Petersburger Räuberschach

Weiss am Zug verliert Weiss am Zug verliert

Eher zufällig landete ich bei der Liveübertragung des Chigorin Memorial Rapid in St. Petersburg (derzeit läuft das klassische Turnier im Schweizer System) und stolperte über diese kuriose Schlusstellung. Wer am Zug ist ist klar, wer gewinnt auch (nicht der Spieler mit dem Mehrturm), aber wie kam das zustande und wieviele oder wie wenige Züge waren gespielt? Das ist die Stellung nach dem 20. Zug  - Räuberschach der etwas anderen Art, nicht zu vergleichen mit dem Produkt von Peter Svidler aus St. Petersburg in Eilat. Die Partie ist auch ein Beitrag zur Theorie der Carlsen-Variante gegen Französisch - aber wohl keine Widerlegung von Carlsens Widerlegung. Das ganze Konzept des Schwarzen ist objektiv gesehen dubios, war aber gut genug für eine Schnellpartie. Gewisse Ähnlichkeiten zwischen meinem Beitrag und dem von Olaf Steffens sind nicht ganz zufällig, Unterschiede sind auch beabsichtigt - und die Frage- und Ausrufezeichen sind nicht immer ernst gemeint.

Popov-Vocaturo, Chigorin Memorial Rapid 2012

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4. exd5? Nach dieser Partie verdient dieser Zug wohl ein Fragezeichen - wenn Weiss in 20 Zügen verliert dann ist die Eröffnung einfach schlecht 4.-exd5 5.Ld3 Sc6 6.a3 Le7 von Hannes Langrock ignoriert, aber auch das geht (nicht nur 5.-Lxc3). In der Datenbank findet man auch noch 5.-La5, 5.-Ld6 und sogar 5.-Lxa3!! - das muss gut sein denn Schwarz gewann zwei von zwei Partien, offenbar verstehe ich nix vom Schach. 6.Sge2 Ein Experte in dieser Variante ist oder war übrigens auch Jörg Hickl, zumindest fand ich vier alte bis uralte Partien von ihm (1989, 1990, 1991, 2002), dazu komme ich noch. Er spielte immer 6.Sce2 was auch insgesamt mit leichtem Vorsprung der Hauptzug ist. Idee ist danach c2-c3, aber für mich sieht es gekünstelt aus - wie gesagt, das muss nichts heissen. 7.-Lg4 8.f3 Lh5 9.Sf4
Popv-Vocaturo1
Dieses Diagramm gab es so ähnlich bereits in Olafs Blogbeitrag - ein Unterschied ist dass hier beide noch nicht rochiert haben. Weiss wird das nachholen, Schwarz verzichtet darauf. 9.-Lg6 10.Sfxd5 das ist der andere Unterschied, bei Carlsen-Vallejo war der d-Bauer ausreichend gedeckt (durch einen Sf6). Houdini bevorzugt 10.Scxd5 wonach er für Schwarz keine Kompensation sieht, hier durchaus gewisse - Springer oder Springer, das ist mal wieder die Frage. 10.-Ld6 11.0-0 sagte ich doch 11.-Kf8!! Einfach genial - Vocaturo sah hier bereits dass er einen Turm auf der e-Linie braucht, und den anderen auf der sich öffnenden h-Linie. 12.f4 Sf6 13.Sxf6 Dxf6 14.Le3 Te8 15.Dd2 Sxd4 16.Lxg6 Txe3 17.Dxe3 Lc5 18.Se4? Dieses Fragezeichen ist ernst gemeint - der Zug sieht zwar verlockend aus ist aber nicht einmal in Houdinis top10. Drei Züge gewinnen für Weiss (am stärksten ist 18.Dh3), einer (18.Tf2) hält die Stellung zumindest etwa ausgeglichen. Wer sieht bereits wie ab hier forciert die Schlusstellung entsteht?
Popv-Vocaturo2

18.-Se2+ des Pudels Kern 19.Kh1 Lxe3 20.Sxf6 wie Du mir so ich Dir - Schwarz stellte fest dass er einen Turm weniger hat und gab noch ein Racheschach: 20.-Sg3+ und Weiss kapitulierte da er nach zwei weiteren Racheschachs matt wird.

Dann wie versprochen noch zu Jörg Hickl. So stand es im Liechtenstein Open 1989 nach 18 Zügen gegen Erik Janssen (Hickl hatte damals Elo 2500, sein Gegner offenbar keine Elo):

Hickl-Janssen








Die Stellung erinnert eher an die Tarrasch-Variante im Franzosen (1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sd2 c5 4.exd5 exd5 usw.), Schwarz kann mit dem Isolani auf d5 durchaus leben. Weiss zog bisher sechsmal mit der Dame (Dd1-b3xb7-b5-a4-d1-d3) und hat sich also einen Bauern geschnappt. Der war aber nicht gratis denn dadurch hat er u.a. die Rochade vergessen. Nach 19.f3 war alles noch im zumindest graugrünen Bereich, stattdessen geschah 19.b4. "Pawns have to be pushed", hier war es aber verfrüht bzw. nicht die höchste Priorität denn einen (halben) Zug danach gab Weiss auf, was spielte Schwarz hier?

Da ich mich unter anderem auf "upsets" spezialisiere veröffentliche ich tendenziell eher Niederlagen von Grossmeistern. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt dass Jörg Hickl die nächsten drei Partien in dieser (Sub-)Variante gewann. Ich zeige noch die Schlusstellung seiner Partie gegen Dirk Poldauf, gespielt 1992 in der Bundesliga zwischen zwei Teams die es (in der Bundesliga) inzwischen nicht mehr gibt (Porz-Empor Berlin):

Hickl-Poldauf








Springer am Rand bringt Kummer und Schand, das gilt manchmal auch für den horizontalen Brettrand!

Kommentare   

-1 #1 Gerhard 2012-10-29 22:50
Na, das ist nicht so schwer...da steht was ungünstig in einer kleinen Diagonale und dafür lohnt sich schon ne Quali zwischenzuopfern.

Diese Mattbild mit Sg3 und anschl. hg haben sicherlich schon gefühlte 500(0) Schachfreunde auf dem Brett gehabt und dazu in sehr vielen Variationen und auch länglichen Varianten sogar. Überhaupt war alles schon mal da. Nett ist es trotzdem.

Und Hickls Dominationspartie zum Schluß: Auch das hatte man mit Weiß oft und wohl auch in Einzelstücken als Leidtragender.
Ich habe jedenfalls noch keinen noch so starken Spieler gesehen, der nicht auch mal vorgeführt wurde. Das zumindest ist ausgleichende Gerechtigkeit im Schach.
#2 Thomas Richter 2012-10-30 18:01
Hallo Gerhard,

Also, ich hab' dieses Mattbild noch nicht auf dem Brett gehabt - und kann mich auch weder an Partien von Vereinskollegen noch von Grossmeistern konkret erinnern. Aber natürlich war alles schon mal da. Was mich an der Partie faszinierte war die Kombination von Motiven kurz hintereinander: erst die Zusammenarbeit von Springer und Läufer im 18.Zug (beide Figuren könnten einfach geschlagen werden wenn es die jeweils andere nicht gäbe), dann Sg3+, dann ein Abzugsschach mit dem h-Bauern - typischer Abschluss der Kombi wäre eher dass eine Schwerfigur auf die h-Linie zieht.

Wenn Du mal etwas entdeckst was es "noch nie" gegeben hat kannst Du gerne eine Mail schicken an richter@schach-welt.de oder auch an Jörg Hickl (info@schach-welt.de) um selbst einen Beitrag zu schreiben!

Generell sind meine Kombi-Aufgaben so gewählt dass "jeder" eine Chance hat die Lösung zu finden - andererseits sind sie schwer genug dass relativ starke Spieler das am Brett mit tickender Uhr übersehen haben.
#3 Tiger-Oli 2012-10-30 22:22
Hi everybody in the house,
ich spiele schon seit einiger Zeit Schach, und so ein Mattbild hatte ich auch noch nie. Ich fand es wunderschön, wie sich die beiden hier gegenseitig austricksen wollten - und Schwarz am Ende die letzte Pointe aufs Brett zauberte. So soll das sein, im Schach.
Danke für den Beitrag!
#4 Jörg Hickl 2012-10-31 10:31
Natürlich ist es ein Standardmattbild - das Außergewöhnliche ist hierbei jedoch der Einsatz der Schwerfigur. Im Gegensatz zu Gerhard habe ich das bisher noch nicht gesehen - wunderschön.

Vielen Dank, Thomas, dass Du Dir die Mühe machst, solche Kuriositäten zu entdecken und zu publizieren. Ich würde mich freuen, wenn unsere Leser die Autoren verstärkt bei solchen (und natürlich auch anderen) Inhalten unterstützen könnten. Ausschließliches Komsumieren trägt nicht zum Fortbestand solcher Angebote bei.

P. S.: Übrigens kann ich keineswegs die Einschätzung zum vierten weißen Zug teilen. Ich glaube, dass Weiß auch mit exd5 Chancen auf Vorteil besitzt.
#5 Michael Schwerteck 2012-11-05 14:49
Ich habe das Mattbild aus Popov-Vocaturo vor kurzem schon gesehen, und zwar im hochinteressanten Buch "Move first, think later" von Willy Hendriks. Der Autor spricht von "the most beautiful move of my career", wobei der Zug leider gar nicht aufs Brett kam, weil der Gegner einen Zug vorher abwich. Es geht um die Partie Hendriks-Spanton, Hastings 2006:
1. e4 e5 2. Bc4 Nf6 3. d3 c6 4. Nf3 d5 5. Bb3 Bb4+ 6. Bd2 Bxd2+ 7. Qxd2 dxe4 8.Nxe5 O-O 9. dxe4 Qe7 10. Qf4 Nh5 11. Bxf7+ und hier sollte auf 11...Kh8 (in der Partie kam 11...Txf7) das herrliche 12.Dg3!! folgen, mit der Idee 12...Sxg3 13.Sg6+! nebst Matt.

Noch kurz zum P.S. von Jörg Hickl: In der Einleitung stand doch "die Frage- und Ausrufezeichen sind nicht immer ernst gemeint".

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