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Schach - ein Mannschaftssport?

Tja, die Mannschaftskämpfe. Was macht sie eigentlich aus, was sorgt dafür, dass viele Schachfreunde, sofern auf ihre „Karriere“ angesprochen, oftmals ein „Nein, nein, nur noch Mannschaftskämpfe“ antworten? Sicher, es gibt den Teamsport, der irgendwie noch ein wenig höher angesiedelt ist in der Reputation gegenüber dem Einzelsport. Aber Schach ist doch eigentlich gar kein Teamsport? Mit wem sollte man denn, bildlich gesprochen, den so berühmten Doppelpass spielen? Immerhin aber gibt es mindestens einen guten Grund, sich einer Mannschaft anzuschließen: man ist in Gesellschaft und mit Seinesgleichen, oftmals Freunden, zieht man am gleichen Strang. Man verliert zusammen oder man gewinnt zusammen.

Nun gut, selbst dazu gäbe es jede Menge zu erzählen und zu philosophieren: ist ein Team auch im Schach wirklich mehr als die Summe der Einzelspieler? Kann man tatsächlich durch ein wohl erwogenes Manöver den Ausgleich sichern und so, bei Ansicht der anderen, günstig stehenden Partien, den Teamerfolg sicherstellen? Oder wäre es tatsächlich nur ratsam, aus der eigenen Partie das Maximum herauszuholen, damit die Mannschaft die maximalen Siegchancen erhält? Ist es wirklich denkbar, dass man mit ein paar guten Mannschaftskameraden, welche einem im entscheidenden Moment ein zuversichtliches Lächeln schenken, im anderen aber mit besorgter Mine über der gerade eingeleiteten gewagten Kombination auf das Brett schauen, ein höheres Potenzial entfaltet?

All dies Fragen, die sowohl interessant sein mögen als auch auf die Antworten ausstehend sind, nur sollten sie nicht einmal Gegenstand dieses kleinen Textes werden. Hier sollte es viel mehr darum gehen, ob es nicht alternative Austragungsformen oder aber Variationen in den Aufstellungen grundsätzlich und individuell geben könnte und man damit vielleicht ein neues Spannungselement erzeugen kann, welches womöglich sogar wieder mehr Zuschauer auf den Plan zu locken geeignet sind.

Zunächst hatte der Autor ja bereits einmal angeregt, über Mannschaftskämpfe ausgetragen im Scheveninger System nachzudenken. Da dies nur mit beschränkter Bedenkzeit wirklich möglich wäre, soll heute einmal eine Alternative vorgestellt werden, die sich zunächst auf die Variationen in den möglichen Aufstellungen beziehen.

Dennoch eine weitere Vorabüberlegung. Woher stammt diese Idee, welche, wie in Stein gemeißelt zu sein scheint, vor allem, je höher man kommt in den Ligen, dass man seinen besten Spieler an Brett 1 meldet, die Nummer 2 an Brett 2 und so weiter? Es ist ja heute beinahe so, dass es zu einer Pflicht wird für die Mannschaftsleiter, ihre Spieler nach der aktuellen (selbstverständlich zum Zeitpunkt der Meldung, nicht wahr!?) Elo- Rangliste aufzustellen. Geht es hierbei nur um Eitelkeiten oder stehen die Chancen des Teams bei der Aufstellung im Vordergrund? Hat je jemand ernsthaft darüber nachgedacht, die Chancen derart zu optimieren?

Sicher erinnert man sich gut an Zeiten, da es noch reichlich Mannschaftsschnellturniere gab, in denen man ab und an den schwächsten Spieler an Brett 1 erlebte. Die Gegner lächelten dann oftmals, sowohl Schuld bewusst, als auch leicht verlegen, zugleich entschuldigend, da sie ein ehernes Gesetz verletzt zu haben schienen und damit wohl ihre Absicht dokumentierten, eher Erfolgsabsichten als die Ehre im Sinne zu haben bei der Wahl der Brettrangfolge, und des Gegners Schwergewicht an Brett 1 gemeinerweise ins Leere laufen ließen. Oder gelänge gar der Nummer 4 (diees Kämpfe wurden für gewöhnlich an 4 Brettern ausgetragen) des hinterlistigen Gegners das kleine Wunder, ein Remis oder gar mehr gegen den aufgrund dieser Maßnahme leicht erbosten Gegner, welches ihm Teile der Konzentration raubt, zu ergattern?

Was ist aber tatsächlich dran an dieser Überlegung? Hat sich der Gegner denn nun tatsächlich einen Vorteil verschafft? Hier spaßeshalber einmal eine Berechnung, auf ein fast beliebiges Beispiel bezogen, bei der dem Autor das Ergebnis noch nicht bekannt ist zum Zeitpunkt des Verfassens, also die Frage für ihn selbst spannend ist in diesem Moment. Was kommt wohl heraus?

Mannschaft 1:

1 Ernst August 2440
2 Yankale Okosel 2272
3 Horst Halmackenreuter 2094
4 Ella Mesa 2035
Elo-Schnitt: 2210.25
Mannschaft 2:
1 Peter Pan 1881
2 Winnie Puh 1971
3 Axel Schweiß 2069
4 Bibi Blocksberg 2244
Elo-Schnitt: 2041.25

Nun hat Mannschaft 1 nach der gewohnten Rangfolge aufgestellt, streng nach Elo sortiert. Aus Gemeinheit, zur Chancenverbesserung oder als reines Experiment hat Mannschaft 2 das Gegenteil getan, die Sortierung, wenn man so möchte, nach Schwäche vorgenommen, hingegen der Gegner nach Stärke.

Wenn man nun die beiden Werte direkt miteinander ins Verhältnis setzt, also so, als ob Mannschaft 1 mit ihrem Schnitt ein Spieler wäre, Mannschaft 2 der Gegner als ein Spieler, dann ergäbe es mit der Elo-Formel eine Erwartung von 0.7256 Punkten, mit 4 multipliziert also etwa 2.9 Punkte als Erwartung für das bessere Team, entsprechend 1.1 für das schwächere.

Nun wird es aber erst so richtig spannend. Bei der obigen Aufstellung kann man nun für die einzelnen Bretter die Elo-Erwartung ausrechnen und diese aufaddieren. Hat die „taktische Aufstellung“ etwas gebracht? Hier die Ergebnisse:

Brett1

2440

1881

0.96

Brett 2

2272

1971

0.85

Brett 3

2094

2069

0.54

Brett 4

2035

2244

0.23

Summe

2.58

Wirklich ein erstaunliches Ergebnis, da der Außenseiter durch den Kunstgriff der „verkehrten Reihenfolge“ die Chancen des Favoritenteams erheblich verringert hat. Plötzlich erreichen diese nur noch 2.58 Punkte, gegenüber zuvor 2.9 Punkten, die es eigentlich sein müssten? Zwangsläufig muss man ja nun schauen, was herauskäme, wenn sie in der „normalen“ Aufstellung antreten, also ebenfalls streng nach Elozahlen aufstellt. Hier das Ergebnis:

Brett1

2440

2244

0.76

Brett 2

2272

2069

0.76

Brett 3

2094

1971

0.67

Brett 4

2035

1881

0.71

Summe

 

 

2.90

Tatsächlich erzielt Mannschaft 1 nun das Ergebnis, welches sie auch als ein Spieler mit dem Eloschnitt der gesamten Mannschaft gegen den Gegner als einen Spieler mit dem Eloschnitt der gesamten Mannschaft erzielen würde.

Da man nun selbst ein wenig überrascht ist, muss man anfangen, über das Ergebnis nachzudenken.

Die Interpretation hier: der (bereits intuitiv angenommene) Zugewinn, den die Bretter 1 und 2 gegen die erheblich schwächeren Gegner bei der taktischen Aufstellung erzielen reicht nicht hin, um die Einbußen an den hinteren Brettern aufzuwiegen. Bretter 1 und 2 wären auch bei der normalen Aufstellung des Gegners bereits erheblich favorisiert. Die hinteren Bretter aber ebenfalls, was sich in der Summe zu ihren Gunsten auswirkt.

Falls man nun aber zunächst den Schluss ziehen sollte, dass taktische Aufstellungen tatsächlich empfehlenswert sind, so irrt man. Die Welt ist komplexer und nicht in einem Beispiel abzubilden. Zunächst einmal wäre die Frage zu stellen, wie es gegen andere Gegner aussehen würde, die womöglich eine gänzlich andere Verteilung als die im obigen Beispiel angegebene hätten, und als Zweites stellt sich noch eine wichtigere Frage: Welches ist die Zielvorgabe?

Denn: wäre sie, den 1. Platz zu erlangen, so gäbe es garantiert genügend (schwächere) Gegner, bei denen die taktische Aufstellung zum Rohrkrepierer würde. Man hätte sich schlauerweise sozusagen mit den eigenen Waffen ins Knie geschossen -- um die Bildsprache auf den Gipfel der Ungereimtheit zu treiben -- wie sicher ein schlichtes Beispiel aufzeigen würde.

Wenn man also nur die Absicht hätte, für die eigenen Verhältnisse ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen (und man bedenke, dass eine Aufstellung noch immer meist für ein ganzes Turnier gilt), dann könnte es zwar sein, dass es ratsam ist, sich taktisch aufzustellen, jedoch sollte ja im sportlichen Wettkampf eigentlich das Ziel sein, den 1. Platz zu erringen.

Abgesehen davon kämen ja alsbald folgende Überlegungen ins Spiel: was, wenn nun andere Gegner zur gleichen Taktik übergingen? Alle stellen sich nach ihren taktischen Erwägungen auf? Der Topfavorit hat in Vorgängerturnieren (und unter Berücksichtigung dieses Textes) festgestellt, dass die Gegner sich stets dieses Mittels bedienen, und sie kontern diese einfach aus, indem sie selbst vor dem Turnier den Würfel herausholen, um die Aufstellung auszuwürfeln und so alle derartigen Überlegungen aus dem Spiel zu nehmen?

Das sollte nun das eigentliche Thema werden. Gäbe es nicht andere Möglichkeiten, für faire, aber zugleich spannende Wettkämpfe im Mannschaftsformat zu sorgen? Immerhin ist es ja wirklich eine längst nicht geklärte Frage, ob die Zuschauer tatsächlich die größte Form der Anspannung empfinden, wenn immer nur die Besten gegen die Besten und die Zweitbesten gegen die Zweitbesten spielen. „Die Beiden an 1 machen mal wieder die besten Züge. Toll. Gähn. Remis? Na, war doch klar...“

Da ein weiterer Aspekt in Richtung Mangel geht bei der traditionellen Methode, Teamkämpfe auszutragen – nämlich jenen, dass es vorkommt, dass man Jahr für Jahr an seinem Brett (dies betrifft vor allem das 1.) auf die gleichen Gegner trifft und dies einen sogar persönlich langweilen kann, vielleicht macht man gegen einen bestimmten gar immer Remis aus gegenseitigem Respekt – und die oben aufgezeigte Version der taktischen Aufstellung tatsächlich etwas bringt, selbst wenn bisher selten eingesetzt, so empfiehle es sich doch wirklich, über diese mögliche Alternative nachzudenken: man erscheint mit seinen 8 Spielern (oder wie viele es auch sein mögen in dem speziellen Fall) zu einem Mannschaftskampf, der Schiri nimmt die Aufstellung in Form dieser 8 Spieler ungeordnet entgegen – und würfelt die Paarungen aus. Eine ganz miese Idee?

Es gab in Berlin mal eine Zeit, als es in der Firmenschachliga die Regelung gab, keine feste Brettrangfolge einhalten zu müssen, auf Anregung des Autoren hin. Man konnte vor jedem Kampf frei wählen, welchen Spieler man an welches Brett setzt.

Diese Möglichkeit, seine Aufstellung völlig frei zu gestalten, wurde nach eigener Auffassung in der Schweiz über viele Jahre praktiziert (noch immer?). Auch dies an sich eine fairere – und eigentlich auch spannendere – Form der Austragung, wie man gerne weiterhin vertritt. Man hätte immerhin die Chance, seinem besten Weißspieler die weißen, dem lieber-Schwarz-Spieler hingegen die schwarzen Steine zu verschaffen. Darüber hinaus wäre die Idee, dass die Mannschaftsleiter ziemlich frei wählen dürften, aber natürlich gerne auf eine gewisse Gewohnheit beim Gegner eingehen dürften – und sich nach ihr zu richten, sozusagen etwas auszuklügeln.

Ausgeschlossen wäre dadurch sowohl die als langweilige erachtete Form „sehr gut gegen sehr gut, gut gegen gut, befriedigend gegen befriedigend“ und so weiter, als auch die mögliche Begegnung mit immer den gleichen Spielpaarungen. Ansonsten bliebe eigentlich jedem einzelnen – sofern beim dann auch längst schlauen und nicht durchschaubaren Gegner ebenfalls eingesetzt – nur, seine eigene Aufstellung auszuwürfeln (mit der winzigen Einschränkung, auf Weiß und Schwarz Vorlieben einzugehen). Wenn es denn so wäre, dass beide Teams vor dem Kampf ihre eigene Aufstellung auswürfelten – in der gewonnenen Erkenntnis, dass jegliche Art von anderer Taktik keineswegs zur Chancenverbesserung geeignet ist --, dann könnte man auch gleich Vorschlag 1 zum Einsatz bringen: der Schiri würfelt die Aufstellungen aus.

In Berlin wurde die Methode bald wieder abgeschafft. Der Hauptgrund: keiner wusste, mit dieser Möglichkeit etwas anzufangen. Ergebnis: kein Mannschaftsleiter nahm einen Würfel mit, sondern stellte, wie zuvor, streng nach Spielstärke auf, jeden weiteren Kampf aufs Neue, und dies bürgerte sich ein, so dass ein Verstoß dagegen vermutlich als anrüchig, obwohl regelkonform, angesehen worden wäre. Damit war man also keinen Schritt vorangekommen.

Das eigens für sich, in erheblicher aber gerne eingestandener Arroganz formulierte Ergebnis dieses (willkommenen und geförderten) Experiments lautete: die Menschheit war noch nicht so weit.

Vielleicht tragen diese etwas länglichen, aber hoffentlich dennoch unterhaltsamen Ausführungen dazu bei, sie voranzubringen?

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