Welch ein Pokal! Aber welch eine WM...
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Donnerstag, 31 Mai 2012 06:12

Anand reicht es - mir auch

Hat doch genau gepasst. Zwei Selbstmorde Gelfands, einmal durch Rechenfehler, einmal durch Zeiteinteilung, haben Anand gereicht. Nur einmal hat er seinen Herausforderer überspielt, aber dann nicht den Sack zugemacht (3.Partie). Mit Mehrbauer und großem Zeitvorteil in Partie zwölf weiterkämpfen? Als Schnellschachspezialist dann doch lieber ins Stechen. Und am Ende, als in der vierten Stichpartie mit Weiß ein Remis reicht, eine Staubsaugervariante (3.Lb5+-Sizilianer). Dass Anand bei Turnieren zwischen seinen Titelkämpfen wenig leistet, waren wir ja schon gewohnt.

Ich will nicht ungerecht sein. Gelfand hat stark gespielt. Ohne 14...Df6? (8.Partie) hätte er Anand vielleicht niedergekämpft. Gelfand muss Anand so beeindruckt haben, dass der kein unkalkulierbares Risiko gegen ihn eingehen wollte.

Was beschwere ich mich überhaupt? Ich habe in Moskau ein großartig organisiertes Match und drei Partien gesehen, zwei davon wurden entschieden, während der Remispartie gab Kasparow eine unterhaltsame Pressekonferenz und ein ungewöhnliches Kindersimultan, und ich fand im Pressezentrum, anders als es am Anfang und am Ende des Matches gelaufen wäre, sogar ein Plätzchen zum Arbeiten. Trotzdem fand ich es eine WM zum Vergessen.

bannerostsee300Vergessen habe ich leider bisher das Verlinken der unübertrefflichen WM-Berichterstattung von ZEIT-Reporter Ulrich Stock mit als Höhepunkt dem Liveblog vom Stechen und des großartigen, bilderreichen WM-Blogs von Eric van Reem aus dem Anand-Team sowie Sergei Schipows brilliante Analysen. Wer noch nicht genug WM hatte, kriegt dort alles.

 

Mittwoch, 22 Februar 2012 14:22

Goldene Zeiten

FIDE-Präsident Iljumschinow verkündet in einem Interview mit dem russischen Sport Ekspress wieder einmal den Anbruch goldener Zeiten. Das Kandidatenturnier soll Ende Oktober, Anfang November in London über die Bühne gehen. Dass die Ausrichtung dort teuer ist und die britischen Medien das Ereignis links liegen lassen werden, spielt für die Geldgeber keine Rolle. Das Geld kommt aus Aserbaidschan und ermöglicht dem Liebling der dortigen Machthaber, Teimur Radschabow, die Teilnahme. Ursprünglich bewarb sich Baku um die Ausrichtung, doch dort wäre der Armenier Aronjan, einer der Favoriten, nicht willkommen.

Noch dieses Jahr soll auch wieder eine Grandprixserie starten. Die ersten zwei von sechs Turnieren sind zwar, wie der ganze letzte Zyklus 2008-2010, wieder in der Exsowjetunion angekündigt, nämlich in Taschkent und Tscheljabinsk, aber die weiteren Stationen im nächsten Jahr sollen im Westen untergebracht werden. Letztes Mal hat´s nicht geklappt, wir werden sehen.

banner-seminarturnier200-anDie Hoffnungen basieren auf dem amerikanischen Medienunternehmer Andy Paulson, der in Russland ein Vermögen verdient hat mit, man höre und staune, journalistisch vorzeigbaren und politisch nahezu unabhängigen Produkten. Paulson, der im Schach noch nicht vorher aufgetreten ist, soll eine neue Firma namens AGON haben, die die Spitzenwettbewerbe der FIDE in den nächsten Jahren vermarkten soll. Näheres über den Sitz, die Mitarbeiter und Eigentumsverhältnisse von AGON ist bisher nicht bekannt. Dass es Dutzende Firmen dieses Namens gibt, erleichtert die Recherche nicht. Das aserbaidschanische Geld erleichtert AGON den Start: Dem Vernehmen nach will Baku die WM 2013 ausrichten, es sei denn Aronjan wird Herausforderer.

Noch eine weitere Firma wird genannt, von der die meisten Schachfans noch nie gehört haben werden: CNC, die Chess Network Company mit Sitz in Moskau, besteht bereits seit Ende 2009 und gehört laut der New York Times mehrheitlich Chess Lane, einer in London sitzenden Firma von David Kaplan, einem Geschäftsfreund Iljumschinows. CNC hält die Marketingrechte der FIDE und ist auch in den neuen Deal mit AGON involviert

Gelfand: Der bessere Stratege
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Freitag, 27 Mai 2011 10:26

Nochmal Gelfand!

Was für eine Überraschung: der mit Abstand älteste Teilnehmer kommt durch! Wie war das noch mal mit der Kondition? Anscheinend sind bei einem Modus wie dem in Kazan angewandten dann doch andere Faktoren wichtiger wie Erfahrung in Zweikämpfen, die Nerven usw. Wir hätten nicht vergessen dürfen, dass Gelfand sich als Sieger des Weltcups 2009 für dieses Kandidatenfinale qualifiziert hatte. Und auch da wurde dieses Bäumchen-wechsel-dich-Spiel betrieben, bei dem einem alle paar Tage ein neuer Gegner gegenübersitzt. Auch da gab es Tiebreaks, ging zum Beispiel das Finale über 12 Partien und wurde im Blitz ausgefochten. Auch da bewies der Israeli schon eiserne Nerven und sicherlich waren ihm die damals gemachten Erfahrungen jetzt zunutze.
Nicht zuletzt waren auch schachliche Qualitäten gefragt. Und Gelfand konnte überzeugend seine ganze Vielfalt an schachlichem Können ausspielen. Er war an etlichen herausragenden Partien beteiligt, erfühlte die Dynamik, verteidigte heroisch, holte Rückstände auf. Keine Frage, sein Sieg war verdient und er ist ein würdiger Herausforderer, auch wenn andere Kandidaten den Werbewert eines Weltmeisterschaftskampfes erhöht hätten. Freuen wir uns mit Gelfand, dass er in einem Alter, in dem andere wie Kasparow schon in Schachrente gingen, einen Höhepunkt seiner Karriere erreicht und um die Krone des Weltmeisters spielen darf!
Ich will kurz an die Höhepunkte seines Schaffens in Kasan erinnern:
Ist Ihnen aufgefallen, wie oft er sein Bauernzentrum eindrucksvoll in Szene setzte? Schon im Viertelfinale gegen Mamedscharow gelang ihm eine phantastische Konterpartie:

Mamedscharow - Gelfand

Gelfand1

20. …Txc3! 21.bxc3 Dxc3 Sammelt einen zweiten Bauern für die Qualität ein und hindert den Weißen daran, noch mehr Figuren zum Angriff am Königsflügel heranzuziehen. Achten Sie auf die weiße Strategie: er schwenkte den Turm über die Horizontale zur h-Linie, was attraktiv aussieht, sich aber letztlich als nicht stichhaltig erweist. Genau so ließ sich Grischuk in der allerletzten Partie blenden. Der Übermut der Jugend? Das mag der abgeklärte „Oldie“ ins psychologische Kalkül gezogen haben.
22.Td4 a5 23.Td3 Dc6 24.c3 a4 25.Lc2 e5 26.Lg5 b4 27.Dh4 bxc3 28.Th3 Kg8 29.Te1 e4 30.g4 Kf8 31.Le3 Dc4 32.g5
Gelfand2
32. …Lxf5!! Hier sind die schwarzen Zentrumsbauern bereits weit vorgeeilt, Weiß setzt alles auf die h-Linie. Mit einem Figurenopfer macht Gelfand die gegnerischen Sturmbauern unschädlich.
33.gxf6 Lxf6 34.Dh5 Lg6 35.Dg4 Dxa2 36.Lb1 Dc4 37.Dg2 a3 38.La2 Dc6 39.Tg3 Tb8 0–1

Gelfand3   
Sechs Bauern für den Turm – eine Konstellation, die in die Schachgeschichte eingehen wird. Sehen Sie, wie sicher der schwarze König steht. Das Läuferpaar verleiht dem ganzen Stabilität.

Das Duell gegen Kamsky sah auch ein paar originelle Stellungsbilder. Hier ein Ausschnitt:

Kamsky - Gelfand

Gelfand4
 

Wieder das starke Zentrum, typisch für den offenen Sizilianer, den Gelfand kämpferisch wählte (nein, kein Remiswinseln mit „Russisch“ wie z.B. bei Kramnik!), doch diesmal hat Weiß das Läuferpaar und der schwarze König steht nicht unbedingt sicher. Mit viel Kunstfertigkeit hielt Gelfand diese Partie remis und den Wettkampf offen.
Dann der Tiefpunkt, ein Aussetzer in den Schnellpartien – und für Gelfand schien der Wettbewerb zu Ende zu sein:

Gelfand - Kamsky

Gelfand5
 

16.a3?? (nimmt der Dame das Fluchtfeld a3) 16. …c4! (das lässt sich Kamsky nicht entgehen) und Weiß verliert zumindest eine Figur – bei 17.dxc4 Sc5 ist die Dame weg und die Partiefortsetzung 17.Dxc4 Lxf3 war auch wenig besser.
Es drohte womöglich ein WM-Kampf Anand gegen Kamsky an, um Gottes Willen! Der Amerikaner hatte schon mal seine Chance, damals gegen Karpow. Sicher, von seinem Schlägervater hat er sich schon lange abgenabelt, aber dennoch… Gelfand musste mit Schwarz gewinnen, um im Match zu bleiben, wer hätte noch auf ihn gewettet. Ich drückte ihm die Daumen – und das Wunder geschah! Er gewann drei Partien in Folge! Und wie? Mit dem beeindruckenden Zentrum:

Kamsky - Gelfand

Gelfand6
23. …Sa5!! Das Motiv werden wir in der letzten Partie wieder finden: er nimmt eine Verdopplung der Randbauern in Kauf, dafür wird Weiß Probleme haben, das Zentrum zu halten. Etwas später, nachdem weiße Angriffsbemühungen auf der h-Linie abgeschlagen waren,  nahm die Überhand in diesem Bereich deutliche Konturen an:

Gelfand7
Gelfand gewann das Endspiel in sicherer Manier und beflügelt vom Sieg gleich noch die folgenden Blitzpartien.
Im Finale gegen Grischuk zeigte er großartige Fähigkeiten im Verteidigen schlechter Endspiele. Zweimal am Rande der Niederlage hielt er sich schadlos, mit einem Figurenopfer in der zweiten Partie sorgte er für die verrückteste Neuerung des Turniers.

Gelfand - Grischuk

Gelfand8

Bei 45.Txa4 Ke5 gerät Weiß in Mattgefahr, Gelfand fand die Abwicklung 45.e5+! Kxe5 46.Txc5+ Ld5 47.Txd5+! Kxd5 48.h6 und ertrotzte sich schließlich ein Turmendspiel, das punktgenau remis gehalten werden konnte. Wenn Sie zuhause beim Zuschauen Ihre Engine mitlaufen haben erkennen Sie schnell, dass viele Stellungen „remis“ sind. Aber Sie fühlen nicht, wie knapp dies letztlich ist, von wie viel Details es letztlich abhängt und wie schwer es für die Spieler zu erkennen ist, ob das resultierende Turmendspiel letztlich knapp remis oder verloren ist.
Sicher, es kam dann zwischendurch ziemliche Langeweile auf, aber man muss die Spieler auch verstehen. Was sie in den Tagen, Wochen zuvor an nervlichen Strapazen durchgemacht haben ist doch enorm.
Für gewisse Längen entschädigte uns die letzte Partie:

Gelfand - Grischuk

Gelfand9
Hier war ich überzeugt, dass Grischuk im Angriff gewinnen würde. Gelfand blieb cool mit 19.f4!, er erkannte, dass sein König sich notfalls selber helfen konnte und dass sich langfristig, wenn Grischuk den Läufer auf h4 geben würde, die lange Diagonale a1-h8 für ihn bemerkbar machen würde. Das Kernstück dazu war die spätere Durchsetzung von e3-e4, um die Lücken zu schließen und das Bauernzentrum mobil zu machen:

Gelfand10
23.Lb2! Und nicht 23.Lxd5, was zwar die Qualität gewinnt, aber völlig die weißen Felder vernachlässigt. Schwarz kann dann mit …De6 und notfalls …f5 dauerhaft verhindern, dass sich das weiße Zentrum mit e3-e4 in Bewegung setzt. Die Nachteile der weißen Struktur lassen sich nur durch ein bewegliches Zentrum im Verbund mit dem Läuferpaar kompensieren. Grischuk verlor dann den Faden, Zeitnot, und die Gelfandschen Träume reiften:

Gelfand11
 

Was für ein imposantes Zentrum! Wieder mal! Der schwarze Schwenkturm auf h5 verhungert dagegen. Gelfand erwies sich das ein oder andere Mal als der bessere Stratege. Gratuliere!