nicht sonderlich; Tische und Stühle waren klein und niedrig; die großen Bretter ragten auf beiden Seiten über die Tischkanten hinaus; neben den Spielern wurde alle Räumlichkeit von einem Kopisten in Anspruch genommen; kurz, man hatte kein freies Plätzchen, um das sorgenvolle Haupt während des harten Kampfes zu unterstützen. Für den englischen Schachspieler ist allerdings eine bequemere Einrichtung überflüssig. Kerzengerade sitzt er auf seinem Stuhle, steckt die Daumen in die beiden Westentaschen und sieht, bevor er zieht, eine halbe Stunde regungslos aufs Brett. Hundert Seufzer hat sein Gegner ausgestoßen, wenn er endlich seinen Zug rasch und entschieden ausführt.“


Anderssens Ausführungen kann man entnehmen, dass es damals auch noch weitere Unterschiede zu den heutigen Standards gab. Aber wenigstens mussten die Spieler die Partien nicht eigenhändig mitschreiben, hierfür gab es die Kopisten bzw. Protokollführer. Diese waren um ihren Job aber wahrlich nicht zu beneiden. So konnte man im Turnierbuch in den Aufzeichnungen zur Begegnung Williams-Mucklow beispielsweise folgende Bemerkung finden:

„... beide Herren schlafen bereits.“

Wie lange diese Erholungspause angedauert hat wurde leider nicht übermittelt. Eventuell haben die Spieler die Partie auch in schlafzieherischer Weise beendet, jedenfalls gewann Williams später.

Das Turnierbuch wurde übrigens von Howard Staunton (siehe Artikelbild) herausgegeben. Er war auch der Organisator der Veranstaltung und einer der 16 Teilnehmer. Er galt im Vorfeld sogar als großer Favorit auf den Turniersieg. Eine solche Konstellation ist heutzutage kaum mehr vorstellbar. Es wäre so, als ob Vishy Anand das aktuelle Londoner Turnier als Organisator, Pressechef und Spieler in Personalunion bestreiten würde.


Staunton wurde übrigens in der dritten Runde (das Turnier fand im K.O.-System mit Mini-Matches statt) von Adolf Anderssen besiegt, welcher auch im Finale gegen Marmaduke Wyvill siegreich blieb. Zum Abschluss eine kleine Kombination aus der 4. Partie des Finalmatches:

Weiß: Wyvill  Schwarz: Anderssen

{fen}5rk1/p2p3r/1p2pn2/2pPqpp1/P1P1n3/B1PQP1P1/6KP/3R1RN1 b - - 0 25{end-fen}

25...Txh2+ 26.Kxh2 Dxg3+ 27.Kh1 Kg7. 0-1.