Anand - Meier (GRENKE Chess Classic )
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Donnerstag, 21 Februar 2013 09:54

Mensch Meier – Zauberer Houdini

Freitagnachmittag die Krennwurzn macht schön langsam Wochenschluss und schaut so nebenbei auf den Bildschirm, weil gerade das GRENKE Chess Classic Baden-Baden läuft und bleibt ein wenig bei der Partie Anand gegen Meier hängen. Der Weltmeister hat nicht wirklich viel aus der Eröffnung herausgeholt, aber die Fangemeinde im Chat hofft doch noch auf einen Sieg des Weltmeisters und die etwas kleinere deutsche Fangemeinde hofft auf ein Remis und als neutraler Beobachter läuft Houdini mit und gibt gerecht einmal dem einen und dann dem anderen ein kleines nichts aussagendes Plus.

mh1

Meier dachte länger nach und plötzlich zeigt Houdini Txg4 mit -+ 3,xx also Gewinn für Schwarz, aber mit der angezeigten Variante kann irgendwas nicht stimmen, denn es taucht der Zug Tc8 statt des besseren Td7 mit Verstellen der Diagonale auf mit dem der Weltmeister später in der Partie das Remis sicher stellen kann. Außerdem kehrt die Maschine dann wieder zu einer remislichen Bewertung zurück und Meier spielte Lxg4 und die Partie endete dann Remis – eine weitere gute Leistung in diesem Turnier war vollbracht: Remis mit Schwarz gegen den Weltmeister.

mh2

Wäre mehr möglich gewesen und warum taucht der Zug Tc8 in den Rechnervarianten auf? Sieht der Zauberer das weltmeisterliche Rettungsmotiv nicht oder ist es doch widerlegbar? Und warum zeigen auch andere Engines Td7 mit Ausgleich – allerdings bei wesentlich geringeren Suchtiefen? Fragen über Fragen und damit war klar, ein Teil des Wochenendes muss für die Analyse der Stellung verwendet werden – und auch der Prozessor wird sich für Endspiele erwärmen müssen, denn ohne Zeit und Strom sind auch Zauberer wehrlos. Und tatsächlich nach längerem Nachdenken stabilisierte sich die Bewertung: die Stellung ist doch für Schwarz gewonnen – sagt der Zauberer!

In Kirchen und Fangemeinden wird ja gerne geglaubt, aber der aufgeklärte Mensch prüft doch lieber selber nach und stellt dann seine – naja wollen doch wir ehrlich bleiben: jene der Maschine – also ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit zur strengen Überprüfung!

m1

47. ... Txg4!! gewinnt also – schauen wir weiter die Bauern laufen
48.a6 h3
49.a7 Le4

m2

In dieser Stellung wollte der Rechner in der Vorausberechnung lange Zeit 50. Tc8 ziehen, um den Bauern direkt beim Einzug zu unterstützen, aber der Plan mit der Verstellung der Läuferdiagonale ist – wie uns der Weltmeister zeigte – schlicht stärker

50.Td7

m3

Aber anders als in der Partie kann Schwarz hier kontern:

50. ... Th4!! (nach h2 könnte Weiß wieder die Diagonale verstellen und ins Remis entkommen.)

m4

Aber was kann Weiß nun machen? 51.Td5? Lxd5 52.cxd5 Th8 und wer hält den h-Bauern auf? Möglicherweise hätte hier der Weltmeister schon die Waffen gestreckt, denn

51. f3

um den Läufer gegen den Bauern opfern zu können ist für einen Computer sicherlich eine Option – einem Menschen gefallen solche Züge nur, wenn sie nicht nur verlustverzögernd wirken.

51 . ... Lxf3 what else?
52. Lf2 Th8 (sogar 52. ... h2 Lxh4 h1D sieht der Computer nun als gewonnen an)

m5

53.Lg1 h2    (Weiß hätte auch sofort 52. Lg1 spielen können 52. ....h2  53. Txh2+ 54. Kc3 Th7 - aber Computer lieben es die Niederlage um einen Zug zu verzögern)
54.Lxh2 Txh2+
55.Kc3 Th7
56.Td3 La8
57.b4 Txa7

Und es ist vorbei und die Sensation wäre perfekt gewesen: der amtierende Weltmeister und spätere Turniersieger wäre geschlagen gewesen.

Hier noch die Partie mit Analysen zum online Nachspielen oder als PGN-Download

Schloss Schwetzingen: Einer von vielen Schauplätzen eines reichen Schachjahrs
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Sonntag, 06 Januar 2013 15:45

Ein tolles Jahr für (deutsche) Schachfans

2013 bringt keine Schacholympiade, wahrscheinlich keinen WM-Kampf, und doch verspricht das neue Jahr ein gutes Schachjahr zu werden. Das gilt insbesondere für die deutschen Schachfans: Gleich drei Weltklasseturniere sollen in den nächsten Monaten in Deutschland stattfinden: Am 6.-17. Februar in Baden-Baden mit Anand, Adams, Caruana, Fridman, Meier, Naiditsch und einem ganzen Schachfestival. Am 3.-17. Juli ein FIDE-Grandprixturnier in Berlin und ab 22. Juli das Dortmunder Sparkassen-Chess-Meeting.

Wer im Süden wohnt, hat es nicht weit nach Zürich, wo am 23.Februar bis 1. März Anand, Caruana, Kramnik und Gelfand antreten. Die im Nordwesten können sich einen Abstecher zum ersten Knaller des Jahres in Wijk aan Zee von 12. bis 27. Januar überlegen. Ein Leckerbissen für heimische Fans ist auch das zum zweiten Mal zentral ausgetragene Bundesligafinale am 5. bis 7. April im Schwetzinger Schloss.

Den sportlichen Höhepunkt des Jahres erwarte ich vom doppelrundig mit acht Teilnehmern (Carlsen, Kramnik, Aronjan, Radschabow, Grischtschuk, Swidler, Iwantschuk und Gelfand) ausgetragene Kandidatenturnier am 14. März bis 1. April in London, das eher nicht mit einem Aprilscherz sondern der Kürung von Anands designiertem Nachfolger endet. Dass der 43jährige Inder bei seinem Kraftakt in Wijk aan Zee, Baden-Baden und Zürich mit 29 Partien binnen sieben Wochen wieder seit Jahren vermisste Siegerqualitäten zeigt und sich wieder – seinem Titel gemäß – über die 2800 schwingt, erwarte ich nicht, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren. Offenbar ist Anand klar, dass seine beste Chance, zu alter Größe zu finden, jetzt ist, bevor sein Herausforderer feststeht und die nächste WM beginnt, sich im Kopf breit zu machen.

Nach dem starken ersten Quartal wird das Schachjahr etwas ruhiger. Abgesehen von den schon erwähnten Ereignissen erwarten uns das Festival in Biel,  FIDE-Grandprixturniere in Lissabon, Madrid und Paris, im August der Weltcup in Tromsö als Generalprobe für die ziemlich genau ein Jahr später dort stattfindende Schacholympiade, und im Herbst dann wieder Bilbao, London und das Moskauer Tal-Memorial, falls es nicht beim voriges Jahr provisorischen Juni-Termin bleiben soll. Der WM-Kampf könnte zwar laut einer früheren Ankündigung der FIDE schon Ende des Jahres in Anands Heimatstadt Chennai über die Bühne gehen. Wahrscheinlicher ist aber 2014 und nach einer Ausschreibung, sobald der Herausforderer in London ermittelt ist.

Gespannt bin ich auch, ob es Andrew Paulson, dem von der FIDE beauftragten Impressario des Grandprix, Kandidatenturniers und der nächsten WM gelingt, die Präsentation des Spitzenschachs zu verbessern. Dass Veranstaltungen wie Linares oder die Amber-Turniere in Monte Carlo und Nizza verschwunden sind, merkt man dem gut gefüllten Kalender jedenfalls nicht an. Für Fans hochklassigen Schachs hat ein gutes Jahr begonnen.

Samstag, 01 Oktober 2011 23:04

Wieder die anderen

Zwei Wochen vor dem großen Auftritt der Bundesliga mit bis zu 80 Großmeistern an einem Ort, hat ihr stärkster Vertreter international wieder nichts gerissen: Bitterer Abschluss für Baden-Baden. Nach einem bis dahin ausgezeichnet gespielten Europacup wird der Deutsche Meister durch ein abschließendes 2:4 gegen den Ersten der Setzliste auf Rang sechs durchgereicht. Und das obwohl es nach kurzem 1:0 für Baden-Baden gestanden hatte. Ein 3:3 hätte für Platz zwei gereicht, für den Cupsieg hätte es allerdings ein 4,5:1,5 sein müssen. Bemerkenswert, dass in einem Aufeinandertreffen zweier durchschnittlich über 2700 Elopunkte starker Teams keines von sechs Brettern remis endete. Außerdem dass Neuverpflichtung Kasimdschanow beim Gegner am letzten Brett saß, und ein weiterer Baden-Badener, Peter Swidler, mit St. Petersburg den Sieg holte. Hier kann man die Partien noch nachspielen.  
Schachtouristen zieht es zur Zeche Zollverein
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Dienstag, 12 Juli 2011 12:24

Hopp auf, zum Schachturnier!

Der Sommer ist theoretisch da, der Urlaub kann theoretisch beginnen, alles wird gut. Sommerzeit ist Open-Zeit, und der Möglichkeiten sind viele, um in Deutschland, Österreich und in anderen schönen Teilen der Welt an Turnieren teilzunehmen. Glücklich die Schachspieler, die den Alltag hinter sich lassen und auf Reisen gehen können. 

Und überall klangvolle Namen, klangvolle Spielorte: auch heute sitzen schon wieder 223 Spieler beim St.Pauli-Open an den Brettern, Anish Giri fährt in ein paar Tagen zum Open nach Dortmund, und Jan Gustafsson steht auf der Teilnehmerliste für den Politiken Cup in Kopenhagen, der Ende Juli beginnt. In Baden-Baden geht Anfang August Rainer Buhmann an den Start, und die Niedersächsische Schachjugend macht sich als U18-Nationalmannschaft auf den Weg und tigert nach Rumänien zur Europameisterschaft.

Wobei es eigenartig anmuten mag, dass man durch die ganze Welt reist und so viele Kilometer überwindet, wenn man dann doch wieder nur am Schachbrett sitzt und vom Gegner und/ oder der Slawischen Verteidigung in tiefe Frustrationen gestürzt wird. Es gibt auf Turnieren ja viel Zeit, um zu bereuen – gerade nach enttäuschenden Partien. Bereue!

Doch wie wir alle wissen: nicht nur der Erfolg in den Partien macht so eine Schachreise zu einem schönen Erlebnis, auch das ganze Drumherum gehört dazu. Wenn wir nette Leute treffen, Zeit haben und ein offenes Auge finden für den Spielort und die neue Umgebung, dann wird es eine tolle Reise. Gleich um die Ecke warten ja schon schöne Sehenswürdigkeiten, die Alster und der Schwarzwald vielleicht, der Tivoli in Kopenhagen oder die Zeche Zollverein in Duisburg. Und außerdem – wer sagt denn, dass unsere Schachpartien immer schlecht ausgehen müssen? Manchmal enden sie auch gut für uns, und dann ist das Open-Glück schon ziemlich perfekt.

Bei der klassischen Turnierform spielt man neun Runden in neun Tagen. Viele Spieler legen viel Wert darauf, dass die Partien nicht zu früh angesetzt werden, so dass man in den Tag hineinleben kann – denn immerhin ist es ja Urlaub. Doch auch andere Modi sind denkbar. Bei einem Zwei-Mann-Open 1984 in Moskau beispielsweise spielten Karpov und Kasparov an 151 Tagen über 48 Partien – vom 10.September 1984 bis zum 08.Februar 1985! Diese etwas extremere Form des Schachturniers hat sich so allerdings nicht weiter durchsetzen können. Ganz im Gegenteil ballen sich heute in vielen Wettbewerben sieben Runden an vier Tagen zusammen – das ist intensiv und flott. Bei diesem Modus bleibt wenig Zeit für eine genaue Vorbereitung auf den Gegner. Somit sind alle Teilnehmer immerhin mehr oder weniger gleich ratlos, wenn sie sich ans Brett setzen.

kasparov-12

Kennen wir uns nicht schon aus der letzten Runde?
Quelle: Owen Williams, The Kasparov Agency

Eine angenehme Mischform bietet das Open in Baden-Baden, bei dem man sieben Runden an fünf Tagen spielt. Dadurch gibt es nur zwei Doppelrunden, und das ist nicht unangenehm. Vor elf Jahren reisten ein paar Freunde vom Lübecker SV und ich schon einmal zu diesem Turnier, und was soll man sagen - einladend ist die Stadt und reizend die Umgebung, besonders auch, wenn man von der Küste kommt! Auch trifft man alte Freunde wieder, oder aber man findet sich als Norddeutscher wieder in einem Feld von 200 badischen Schachspielern, die man noch nie in seinem Leben gesehen hat. Auch das ist reizvoll. Gens una sumus - wir sind eine (große!) Familie.

Das Baden-Baden Open 2000 gewann damals der Lübecker Stefan Lindemann in großem Stil – vielleicht lag es daran, dass er nicht mit uns in der Wohnung schlief, sondern auf halber Treppe im Hausflur auf einer Couch übernachtete. So wird man Turniersieger! Vielleicht machte diese Abwechslung den Unterschied aus, doch wahrscheinlich war es einfach seine gute Form und Spielstärke, durch die er das Turnier gewann. (Dennoch werde ich beim nächsten Open vielleicht mal campen und auf einer Isomatte schlafen – wer weiß, was es bringt!)

Für mich endete das Turnier mit einem kleinen Geldpreis, nachdem ich in der letzten Runde noch eine wilde Partie gewinnen konnte. Agonie befiel mich allerdings in der sechsten Runde nach der verlorenen Partie gegen das Karlsruher Urgestein Clemens Werner:

steffens-werner intro

Stellung nach 27..Td1-d6

In leicht verworrener Stellung und bei für beide Seiten kitzliger Zeitverteilung folgte nun  

27….Sf6-d5, 28.Se3xd5, c6xd5 29.Td6-d8,  Dc5-b5.

steffens-werner rtsel

Der Tor zum vollen Punkt steht nun plötzlich weit offen. Wie hätte Weiß spielen sollen? (Hat er aber nicht!)

a) Weiß steht eigentlich gut nach 30.Td8xe8.
b) Weiß steht eigentlich prima nach 30.Tf1-f3.
c) Weiß steht eigentlich bestens, muss aber irgendetwas anderes spielen als 30.Txe8 und 30.Tf3.

d) Weiß sollte lieber schnell Remis anbieten, denn nachher hat er ja noch verloren!

Hier die Partie zum Nachspielen:


Wir fragen abschließend: Steigert Turnierspielen das Lebensglück? Natürlich ist diese Frage schwer zu beantworten, doch wie so oft können wir dazu den Nürnberger Altmeister Siegbert Tarrasch zitieren:

„Schach hat wie die Liebe, wie die Musik die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen.“

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. (Indes - bei einem Interview mit New in Chess im Jahr 1970 hat Tarrasch seinen Ausspruch zwar noch um „Sehr schön sind allerdings auch die fränkischen Weine und die Fußball-Bundesliga!“ ergänzt, doch konnte sich diese Version nie ganz gegen das Original durchsetzen.)

In diesem Sinne – allen Lesern einen schönen Schach-Sommer und eine tolle Open-Saison!

lasker-tarrasch_1908

Tarrasch und Lasker bei einem frühen Zwei-Mann-Open im Jahr 1908
Quelle: wikicommons