Bastian mit Krennwurzn über FIDE und Frauen

Krennwurzn:
Die Frage die allen unter den Nägel brennt zuerst - Deutschland stimmte wohl für Kasparow - vorher für Karpov und Kok - und dennoch wird der DSB Präsident von der Schweiz und Griechenland aus dem Ilyumzhinow-Lager als FIDE-Vizepräsident nominiert und dann gewählt. Wie soll man sich diese Wende erklären? Oder will Ilyumzhinow wirklich auch bisherige gemäßigte Kritiker ins Boot holen?

Bastian:
Die Diskussion dieses Themas gleicht einem Marsch durch ein Minenfeld, weil jede Antwort, die ich geben könnte, sehr wahrscheinlich gewaltige Emotionen hoch gehen lassen wird. Dennoch will ich es versuchen, indem ich die Abläufe so transparent wie möglich beschreibe. Mich selbst sehe ich als Mann des Ausgleichs und der Kooperation, nicht der Konfrontation, wenn auch mit eigenen Vorstellungen. Deshalb bin ich nicht a priori gegen die FIDE, nur weil jeder gegen die FIDE ist oder weil man es von mir verlangt, sondern ich mache mir ein eigenes Bild. Da ich seit 2004 Sprecher der Landesverbände war, konnte ich feststellen, dass die Haltung des Deutschen Schachbundes in FIDE-Fragen stets vom Präsidium entschieden wurde und nicht mit den Landesverbänden ausdiskutiert worden war. Weil ich das wegen meiner engen Verbundenheit mit den Landesverbänden anders machen wollte, habe ich auf dem Hauptausschuss in Halle 2013 eine Erklärung abgegeben, wonach der Deutsche Schachbund seine Position erst auf dem nächsten Hauptausschuss am 30.Mai 2014 in Frankfurt bekannt geben werde. Dort haben sich die Landesverbände, also unsere Mitglieder, mit überwältigender Mehrheit dafür ausgesprochen, dass der Deutsche Schachbund sich vor der Wahl nicht öffentlich zugunsten einer Partei festlegen soll. Andererseits hat sich eine Mehrheit im Präsidium dafür ausgesprochen, Kasparow zu wählen. Zwar ist die Wahl geheim und der FIDE-Delegierte kann nach unserer Satzung nicht zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten gezwungen werden, aber ich habe mich intern verpflichtet, dass ich dem Mehrheitswunsch des Präsidiums folgen werde, sofern nicht vor den Wahlen damit Wahlkampf gemacht wird. Als drittes ist zu berücksichtigen, dass FIDE-Funktionäre seit längerer Zeit den Wunsch zu einer Wiederaufnahme einer konstruktiven Zusammenarbeit an den Deutschen Schachbund herangetragen haben, was meinen persönlichen Wünschen sehr entgegen kam (und auch für das kf2105220pxandere Lager gegolten hätte, wenn Kasparow die Wahl gewonnen hätte). Wir sind einerseits auf Abstand geblieben, weil wir uns im Wahlkampf von keiner Seite instrumentalisieren lassen wollten, andererseits wurden Sondierungsgespräche geführt. Welche Verbände mich am Ende nominiert haben – drei waren erforderlich – ist völlig unerheblich und nur ein formaler Akt. Es wurde ein Weg gewählt, der im Vorfeld möglichst wenig Unruhe erzeugte. Zu Kirsan Ilyumzhinow kann ich sagen, dass wegen seiner Kapriolen in Deutschland ein sehr schiefes Bild von ihm krampfhaft aufrechterhalten wird. Seine positiven Leistungen werden verschwiegen oder kleingeredet. Ilyumzhinow hat stets die Hand ausgestreckt und Kooperation im Interesse des Schachsports gesucht.

Krennwurzn:
Kasparow hat seit der Jugend-WM in Dortmund schon viele Fans in Deutschland, dann auch wegen seiner Einstellung zur Glasnost und Perestroika und den WM Kämpfen gegen Karpow in den 80er Jahren. Ebenso darf man nicht vergessen, dass er auch zu ChessBase in Hamburg als User mit der Lizenz Nr. 1 einen sehr guten Kontakt hat. Kasparow hat eine gute Reputation hier und ein Gegner Putins zu sein, gilt ja im demokratischen Mitteleuropa auch nicht gerade als Makel. Dennoch sehe auch ich Ilyumzhinow als das geringere Übel als FIDE Präsidenten – aber genügt dieses Argument gegenüber nicht so kritischen Fans von Kasparow?

Bastian:
Darauf fällt mir die Antwort leicht: Wir haben als DSB nicht die Aufgabe, Garri Kasparow seine Karrierewünsche zu erfüllen, sondern wir müssen sorgfältig abwägen, unter welchen Bedingungen die FIDE als Ganzes am besten funktioniert. Nach der Wahl geht die Arbeit doch erst richtig los! Bevor man ein gut funktionierendes System für eine ungewisse Zukunft zerschlägt, denkt man lieber zweimal nach. Darin sehe ich den Hauptgrund für den hohen Sieg Ilyumzhinows. In Gesprächen wurde immer wieder darauf hingewiesen, was Kasparow schon alles angefangen hat und dass es immer mit seiner „Flucht“ endete. Und die von ihm herbeigeführte Spaltung der FIDE ist unvergessen. Um als Präsident für alle überzeugen zu können, muss er noch an seinem diplomatischen Geschick arbeiten.

Krennwurzn:
Gut das ist alles bekannt, gleichzeitig gibt es auch in Ilyumzhinows Biografie ein paar Unklarheiten: die „Alienentführung“ und vor allem wie er zu seinem Vermögen gekommen ist. Seine politischen Kontakte in Russland und seine Macherqualitäten kann man als Pluspunkte sehen – aber als lupenreiner Demokrat geht er sicherlich nicht durch! Keine Angst, dass man als FIDE Vizepräsident da ins schiefe Licht kommen kann – auch wenn es für das Schach in Deutschland nicht schlecht sein kann, zumindest wieder den Fuß in der Tür zum Weltschach zu haben?

Bastian:
Selbstverständlich habe ich über alle diese Fragen sehr lange und gründlich nachgedacht. Das Thema „Alienentführung“ hat offenbar nicht verhindert, dass Ilyumzhinow von der russischen Regierung als Sonderbotschafter eingesetzt wird und dass er Präsident zweier Weltverbände wurde (FIDE, IMSA Mind Games), der mit dem IOC-Präsidenten Dr. Thomas Bach im Gespräch ist. Nicht zu vergessen ist, dass Ilyumzhinow viele Jahre als Staatschef erfolgreich gearbeitet hat. Es wäre ziemlich anmaßend von mir, wenn ich sagen würde, dass ich seine Fähigkeiten aus der Distanz und ohne Detailkenntnisse besser einschätzen kann als die Leute, die ihm dennoch zutrauen, dass er seine Aufgaben ordentlich erledigt. Außerdem habe ich schon vor längerer Zeit mit Personen, die sich in der FIDE in seinem näheren Umfeld bewegen, über das Alien-Thema gesprochen. Alles in allem habe ich nach den Gesprächen meine diesbezüglichen Bedenken schließlich überwunden.
Wie Ilyumzhinow zu seinem Vermögen gekommen ist, kann ich absolut nicht beurteilen. Habe ich das Recht, mich auf bloßen Verdacht hin, der von Dritten geäußert wird, über die Justiz seiner Heimat zu stellen? Die Frage, woher das Geld stammt, stellt sich im Sport sehr häufig, auch in Deutschland. Meine prinzipielle Haltung ist, unabhängig zu bleiben und rechtliche Würdigungen der jeweiligen Justiz zu überlassen. Sonst dürfte ich mich nicht als Sportfunktionär engagieren.
Dann müsste definiert werden, was man unter einem „lupenreinen Demokraten“ versteht. Ich bin mir sicher, dass man darüber trefflich streiten kann.
Dass ich in ein schiefes Licht kommen kann, ist klar und mein Risiko. Diese Gefahr besteht kaum bei den Personen, die mich und meine Einstellung kennen. Mein Einsatz gilt dem Schachsport und nicht Personen. Aber dieses Thema ist sehr stark mit Emotionen besetzt und so wird es sicher auch heftige Kritik geben. Die Frage ist nun, wie man mehr in Richtung Demokratisierung der FIDE bewirken kann: Indem man polarisiert und zur Verhärtung beiträgt, oder indem man sich engagiert und mit Freunden zusammen aus dem Innern heraus Veränderungspotential schafft? Solche Diskussionen führte ich schon in meiner Jugend, als ich mich entschied, meinen Wehrdienst in der Bundeswehr zu leisten und mir selbst ein Bild zu machen, anstatt den Wehrdienst wie viele meiner Freunde zu verweigern. Ich halte beide Wege für legitim. Insofern geht es mir persönlich nicht nur um die opportunistische Haltung, möglichst viel für den Deutschen Schachbund herauszuholen.

Krennwurzn:
Nun ich bin der Meinung, dass das System FIDE – ein Mitgliedsverband eine Stimme – genauso wie bei der FIFA im Fußball eine Demokratisierung kaum zulässt, weil dadurch jene Verbänden, die das meiste Geld einzahlen, keinen entsprechenden – korrigierenden(?) – Einfluss nehmen können. Und da es im Schach im Gegensatz zum Fußball auch keine starken Sponsoren gibt, die in einer gewissen Weise als wirtschaftliches Korrektiv auftreten, ist die Macht der Funktionäre praktisch unkontrollierbar – und das stört viele Schachfreunde!

Bastian:
Man sollte nicht unterschätzen, dass es in der FIDE und in ihren Mitgliedsverbänden viele vernünftige Leute gibt, denen die momentanen Zustände ein Dorn im Auge sind. Wer Reformen anstrebt, braucht gute Ideen, Mut, Verhandlungsgeschick und er darf keine Angst davor haben, sich eventuell unbeliebt zu machen. Wenn man das Wahlsystem zum Tabu erklärt oder sich in sein Schicksal ergibt, wird man nichts verändern. Wie schon mehrfach betont habe ich mir vorgenommen, mit Vorsicht und Geduld das Veränderungspotential auszuloten.

Krennwurzn:
Da stellt sich die Frage wie das möglich sein sollte, ohne Machtbasis? Ist da nicht die Gefahr, dass die Vernünftigen nicht immer in der Minderheit bleiben?

Bastian:
Ich glaube, wenn ich den früheren Vizepräsidenten Dr. Hans-Jürgen Weyer zitieren darf, an die „Macht des Argumentes“. Es stellt sich auch die Frage, was „vernünftig“ ist. Man lähmt sich selber, wenn man sich von seinen Zweifeln beherrschen lässt. Deshalb bevorzuge ich es, für meine Ideen zu werben und abzuwarten, was geschieht. Im Laufe eines solchen Prozesses muss man seine eigene Haltung und Vorgehensweise stets geschickt anpassen, dann kommt man meistens über das reine Scheitern hinaus. Wenn man alles oder nichts spielt, wird man meistens verlieren.

Krennwurzn:
Ok – jetzt könnte ein aktuelles Problem mit der WM in Sotschi anstehen – Carlsen wollte eine Verschiebung, die FIDE hat abgelehnt. Wahrscheinlich geht es ums Geld, weil gemunkelt wird dass der Preisfond ca. 50% unter der letzten WM liegen dürfte. Zudem befürchtet das Carlsen Lager Probleme mit den Sanktionslisten der EU. Könnte ein schwieriger Einstieg für den DSB Präsidenten in die Funktion als FIDE Vizepräsident werden, weil ja auch eine Kooperation mit dem norwegischen Verband besteht.

Bastian:
Mit diesem Thema bin ich überfragt. Mir stehen bisher nicht mehr Informationen zur Verfügung als schon veröffentlicht sind.

Krennwurzn:
Gibt es konkrete Aufgabenbereiche für den Vizepräsident Bastian bei der FIDE?

Bastian:
Bisher noch nicht, ich warte die erste Sitzung des Presidential Board ab, die zum Beginn der WM am 7.November in Sotschi terminiert ist. Schwerpunkte meines eigenen Interesses habe ich bereits genannt (Frauenschach, Behindertenschach/Inklusion, Demokratisierungspotential in der FIDE), dazu kommt wohl auch die Vertretung europäischer Interessen.

Krennwurzn:
Bleiben wir allgemein bei diesem Thema – viele Schachfreunde fragen sich, warum nur mehr wenige Schachveranstaltungen der FIDE in der „westlichen Hemisphäre“ stattfinden und sehen als Hauptursache, dass es wohl kein bekannter Konzern aufgrund von Compliance Regelungen wagt Sponsoring mit der FIDE durchzuführen.

Bastian:
Ob das stimmt wage ich zu bezweifeln. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Turniere immer teurer werden und die potentiellen Sponsoren nicht erkennen, welchen Gegenwert sie bekommen? Es könnte auch eine Rolle spielen, dass die Schachspieler im Westen selbst die FIDE systematisch schlecht reden. Ob das eine gute Strategie ist, Sponsoren zu gewinnen?

Krennwurzn:
Welchen Gegenwert bekämen nun potentielle Sponsoren?

Bastian:
Als Marketinglaie kann ich das kaum vollständig beantworten. Bekannt ist mir, dass Sponsoren entweder selbst bekannt werden wollen und dann etwas tun, was ich als Anfangsinvestition bezeichnen würde, oder sie wollen das Image ihrer Werbeträger nutzen und auf sich selbst übertragen. Deshalb ist Erfolg so gesucht. Als drittes fällt mir soziales Engagement ein, das ebenfalls positiv besetzt ist. Es kann jeder selbst beurteilen, wie wir uns als Schachsportler derzeit einzuordnen haben. Eine destruktive Haltung gegenüber der FIDE verbessert die Ausgangslage nicht. In Deutschland haben wir eine Mischung zwischen Sponsoring und Mäzenatentum. Wenn wir den Sponsorenanteil vergrößern wollen, müssen wir unseren sportlichen Erfolg und unsere Selbstdarstellung erheblich verbessern.

Krennwurzn:
Zum sportlichen Erfolg würde wohl ein Spieler in der absoluten Weltspitze zählen, da aber Arkadij Naiditsch als 38. der Weltrangliste nächstes Jahr 30 Jahre alt wird, sehe ich da wenig Chancen. Und zur Selbstdarstellung kann man wohl sagen, dass wir doch fast alles falsch machen müssen, weil einerseits hat Schach gute Imagewerte in der Öffentlichkeit und andererseits haben wir auch aufgrund der längeren Ausübbarkeit einen hohen Anteil an gut gebildeten und einkommensstarken Mitgliedern - wir wären also attraktiv für Sponsoren. Wie will der DSB eine Änderung herbeiführen?

Bastian:
Ob wir fast alles falsch machen, müssen andere beurteilen. Ich kann nur versichern, dass wir im Präsidium sehr selbstkritisch an die Sache herangehen. Um Änderungen im Sinne von Verbesserungen herbeizuführen, muss das Thema Marketing im Deutschen Schachbund endlich ernst genommen werden. Klaus Lais war einer derjenigen, die auf dieses Problem schon vor einigen Jahren hingewiesen haben, doch fand er zu wenig Gehör. Wir haben keinen Ehrenamtlichen, der sich „hauptamtlich“ um dieses Thema kümmert, und bei den Hauptamtlichen fehlt es immer noch an Knowhow sowie an Zeitressourcen. Nachdem wir das Ausscheiden von Horst Metzing inzwischen weitgehend kompensiert haben und die Frage der Leistungssportförderung vor einer Lösung steht, wird uns das Thema Marketing intern im zweiten Halbjahr vermehrt beschäftigen. Ob und bis wann das konkrete Ergebnisse liefert kann derzeit nicht beantwortet werden. Sicher ist nur, dass zuerst grundsätzliche Diskussionen notwendig sind, bevor sichtbare Handlungen folgen können.

Krennwurzn:
Hoffnung macht das nicht, aber kommen wir von der hohen Politik zu den Schachspielern zurück. Viele ärgern FIDE Regelungen, denen einfach der Blick aufs Praktische fehlt. Das beste Beispiel ist die Nulltoleranzregelung bei Spielbeginn: eine klare Sache gegen Mätzchen bei Profiturnieren und wichtig auch gegenüber Honoratioren und Sponsorenvertreter, aber bei den Amateuren vollkommen falsch am Platz – denn diesen „stiehlt“ man ohne jeglichen Gegenwert einfach nur Zeit! Ohne jetzt auf das Thema Betrug eingehen zu wollen, ist auch die unbedingt notwendige „Handyregelung“ - mobile phone and/or other electronic means of communication in the playing venue – aus rein praktischer Sicht nicht wirklich durchdacht. Reise ich mit dem Auto an ist klar, da kann ich das Handy im Auto lassen, aber viele kommen mit öffentlichen Verkehrsmittel – am Freitag manche direkt von der Arbeit – zum Schach und da stellt sich schon die Frage: wohin mit dem Handy?

Bastian:
Die Handy-Regel wurde kürzlich im Hinblick auf solche Fälle von der FIDE wieder modifiziert. Die Nulltoleranzregel kann bei Amateurturnieren leicht abgeändert werden. Für diese Kritik habe ich nur wenig Verständnis. Wenn man sich ein bisschen für seinen Sport über das reine Spielen hinaus engagiert, lässt sich alles lösen. In meinem Landesverband haben wir in einem einfachen, demokratischen Prozess akzeptable Kompromisse gefunden. Schuld an den Erschwerungen sind die Betrüger, nicht die FIDE. Ohne entschlossenes Handeln gegen Missstände wäre der Schachsport schnell ruiniert.

Krennwurzn:
Allerdings ist die modifizierte Regelung zwar schon durchgesickert, aber noch nicht ins Regelwerk eingebaut – die Kritik besteht ja darin, dass zuerst harte Regeln beschlossen werden und dann diese aufgeweicht – also erst im Nachhinein praxistauglich für die Masse der Schachspieler gemacht werden. Dass die FIDE auf Betrugsmöglichkeiten schnell und gut reagiert, wünschen sich wohl fast alle Schachspieler, dass damit oft auch schwer verständliche Erschwerungen verbunden sind, ist auch klar. Viele sind durch die schon angesprochene „Verrechtlichung“ doch auch verunsichert und möchten sich nicht durch Unkenntnis von Regeln und deren Auslegung einem Verdacht aussetzen – müsste da die FIDE und auch der DSB gerade die Auslegung besser kommunizieren?

Bastian:
Gegen eine Verbesserung der Kommunikation hab ich nichts einzuwenden. Das ist eine Aufgabe unserer Schiedsrichterkommission, die sehr selbstständig arbeitet.

Krennwurzn:
Nun bin ich selbst ein großer Freund von Freiheiten, aber wenn jede Kommission, jedes Vorstandsmitglied, jeder Mitarbeiter selbstständig arbeitet, da sehe ich schon Gefahren – müsste da nicht manchmal die Führung kontrollierend und richtungsgebend eingreifen?

Bastian:
In einem so komplexen Gebilde wie der Deutsche Schachbund kann man unmöglich als Ehrenamtlicher den vollen Überblick behalten. Manches regelt das Präsidium vorausschauend, oft wird es erst aktiv, wenn eine Beschwerde oder ein Hinweis vorliegt. Wer wirklich Missstände beseitigen will weiß das und wendet sich an das Präsidium oder noch besser an die zuständigen Personen. Der weitaus größte Teil der Führungsarbeit läuft im Hintergrund und unbürokratisch ab.

Krennwurzn:
Da wir jetzt schon beim DSB gelandet sind noch schnell eine mehrmals gestellte Leserfrage: Warum schafft es der DSB nicht seine nationale Einzelmeisterschaft so zu gestalten, dass wie beispielsweise in Frankreich fast alle Topleute mitspielen?

Bastian:
Auf dem DSB-Kongress in Bonn wurde entschieden, dass der bisherige Austragungsmodus beibehalten werden soll. Alternativ sollte es ein zusätzliches Turnier für unsere Spitzenleute geben. Um das aufzubauen hatten wir ursprünglich eine Kooperation mit Baden-Baden angestrebt. Dann kam die Kooperation mit Dortmund dazu und die Dinge entwickelten sich etwas anders. Im Prinzip könnten auch bei dem jetzigen Austragungsmodus mehr Spitzenspieler über Freiplätze teilnehmen. Aber erstens fehlt das Geld für die Finanzierung und zweitens gibt es auch terminliche Probleme. So sollte Arkadij Naiditsch letztes Jahr in Saarbrücken spielen, aber er musste wegen eines Einsatzes im Ausland absagen. Schon jetzt steht das Präsidium wegen der Kooperation mit Dortmund und Baden-Baden unter Druck. Solange sich kein Ausrichter und kein Sponsor finden, wird es etwas Vergleichbares in Deutschland nicht geben, die Franzosen sind da besser ausgestattet. Immerhin bieten wir unseren Spitzenspielern im Vergleich zu früher deutlich mehr Spielmöglichkeiten, und wir hoffen, nach Konsolidierung unserer Finanzen weitere Schritte nach vorne machen zu können.

Krennwurzn:
Geld, Finanzen ist das die richtige Überleitung zu den Frauen? Derzeit Zeit läuft ja gerade das 1. Internationale Frauenschachfestival in Erfurt. Nun ist der Frauenanteil im Schach doch sehr gering. Ich habe mir mal kurz die DWZ Daten heruntergeladen in Excel grob die Dubletten entfernen lassen und bin auf 79.000 Mitglieder gekommen, davon sind 73.000 Männer und nur 6.000 Frauen.
Irgendwo habe ich auch die Summe von 600.000 Euro Mitgliedsbeiträge an den DSB im Hinterkopf und auch, dass das Geld immer knapp ist. Könnte man einen Frauenanteil von 50% erreichen, stünden dem DSB jährlich mehr als 500.000 Euro zur Verfügung – das wäre doch ein Traum? Sicherlich kurzfristig unrealistisch – aber auch nur 10.000 Frauen mehr brächten um die 75.000 Euro in die Kasse!

Bastian:
Darauf möchte ich mit einem Satz antworten, den Dr. Richard Lutz (Vorstand Deutsche Bahn AG) am Eröffnungsabend des Turniers am Sonntagabend in Erfurt gesagt hat: „Wir können es uns nicht leisten, die Ressourcen in der einen Hälfte der Bevölkerung zu ignorieren.“ Ähnliche Rechnungen wie oben habe ich auch schon angestellt, und sie waren einer der Gründe, warum ich mich so beharrlich für die Förderung des Frauenschachs einsetze. Ergänzen muss ich allerdings, dass es mir keinesfalls nur ums Geld geht. Dr. Lutz meinte auch weniger das Geld und mehr das kreative Potential, das im weiblichen Teil der Bevölkerung steckt.

Krennwurzn:
Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube und sage offen heraus, dass ich die Trennung in Damen und Herrenbewerbe im Schach als die schlimmste Diskriminierung überhaupt empfinde. Denn im Denken haben die Frauen keine Nachteile! Es gibt auch keine Trennung in weibliche und männliche Mathematik an den Universitäten. Zeigen nicht viele Topwissenschaftlerinnen und Judith Polgar klar auf, dass diese chauvinistische Haltung einfach nur steinzeitlich ist? Kann es nicht sein, dass gerade diese Trennung uns viele Frauen kostet? Und würde nicht so manchem von uns Niederlagen gegen Frauen auch Wertvolles für das reale Leben mitgeben?

Bastian:
Darauf antworte ich mit einem kleinen Vortag ;-)

Erstens gibt es im Schach keine Trennung von Männern und Frauen. Frauen stehen alle Männerturniere offen, aber es gibt Zusatzangebote für Frauen. Wenn überhaupt dann werden höchstens die Männer diskriminiert, weil ihnen diese Zusatzangebote verwehrt sind. Der erste Frauen- und Mädchenschachkongress (Kooperation DSJ/DSB) fand 2012 in Göttingen statt, und dieser Ort war auf meine Anregung hin nicht zufällig gewählt: In Göttingen lehrte Emmy Noether, die erste deutsche Mathematikprofessorin, Tochter von Prof. Dr. Max Noether aus Erlangen, der Doktorvater von Emanuel Lasker. Ihre Geschichte kann man in der Wikipedia nachlesen. Da Emmy Noether den Frauen den Weg in die Mathematik ebnete – davor waren sie praktisch ausgeschlossen – wollte ich sie als Symbolfigur für den Aufbruch des Frauenschachs etablieren, zumal sie über Lasker eine enge Verbindung zum Schach hatte. Leider ist diesem Gedanken niemand gefolgt. Eine moderne Symbolfigur könnte etwa Lisa Randall sein, die mit ihrer fünfdimensionalen Theorie der Gravitation der Theoretischen Physik neue Wege öffnete. Ich will damit sagen, dass ich die Gleichwertigkeit von Frauen hinsichtlich ihrer Denkfähigkeiten anerkenne.
Aber die Diskussionen auf dem erwähnten Kongress in Göttingen haben mich auf ein Phänomen gestoßen, das ich als „gekipptes Gleichgewicht“ bezeichnen möchte. Ein gekipptes Gleichgewicht kann man häufig finden, aber diese Diskussion führt vom Thema ab. Das Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen war in den Schachclubs von Anfang an gestört, wie man besonders schön am berühmten Bild von Johann Erdmann Hummel: „Die Schachpartie“ (um 1819) erkennen kann. Erst das Arbeiterschach verschaffte ab 1902 einem breiteren Teil der Bevölkerung den Zugang zum Schachspiel, so wie es heute über das Schulschach weltweit erneut angestrebt wird. In Verbindung mit der Emanzipation der Frauen sind heute alle Voraussetzungen vorhanden, das Gleichgewicht wenigstens angenähert herzustellen. Wenn man jedoch in der Schule mit Jugendlichen arbeitet, kann man stets von neuem beobachten, wie schnell ein anfänglich vorhandenes Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern wieder kippen kann.
Deshalb müssen mindestens zwei Strategien ausgearbeitet werden: Erstens sind Maßnahmen erforderlich, ein vorhandenes Gleichgewicht in Jugendgruppen zu stabilisieren und zu erhalten. Die Deutsche Schachjugend leistet diesbezüglich Hervorragendes, z.B. mit ihren Zertifizierungen wie frauenfreundlicher Verein. Vielleicht ist das ein interessantes Forschungsthema für Erziehungswissenschaftler, vielleicht liegen darüber auch schon Erkenntnisse vor, die von uns Schachsportlern nicht genügend genutzt werden. Zweitens benötigen die Frauen Inseln in der Männergesellschaft, wo sie sich entwickeln und Selbstbewusstsein aufbauen können, um das System von innen heraus frauenfreundlicher zu gestalten.
Wegen konkreter Maßnahmen weise ich darauf hin, dass der DOSB die Berücksichtigung von Frauen in den Führungsgremien der Sportfachverbände wünscht. Im Deutschen Schachbund habe ich bereits vorgeschlagen, einen Vizepräsidenten in die Satzung aufzunehmen, der sich strategisch mit der Förderung des Frauenschachs beschäftigt – und damit meine ich nicht nur Spielbetrieb – und nur mit einer Frau besetzt werden darf. Es handelt sich dabei keinesfalls um eine Quotenfrau, sondern um eine inhaltlich begründete Position. Bisher konnte ich mit diesem Vorstoß nicht begeistern, aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass unter anderem so etwas geschehen muss, um voran zu kommen.

Krennwurzn:
Da unterscheiden sich unsere Positionen wohl nur sehr wenig, aber die Krennwurzn ist nun mal ungeduldig und fragt sich, ob man nicht auch an verpflichtende Damenbretter denken sollte – wobei dies nur bedeutet, dass eine Dame in der aktuellen Wettkampfaufstellung mitspielen muss – welches Brett entscheiden einfach die für alle gültigen Regeln! Und da es so leicht ist, etwas vorzuschlagen, wenn man es nicht umsetzten muss, würde ich damit in den Bundesligen mit der Saison 2015/16 beginnen, Oberligen und Landesligen ab 2019 und für alle Mannschaften dann ab 2022! Möglicherweise sogar in einem Aufwasch mit einem Jugendbrett (also eine Dame und ein/e Jugendliche/r) – natürlich mit gleichbleibender Bretteranzahl, um die Vereine nicht mit zusätzlichen Kosten zu belasten!

Bastian:
Solche Fragen wurden schon diskutiert, nach meinem Kenntnisstand ohne konkretes Ergebnis. Aber ich werde mich umhören, wie die Meinungen dazu aktuell sind.

Krennwurzn:
Welche Pläne sind zur Zeit aktuell?

Bastian:
Vorerst haben wir keine neuen Pläne, sondern erledigen erst einmal das, was sich angestaut hat, und das ist mehr als genug. Die Ergebnisse des FIDE-Kongresses müssen ausgewertet werden, Erfurt läuft, dann kommt das Damen-Masters in Dresden und viele weitere Termine. Und es steht eine Strukturreform auf dem nächsten Kongress an. Für die DOSB-Mitgliederversammlung im Dezember muss die Überarbeitung der Förderrichtlinien angepackt werden usw. Weiter zu erwähnen sind der anstehende Frauen- und Mädchenschachkongress am 5.- 7. September in Kassel sowie der nächste Schulschachkongress.

Krennwurzn:
Kommen wir zurück zur sozialen Kompetenz – ein super Vorbild ist für mich da Melanie Ohme mit „Zug um Zug gegen Rassismus“, Olympiabotschafterin und einer netten Homepage. Warum fehlen da männliche Pendants?

Bastian:
Ist soziale Kompetenz Männersache? Auf den ersten Blick widerstrebt das doch der Natur des Schachspielers, der immer siegen will. Aber auf den zweiten Blick kann man entdecken, dass soziale Kompetenz in Wirklichkeit unterm Strich Vorteile bringt. Leider sind Spitzenspieler oft sehr ich bezogen mit einem Tunnelblick auf das eigene Ego. Vielleicht fehlt ihnen die harte Schule des normalen Alltags. Frauen scheinen da weniger anfällig zu sein, weil sie mehr auf ihr Äußeres achten. Aber ich bin nicht sicher, ob wirklich männliche Pendants fehlen, mir fallen da schon einige ein.

Krennwurzn:
Jetzt entgleiten wir aber in die Tiefen der menschlichen Psyche – vielleicht sollen wir hier mit der Frage abbrechen, ob nicht gerade dieses „immer siegen wollen“ uns daran hindert die besten sportlichen Leistungen zu bringen. Vielleicht könnten wir da von den Frauen was lernen und vielleicht ist einfach nur pragmatisch nett und natürlich, wenn mehr Frauen beim Schach aktiv sind?

Bastian:
Um Spitzenleistungen wie Magnus Carlsen erbringen zu können, braucht man den absoluten Siegeswillen. Aber das Schachspiel zu lieben und Schachsport zu betreiben ist mehr als Partien zu gewinnen – es kann nicht jeder Weltmeister werden. Geschätzte 99% aller Schachspieler sind weniger erfolgreich, und deshalb ist es eine Überlegung wert, mehr auf soziale Kompetenzen zu setzen und unsere Schachwelt bunter zu machen. Frauen sind dafür genau richtig!

Krennwurzn:
Ein schöneres Schlusswort hätte man nicht finden können – Danke für das Gespräch!

Krennwurzn

Anonymer aber dennoch vielen bekannter kritischer Schachösterreicher! Ironisch, sarkastisch und dennoch im Reallife ein netter Mensch - so lautet meine Selbstüberschätzung! Natürlich darf jeder wissen wer die Krennwurzn ist und man darf es auch weitererzählen, aber man sollte es nicht schreiben, denn die Krennwurzn hat so eine abkindliche Freude damit „anonym“ zu sein – lassen wir ihr doch bitte diese Illusion!

Motto: Erfreue Dich am Spiel, nicht an der Ratingzahl! Das Leben ist hart, aber ungerecht (raunzender Ösi)!
 

Kommentare   

#1 Thomas Richter 2014-08-29 19:36
Zu "viele Schachfreunde fragen sich, warum nur mehr wenige Schachveranstaltungen der FIDE in der „westlichen Hemisphäre“ stattfinden" - das bezieht sich wohl vor allem auf die Grand Prix Serie und weniger auf Olympiade, Jugend-WMs usw. ?

Private Superturniere, die es im "Westen" durchaus gibt, sind für Sponsoren eben interessanter. Da können sie alle Weltklassespieler einladen, die sie haben wollen (sofern das Budget ausreicht) sowie quasi unbegrenzt einheimische Spieler. Und sie müssen niemanden "dulden", den sie lieber nicht haben wollen. Beim FIDE GP bestimmen FIDE bzw. objektive Kriterien das Teilnehmerfeld mit - so ist es nun einmal immer noch in der erweiterten Weltspitze - einer gewissen Dominanz "sowjetischer" Spieler. Carlsen ist wohl nicht dabei, für andere Spieler (z.B. Aronian) ist die Chance 75% (bei vier Turnieren) bzw. 66% (bei sechs Turnieren), dass er ein _bestimmtes_ Turnier mitspielt.
Sowjetische Ausrichter bzw. (letzte Serie) Sponsoren von GP-Turnieren anderswo haben weniger Probleme damit, dass beim Turnier vorwiegend Russisch gesprochen wird. Und Dortmund (seit Jahren mit gutem Draht zu Kramnik) würde wohl kein GP-Turnier ausrichten, in dem sie womöglich Topalov zugeteilt bekommen.
#2 Spieler K 2014-10-30 12:41
Zur Wahl des FIDE-Präsidenten schreibt Nigel Short in NiC 6/2014:
"members of the German Chess Federation might be curious to know why Georgios Makropoulos and Israel Gelfer openly canvassed for their President, Herbert Bastian, to become elected FIDE Vice President, despite the German Board deciding in favour of Kasparov. But when one learns that Bastian opposed the choice of the German Board, and furthermore insisted, quite irregularly, on casting the vote himself instead of Horst Metzing, the Delegate, then for all but the most credulous, the mystery disappears..."

Ich habe kein Verständnis für die folgenden Äußerungen von Herrn Bastian:
"Wir sind [...] auf Abstand geblieben, weil wir uns im Wahlkampf von keiner Seite instrumentalisieren lassen wollten"
"Seine [Ilyumzhinovs] positiven Leistungen werden verschwiegen oder kleingeredet. Ilyumzhinow hat stets die Hand ausgestreckt und Kooperation im Interesse des Schachsports gesucht."
"Bevor man ein gut funktionierendes System für eine ungewisse Zukunft zerschlägt, denkt man lieber zweimal nach."

Positive Leistungen?? Gut funktionierendes System??? Meint der Mann das ernst? Ich finde das äußerst peinlich für das deutsche Schach.

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