Jens-Erik Rudolph

Jens-Erik Rudolph

Kürzlich bin ich über ein altes Büchlein mit Schachgedichten gestolpert: „Der Schach-Struwwelpeter“ von Ludwig von Bilow (11.4.1834-6.8.1903).
Hierin werden verschiedene typische Vertreter der Schachspielerzunft in Reimform aufs Korn genommen, z.B. der Theorieverächter, der Zugzurücknehmer oder der Freßfreudige. Zum heutigen Geburtstag des Autoren präsentiere ich hier als Kostprobe das Gedicht „Der Comibinationshuber“, in welchem ein auch heute noch weit verbreiteter Spielertypus behandelt wird (die im Gedicht vorkommende Zugfolge kann unten nachgespielt werden).

Update: Hier eiine augenfreundlichere Druckvariante als PDF-Datei.

 

Der Combinationshuber


Der Schächer Paul war sonder Frage

Ein Schächer von besondrem Schlage;

Er haßte sehr das Simpelmeiern,

Figurentausch und Bauerleiern,

Spann kühne Kombinationen,

That nicht Pions noch Stücke schonen --

Ja, ja, die Opfer müssen sein,

So spielt man geistreich, spielt man fein.

Es kam nur garzu häufig vor,

Wenn Paulchen einen schönen Zug sah,

Daß er dabei nicht weit genug sah,

Und daß er die Partie verlor;

Ach Paul! verwende ökonomisch

Dein Truppenvolk; Kunsttiftelei'n,

Darin doch sind sie einmal komisch,

Sie wollen durchgerechnet sein.

Du spielst den Angriff ja wohl kräftig,

Ziehst, combinirend auch geschäftig,

Des Feindes Abwehr in Betracht,

Erwägst doch nur Vertheid'gungszüge,

Giebst gar so selten zur Genüge

Auf seine Gegendrohung Acht.

Der Ruf, den Paul am Brett erzielte,

War, daß er manchmal genial

Und daß er sicher allemal

Gewaltig unsolide spielte.

Ihr Alle, denen im Gemüth

Caissa's heilig Feuer glüht

Mit allzu raschen Muthes Flamme,

Blickt her nach diesem Diagramme

Und merket, wie's dem Paul erging,

Da, nach des Feindes Dame trachtend

Und nicht sein Gegendroh'n beachtend,

In eig'nen Schlingen er sich fing.

{fen}r3kr2/1p1nb1p1/p1p2p2/2qbn3/1N6/1PP1R1PB/P1NB1R2/2K2Q2 b q - 0 1{end-fen}

Die schwarzen Steine führte Paul,

Er mußte denn wohl einfach jetzt rochiren;

Im Spiel des Gegners roch schon etwas faul,

Er that ein Bäuerlein verlieren,

Hat in der Stellung kaum Ersatz,

Sein ganzer Angriff für die Katz',

Paul's Bauerplus muß schließlich sich rentiren.

Doch nicht so simpel spielt der Paul,

Er steigt auf seinen Musengaul,

Es gilt ein wenig nun zu combiniren!
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Wie wär's denn, wenn der Thurm auf h

Und dann g4 den Springer da

Wir brächten? Schnettrendeng! Victoria!

Das Plänchen scheint doch wahrlich gut,

Denn, wenn der Feind nichts merken thut,

Giebt's mindestens ein Qualitätchen,

Wenn's glückt, am Ende gar das Mädchen!

Und sollt' er doch denn Lunte riechen --

Sein Thurm von f nach e mag kriechen,

Zu fesseln mir das Roß -- je nun,

Da wird rochirt, er kann mir ja nichts thun,

Vielleicht auch tauscht er ab auf d --

Nahm dann die Dame, greift sein Bauer an,

Daß auf h1 sie nicht mehr stützen kann,

Vom dort'gen Droh'n muß freilich lassen --

Darin ich Schlimmes auch nicht seh',

Denn gute Felder bleiben ihr in Massen,

Und mir kann jeder Tausch nur passen,

Der ich 'nen Bauer besser steh'.

So wär' dies Alles reiflich denn erwogen,

Und also wird der Thurm gezogen,   (1...Th8)

Paul harrt gespannt des Gegenzugs.

 

Der Weißen Führer, so ein feiner Fuchs,

Der mit Problemen sich befaßte

Und selbst die trocknen Spiele haßte --

Ein leises Schmunzeln zuckt um seinen Mund:

Die Opfer, sagt man, seien ungesund,

Dich, alter Kunde, hör' ich laufen,

Die Tante sollst du theuer kaufen!

Und sorgsam alles zieht er in Betracht:

Es scheint, daß sich die Sache macht,

Und wirklich hübsch ist's, wenn man's recht bedenkt,

Sein Laufer ab-, der meine angelenkt,

Die noch den Weg mir wehren dort,

Sein Thurm, sein Springer, beide fort --

Sein Plan ist gut, mir mind'stens soll er frommen,

Hüpf' auf d4, mein Roß! nun laß ihn kommen.  (2. Sd4)

 

Paul stutzt ein wenig: schau doch, schau!

Trägst auch Gelüst du nach der Frau?

Der Angriff allzuviel wohl nicht bezweckt,

Denn wenn sein Springer steht auf e,

Ich mit der angegriff'nen geh'

Nach a, wo Alles sie auf's Schönste deckt.

Paul! Paul! du rechnest wieder nur drei Züge,

Das Andre, denkst du, finde dann sich weiter --

Ich fürchte! fürchte, daß es nicht genüge.

Er aber, sorgenlos und heiter,

Heißt nun den Springer auf g4 sich wagen,  (2...Sg4)

Und sieh' -- der Läufer hat geschlagen.  (3.Lxg4)

 

Wie jetzt der Paul sich, der entmenschte freut!

Er denkt bei sich: o blindes Huhn;

Und laut dann, wie er's pflegt zu thun --

Denn wenn's ihm gut ging, that er sich gewöhnen,

Den Feind ein wenig zu verhöhnen:

„Wo bist du, Saladin? wie spielst du heut?

So müde deiner Königin?

Des Thurmes Angriff rafft sie hin.“   (3...Th1)

„„O weh! da wird mir wirklich bange,

Doch, weißt du? Lessing zu citiren,

Bei'm Schach nicht würd' ich es riskiren,

Da eignet sich doch mehr Max Lange““ --

Und los nun wettert's, Schlag auf Schlag,

Bei'm Thurm die Dame elend lag --   (4.Dxh1 Lxh1)

e6 das Rössel! fliehen mag   (5.Se6 Da5!)

Nach a die schwarze Tante.

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Schach mit dem Laufer! Schach auf h!   (6.Lh5+)

„O weh mir, weh! ich übersah

Das droh'nde Mat -- gottlob! auf a

Noch steht und hilft die Tante.“  (6...Dxh5)

 

Ja wohl, sie hilft; ach, Paulchen, ach!

Nun kommt der große, große Krach,

Nun nimmt das Roß auf g mit Schach --   (7.Sxg7+ K ~)

Ade, du traute Tante!  (8.Sxh5)

 

Paul saß bestürzt in bittren Schmerzen,

Wie rasch verraucht sein Siegesrausch!

Der Andre nahm und sprach: „„Mir geht zu Herzen

Doch allemal ein Damentausch;

Des Spiels Interesse wird gemindert,

Da liegen beide sie im Grabe!

Nun, meinen Gram es doch erheblich lindert,

Daß ich den Rochen intus habe.

Das ist denn so des Combinirens Lauf;

Was meinst du? stellen wir neu auf?

Dies Spiel, wenn ich es recht erkannte,

War Meine Tante, Deine Tante.““

Montag, 21 März 2011 10:31

Schachlicher Frühjahrsgruß

Ein schachlicher Frühlingsgruß aus dem Garten! Bei der Schachbrettblume (auch Schachblume genannt) kann man die Namensgebung einer Pflanze ausnahmsweise einmal sehr gut nachvollziehen.


Das abgebildete Exemplar ist offenbar hart im Nehmen, denn die Blütezeit der Schachbrettblume ist normalerweise erst im April/Mai. Schachfreunde mit grünem Daumen haben also noch die Möglichkeit, dass eigene Beet (bzw. den Balkon oder die Fensterbank) rechtzeitig zu bestücken. Im Gartencenter wird man derzeit sicherlich fündig werden. Mein Exemplar habe ich seinerzeit übrigens beim Lebensmitteldiscounter für 1 Euro erstanden. An der mehrjährigen Staude hat man dann auch länger Freude, richtige Pflege und Standort vorausgesetzt. Die Blume hat ein sonniges Gemüt und verträgt nur wenig Schatten. Außerdem mag sie feuchte Böden.


Die Auftreten der Schachbrettblume in Deutschland ist stark rückläufig. Im Gegensatz zu den menschlichen Schachfreunden steht die Pflanze sogar schon auf einer Artenschutzliste (Rote Liste Kategorie 2). 1993 wurde sie zur Blume des Jahres gekürt.


Für die fehlenden Figuren zu einer gepflegten Gartenschachpartie kann man sich ebenfalls in der Flora bedienen. Allerdings ist hierfür ein höherer Aufwand und ein wenig künstlerische Begabung beim Buchsbaum-Formschnitt nötig:

 

Update (26.04.2011)

Am diesjährigen Ostermontag wurde das „Schachblumenfest 2011“ in Hetlingen gefeiert. Der Ort in der Haseldorfer Marsch (direkt am Elbdeich gelegen) war ein schönes Ziel für eine Fahrradtour in der Frühlingssonne. Ca. 50.000 der seltenen Schach(brett)blumen waren dort auf den Wiesen zu bewundern. Hier ein paar Impressionen (mehr Bilder und viele weitere Informationen gibt es auf der offiziellen Webseite zum Fest):

 

 

Sonntag, 06 März 2011 13:14

Interview mit Dr. Tarrasch

Anlässlich des Geburtstages von Dr. Siegbert Tarrasch ist es dem Schachwelt-Blog gestern erstmals gelungen, eine himmlische Sondergenehmigung für ein Interview mit einem verstorbenen Schachmeister zu erhalten. Die  Verbindung mit dem Jenseits war leider nicht immer störungsfrei, wofür wir um Entschuldigung bitten (die verrauschten Sequenzen wurden durch [...] kenntlich gemacht). Der von uns beauftragte Himmelsfotograf hat seine Aufnahmen leider nicht fristgerecht in der Redaktion abgeliefert, so dass die geplante Illustration mit aktuellen Aufnahmen leider entfallen muss.


Wichtiges Update(!): Kurz vor Veröffentlichung des Interviews erhielten wir einen Hinweis, dass wir einem Plagiat aufgesessen sind. Das Projekt TarraPlag Wiki hat uns dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht. Wir veröffentlichen den Beitrag - aus Mangel an geeigneten Alternativen - trotzdem wie geplant, haben aber die bereits eindeutig nachgewiesenen Originalquellen  nachgetragen.


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Herzlichen Glückwunsch zu ihrem Geburtstag Herr Doktor Tarrasch!
„Wofür ich ihnen an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank ausspreche.“ [1]

Wie ist es Ihnen im Schachhimmel ergangen?
„Ich brauche nicht erst zu versichern, daß an Schachspielen in diesem weltabgeschiedenen Neste gar nicht zu denken war.“  [2]


Womit haben Sie dann die letzten Jahre verbracht?
„Wohl machte ich einige Versuche, hinter die Geheimnisse der Anatomie zu kommen, schnitzelte auch mehrmals im Seziersaal an einigen Leichen herum.“ [3]


Haben Sie die Schachgöttin Caissa oder andere göttliche Erscheinungen kennen gelernt?
„Man gelangt vom Eingang aus zunächst in eine hohe, prachtvolle Rotunde, die - offenbar mit feiner Beziehung auf die Herkunft des Schachspiels - im indischen Stil ausgestattet ist. Dies war der durchaus passende, ernste und strenge Tempel Caissas. Daneben, von ihm nur durch einen Vorhang abgeschlossen, befand sich das Allerheiligste, ein herrlicher Saal im pompejanischen Stil, in welchem die Göttin Fortuna mit rollender Kugel und fallender Karte waltete, das Reich der Roulette und des Baccarat.“ [4]


Auch in unseren Niederungen haben sich zuletzt viele Schachspieler an einem Kartenspiel (Poker) versucht. Was halten Sie von dieser Entwicklung?
„Welche Hebung des allgemeinen Kultur-Niveaus, ja der Moral, wenn das Schachbrett den Kartentisch verdrängen würde! Wahrlich, ein Ziel, des Schweißes der Edlen wert!“ [5]


Das Schachspiel wurde kürzlich sogar mit dem Boxsport kombiniert. Wäre es für Sie reizvoll, sich einmal im sogenannten Schachboxen zu probieren?
„Ich richte an die Schachwelt [...] hierdurch die Bitte, mir diese Gelegenheit zu verschaffen, besonders auch mit Rücksicht darauf, daß, wie es sich gezeigt hat, für die Verbreitung und Wertschätzung unseres edlen Spieles durch einen solchen Wettkampf mehr geleistet wird, als durch zehn Turniere.“ [6]


Können Sie an Ihrem jetzigen Wohnort das aktuelle Geschehen in der heutigen Schachszene verfolgen?
„Natürlich werden alle wichtigen Ereignisse in der Schachwelt besprochen.“ [7]


Wer ist Ihrer Meinung nach der aktuell stärkste Schachspieler?
Es gibt keine guten oder schlechten Spieler. Es gibt nur gute oder schlechte Züge.

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Was halten Sie z.B. von dem Amerikaner Hikaru Nakamura? Er hat gerade mit 9 Punkten aus 13 Partien das Turnier in Wijk gewonnen.

Der beste Spieler in einem Turnier gewinnt es nie. Er landet auf Platz zwei oder drei.


Denken Sie, dass Sie in einem Wettkampf gegen Nakamura bestehen könnten?
„An der Schachwelt ist es, diesen Wettkampf, wenn Sie Interesse daran hat, zustande zu bringen; die Schachwelt bzw. ihre berufenen Vertreter in Deutschland und Amerika, der Deutsche Schachbund und die amerikanischen Klubs, mögen billige Bedingungen festsetzen, sie mögen uns zusammenbringen und, wenn nötig, sogar zwingen, gegeneinander in die Schranken zu treten. Sie haben gesehen, was wir können; wenn Sie wollen, so haben Sie einen Wettkampf ...“ [8]


Die deutschen Schachverbände leiden unter einem Mitgliederrückgang, Sponsoren ziehen sich vom königlichen Spiel zurück und auch die Medienpräsenz ist ausbaufähig. Was raten Sie in dieser Situation den Entscheidungsträgern?
„Ich möchte mir hier nur die Bemerkung gestatten, [...] meiner Ansicht nach noch weniger Gewicht darauf zu legen [...], diejenigen, die das Schach bereits kennen, durch Reihenspiele und Turniere zu unterhalten, als vielmehr darauf, die Vielen, denen das Schachspiel fremd ist, darin zu unterrichten, sie in seine Geheimnisse einzuführen und ihnen dadurch ein ktema es aei, ein Besitztum für immer zu vermitteln. [...] Hier müssen die Schachorganisationen mit ihrem ganzen Einfluß und ihrer Autorität einsetzen. Der Deutsche Schachbund, diese machtvolle, auf über ein [..] Jahrhundert zurückblickende Organisation sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das bisherige, höchst dankenswerte Werk der Einzelpersonen zu übernehmen und es zu gigantischen Dimensionen anschwellen zu lassen.“ [5]

In dieser Woche wurde auf dem Schachwelt-Blog eine Diskussion zur derzeitigen Situation der Schachbundesliga geführt. Wie würden Sie versuchen, die Attraktivität dieser Veranstaltung zu erhöhen?
„Ich bin ein Anhänger des Fünfkindersystems“. [9]

Heutzutage hört man häufiger die Ansicht, die alten Meister - also auch Sie - wären heutzutage nicht einmal mehr bundesligatauglich. Was entgegnen Sie einem Vertreter dieser Ansicht?
„So ein ... (die Einfügung des Hauptwortes muß ich, um hübsch parlamentarisch zu bleiben, den geehrten Lesern überlassen, an deren zoologische Kenntnisse ich appelliere.)“  [10]


Auch heute werden ihre Lehrsätze noch gerne zitiert und angewendet. Sehr bekannt ist z.B. „Die Türme gehören hinter die Freibauern, hinter die eigenen wie hinter die feindlichen.“ Freut Sie diese anhaltende Popularität Ihres Werkes?
Bei der Befolgung dieser Richtlinien, die einer Erfahrung von mehr als einem halben Jahrhundert entstammen, muß man sich nur immer den trivialen Satz gegenwärtig halten, daß keine Regel ohne Ausnahme ist. Ich habe in dieser Hinsicht schlimme Erfahrungen gemacht.  [...] Nach einiger Zeit erhielt ich einen ziemlich groben Brief eines Amateurs, der mir die bittersten Vorwürfe machte. Er habe meine Regel genau befolgt und den Turm hinter den Freibauern gezogen. Aber à tempo sei ihm der Turm von einem Springer mit Schach geschlagen worden. [...] Also ich antwortete dem Unglücklichen mehr oder weniger prompt, er solle das Schach an den Nagel hängen und lieber Jo-Jo spielen.“ [11]

 

Welche Pläne haben Sie für Ihre nähere Zukunft?
„Einen Fotographen strangulieren.“  [12]


Haben Sie noch eine abschließende Botschaft an die Leser unseres Blogs?
„Jeder leidlich begabte Spieler, er braucht keineswegs hervorragend veranlagt zu sein, kann es zum Meister bringen. Aber das ist ja auch gar nicht nötig! Der richtige Standpunkt ist es, zu seinem Vergnügen zu spielen, und man glaube ja nicht, dass der Genuss proportional dem Können sei.“ [13]


Welchen schachlichen Tipp aus Ihrem reichen Erfahrungsschatz möchten Sie den zukünftigen Meistern geben?
„Ziehen Sie niemals einen Bauern, dann werden Sie niemals eine Partie verlieren!“ [14]


Vielen Dank für dieses Gespräch Herr Dr. Tarrasch! Bitte grüßen Sie Dr. Lasker recht herzlich von uns, falls Sie ihn sehen.
„Dr. Lasker habe ich nur drei Worte zu sagen: Schach und matt.“


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[1] S. Tarrasch: „Das Champion-Turnier zu Ostende im Jahre 1907“, 1907,  S. 9.
[2] S. Tarrasch: „Dreihundert Schachpartien“, 1925, S. 92
[3] S. Tarrasch: „Dreihundert Schachpartien“, 1925, S. 21
[4]  S. Tarrasch: „Das Champion-Turnier zu Ostende im Jahre 1907“, 1907,  S. 12.
[5] S. Tarrasch: „Tarrasch's Schachzeitung“, Dez. 1932, S. 66
[6] S. Tarrasch: „Der Schachwettkampf Lasker-Tarrasch um die Weltmeisterschaft im August-September 1908“, 1908, S. 113
[7] S. Tarrasch: „Tarrasch's Schachzeitung“, Okt. 1932, S. 2
[8] S. Tarrasch: „Der Schachwettkampf Lasker-Tarrasch um die Weltmeisterschaft im August-September 1908“, 1908, S. 5
[9] S. Tarrasch: „Dreihundert Schachpartien“, 1925, S. 247
[10]  S. Tarrasch: „Der Schachwettkampf Lasker-Tarrasch um die Weltmeisterschaft im August-September 1908“, 1908, S. 112
[11] S. Tarrasch: „Tarrasch's Schachzeitung“, Jan. 1933, S. 114-115
[12] S. Tarrasch: Übersetzung einer Antwort in einem Fragebogen der „Chess Review“, 1935
[13] S. Tarrasch: „Das Schachspiel“, 1931, S. 4
[14] S. Tarrasch: „Das Schachspiel“, 1931, S. 315
Donnerstag, 17 Februar 2011 18:29

Neapler Partie

Als Siegbert Tarrasch seine Gedanken zum Thema Schach und Liebe niederschrieb, dachte er möglicherweise an seine Italienreise im Jahre 1914 zurück. Damals unternahm er auf den Spuren von Johann Wolfgang v. Goethe eine Bildungsreise in den Süden, fand aber daneben auch noch Gelegenheit zu einigen Schachpartien. In Neapel gelang ihm dabei in einer Beratungspartie gegen vier Spieler (Prof. D. Marotti, E. Napoli, de Simone, del Giudice) eine wunderschöne Kombination, die ihn bestimmt sehr glücklich gemacht haben dürfte. Er gab der Partie den Namen „Neapler Partie“. Dr. Dyckhoff bezeichnete die Kombination in seinem Nachruf auf Tarrasch sogar als  „die schönste Schlußwendung, die wohl jemals in einer praktischen Partie ersonnen wurde“.  In Tim Krabbés Liste „The 110 most fantastic moves ever played“ hat die Partie aber leider keinen Eingang gefunden. Nun ja, Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters. Die „Most Amazing Move of All Time“-Liste des British Chess Magazine von 1998 konnte ich leider im Zwischennetz nicht finden (hat jemand einen Link?), möglicherweise taucht die Kombination ja dort auf.


Nun wollen wir aber einen Blick auf Tarraschs Geniestreich werfen, damit sich jeder ein eigenes Urteil bilden kann. Wer sich zunächst selbst an der Lösung versuchen möchte, sollte seinen Blick oberhalb der Diagramm-Unterkante belassen. Unterhalb findet sich nämlich die Auflösung (Originalkommentar von Tarrasch).

Weiß (Tarrasch) zieht und setzt spätestens in fünf Zügen matt.

{fen}2r3r1/3q3p/p6b/Pkp1B3/1p1p1P2/1P1P1Q2/2R3PP/2R3K1 w - - 0 1{end-fen}

Tarrasch: „Lösung des Problems: 1.Le5-c7!!. Auf 1...Txc7 folgt 2.Db7+ Txb7 3.Txc5# (die Bombe ist auf c5 geplatzt); schlägt die Dame den Läufer [1...Dxc7], so folgt 2.Txc5+ Dxc5 3.Dxb7+ nebst 4.Ta1#. Das Merkwürdige des Problems liegt darin, daß es eines der jetzt so modernen „Schnittpunktprobleme“ darstellt und zwar das erste, das in einer praktischen Partie vorgekommen ist. In der Stellung des Diagramms deckt der schwarze Turm den Punkt c5, die schwarze Dame den Punkt b7. Die Linien dieser beiden Figuren schneiden sich im Punkte c7. Der dorthin ziehende Läufer unterbricht nun die Linien beider Figuren; schlägt ihn der Turm, so ist die Richtung der Dame auf b7 unterbrochen, der Turm wird durch Db7+ abgelenkt und auf dem dann nicht mehr gedeckten Punkt c5 mattgesetzt. Umgekehrt ist, wenn die Dame schlägt, die Richtung des Turmes nach c5 unterbrochen, die Dame wird durch Turmopfer auf c5 abgelenkt und das Matt erfolgt auf b7 (genauer erst auf a1, was unwesentlich ist). Die Schwarzen gaben nach dem Läuferzug die Partie auf.“

Anmerkung 1: Die geforderten max. fünf Züge ergeben sich durch die Einschaltung des Racheschachs Txg2+ (Dxg2).


Anmerkung 2: Bei dem hier vorliegende Schnittpunktthema handelt sich um einen sogenannten „Plachutta“.


Der Kommentar und das obige Zitat Dyckhoffs sind übrigens der letzten Ausgabe von „Tarrasch's Schachzeitung“ entnommen. Von Oktober 1932 bis März 1934 erschien diese Zeitschrift mit zwei Heften pro Monat. Die Februar-Ausgaben hatte Tarrasch noch persönlich fertigstellen können, bevor er plötzlich erkrankte und am 17. Februar 1934, also heute vor 77 Jahren, an einer Lungenentzündung verstarb.

Montag, 14 Februar 2011 01:13

Schach und Liebe

„Ich habe ein leises Gefühl des Bedauerns für jeden, der das Schachspiel nicht kennt, ungefähr so, wie ich jeden bedauere, der die Liebe nicht kennengelernt hat. Das Schach hat wie die Liebe ... die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen.“

Dr. Siegbert Tarrasch

Sonntag, 30 Januar 2011 12:50

Samuel Loyd - 170 Jahre

Am 30. Januar 1841 wurde Samuel Loyd geboren, ein berühmter und höchst produktiver amerikanischer Komponist von Schach- und anderen Denksportaufgaben.  Im April 2011 jährt sich übrigens auch sein hundertster Todestag. Zahlreiche Schachprobleme von Sam Loyd findet man z.B. auf dem Chess Problem Database Server. Noch mehr Schachprobleme von Loyd finden sich hier. Weitere Informationen gibt es z.B. auf der Webseite der Sam Loyd Company.

Zur Feier von Loyd's 170. Geburtstag präsentieren wir heute eine Aufgabe aus seinem frühen Schaffen (1856). In der Stellung des Artikelbildes setzt Weiß in drei Zügen matt. Wer die Lösung bereits kannte bzw. die Engine seines Vertrauens zu Rate gezogen hat, möge sich bitte mit Kommentaren zurückhalten. Ansonsten sind Lösungsvorschläge natürlich herzlich willkommen. Die Auflösung erfolgt im Laufe der nächsten Woche ebenfalls als Kommentar.

Dienstag, 18 Januar 2011 10:03

Fundsachen (1) - Die Löser

In dieser Rubrik werde ich zukünftig in loser Folge Artikel, Partien, Problemaufgaben oder sonstige Beiträge präsentieren, welche mir bei meinen Streifzügen durch ältere Schachpublikationen begegnen. Den Anfang macht heute ein Schachgedicht, welches dem 1912 erschienen Buch „Lachschach“ von Paul Schellenberg (Verlag von Veit & Comp., Leipzig) entnommen ist. Ursprünglich wurde es bereits im „Dresdner Schachkalender 1901“ veröffentlicht.

 

Die Löser

(nach einer Idee von Dr. Eugen Sachs)

 

Erfreuen tut es jedermann.

Wenn ein Problem er lösen kann;

Doch ist die Sache schwerer oft

Als man's gedacht und man's gehofft.

Der eine spricht gar forsch und stramm:

„Ich löse gleich vom Diagramm“.

Doch denkt ihr wohl, er kann's? Ja Kuchen,

Die Lösung tut er heut noch suchen.

 

Ein andrer nimmt das Brett zur Hand

Und ordnet der Figuren Stand;

Dann fängt er auch zu denken an,

Wiewohl ihm das nichts helfen kann,

Dann schiebt er klüglich Stein für Stein

Und meint: „So findet man's allein,

So kommt man nur ins reine und ins klare“ -

Doch denkt ihr wohl, er fänd' es - i bewahre.

 

Nun kommt der Dritte angerennt,

Ist einer, der den Rummel kennt,

Er setzt sich nicht, er macht's im Stehn,

Da kann er's besser übersehn.

Bei ihm geht alles in der Hast,

Schnell hat er die Idee erfaßt.

„Ich hab's“, so ruft er unwillkürlich:

Er hat's gelöst - doch falsch natürlich.

 

Da ist der Vierte doch ein andrer Mann,

Bedächtig faßt er alle Dinge an.

Er kombiniert hin und her,

Probieret alles kreuz und quer

Und find't er's dann noch immer nicht,

So ist beruhigt er und spricht

Mit einer Miene klug und wichtig:

„Hier steht etwas nicht richtig“.

 

Der Fünfte aber wirft sich in die Brust

Und spricht: „Das Opfern ist des Schächers Lust,

Das müßt' ein schlechter Problemiste sein,

Dem niemals fiel das Opfern ein“.

Und staunend sieht's der ganze Troß:

Er opfert Dame erst, dann Turm und Roß,

Bald ist kein Stein fast noch zu sehen -

Den Stein vom Anstoß aber läßt er stehen.

 

Der Sechste endlich pfiffig lacht

Und spricht: „Ich habe mirsch ja gleich gedacht,

Ihr Schöpfe seit doch gar zu dumm,

Was murkst denn ihr da lange 'rum?

Ich will's Euch zeigen wie mersch macht,

Mich hat noch keene Leesung umgebracht,

Was wer' ich mich da groß erscht blagen:

Ich laß se eefach mir gleich sagen!“

 

 

Freitag, 07 Januar 2011 08:00

Wie du mir, so ich dir!

Ist die Schach-Ausgangsstellung remis? Kann bei perfektem Spiel keine Seite gewinnen? Oder ist Weiß bereits vor dem ersten Zuge entscheidend im Vorteil? Schließlich werden in der Praxis mehr Weiß- als Schwarz-Siege verbucht. Theoretisch wäre es aber sogar denkbar, dass Schwarz in der Ausgangsstellung die Nase vorn hat. Sicher ist nur, dass es für den Nachziehenden keine perfekte Spielweise darstellt, einfach nur die Züge des Gegners zu kopieren, um so die Symmetrie zu erhalten. Diese bei Schachanfängern häufig zu beobachtende „Strategie“ endet meist sehr schnell in einer Katastrophe. Kürzlich bin ich beispielsweise über eine kuriose Partie von José Raúl Capablanca aus dem Jahre 1918 gestolpert, in welcher der Kopist vom späteren Weltmeister wie folgt bestraft wurde:

Im Zusammenhang mit diesem Symmetrie-Thema kann man sich nun folgende Knobelaufgabe stellen: Wie viele Züge benötigt Weiß, um Schwarz auf kürzeste Weise matt zu setzen, vorausgesetzt der Nachziehende muss alle vorherigen weißen Züge kopieren? Einer meiner ersten Lösungsversuche hierzu orientierte sich ein wenig an obiger Capablanca-Partie:

Es geht jedoch noch wesentlich schneller! Allerdings erinnern die sich ergebenden Zugfolgen kaum noch an eine reguläre Schachpartie. Die Lösung(en) soll(en) heute aber noch nicht verraten werden, lediglich einen kleinen Hinweis möchte ich an dieser Stelle geben: Der Schäfermatt-Ansatz funktioniert nicht, da der schwarze Monarch nach d8 ausweichen kann!

Lösungsvorschläge können gerne als Kommentar hinterlassen werden. Die endgültige Auflösung erfolgt dann in der nächsten Woche.

P.S. Zusatzaufgabe: Welches ist das schnellste Symmetrie-Matt, welches nicht(!) von der Dame gegeben wird.

Freitag, 24 Dezember 2010 10:04

Happy Birthday & Merry Christmas

Am heutigen Heiligabend wird im Schachwelt-Blog Geburtstag gefeiert. Allerdings nicht der Ehrentag von Jesus von Nazaret, wie mancher nun vielleicht erwartet haben mag. Dessen offizieller Geburtstermin ist schließlich erst am 25. Dezember (eventuell mag ja einer meiner Kollegen mal in der Qumran-Base nach einschlägigen Partien für einen eventuellen morgigen Artikel recherchieren). Stattdessen soll hier dem Wiegenfest zweier großer Schachhelden der Vergangenheit gedacht werden, welche in ihrer Karriere mehrmals die Klingen miteinander gekreuzt haben: Ex-Weltmeister Emanuel Lasker und Richard Teichmann. Beide  wurden am 24. Dezember 1868 geboren!

Teichmann verteilte stets sehr freigiebig „Geschenke“ an Lasker. Aus der Sicht Laskers lautet die Gesamtbilanz ihrer Begegnungen: +5, =1, -0 (zumindest in den mir zugänglichen Datenbanken). Vermutlich kam es Lasker daher beim hochkarätig besetzten internationalen Schachkongresses St. Petersburg 1909 sehr entgegen, dass er in der Schlussrunde gegen Teichmann spielen durfte. Zu diesem Zeitpunkt lag nämlich Akiba Rubinstein, der neue Stern am Schachimmel und potenzieller Herausforderer des damaligen Weltmeisters Lasker, mit 14 Punkten in Führung. Für Lasker (13,5 Punkte) war die Ausgangslage daher klar. Er musste gegen Teichmann einen Sieg einfahren, wollte er Rubinstein noch einholen. Teichmann (10 Punkte) hätte seinerseits mit einem Sieg noch den geteilten dritten Platz erreichen können.

Zur Feier des Tages hier nun die Partie zum Durchklicken mit dem Originalkommentar Laskers:


Lasker konnte damit tatsächlich den geteilten Turniersieg erreichen, da Rubinstein in der letzten Runde (mit Schwarz gegen Tartakower) nur ein Remis erreicht hatte.

Das Schachwelt-Team wünscht allen Lesern und Leserinnen ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest!

Samstag, 18 Dezember 2010 09:24

Kann Alexei Shirov Gedanken lesen?

Ich möchte hier mal eine Frage einwerfen, die mich schon seit geraumer Zeit beschäftigt. Es ist nun nicht so, dass ich deswegen schlaflose Nächte hätte, aber ich finde einfach keine brauchbare Erklärung. Da mir Jörg Hickl hier unvorsichtigerweise ein Forum für meine Verschwörungstheorien eingeräumt hat, werde ich nun die Schachwelt-Leser damit belästigen.

Es war im Jahre 2005. Der Hamburger Schachklub feierte sein 175jähriges Vereinsjubiläum mit der Ausrichtung des Hamburger Schachfestivals. Zum Rahmenprogramm gehörte u.a. eine Simultanveranstaltung mit Alexei Shirow. Ich hatte das Glück, einen der begehrten  (ca. 30) Teilnehmerplätze zu ergattern. Noch niemals zuvor hatte ich bei einer Simultanveranstaltung gegen einen Großmeister spielen dürfen. Auch bei meinen bisherigen Open-Teilnahmen hatten sich die Herren GM vor einem direkten Aufeinandertreffen mit mir gedrückt. Stets verkrümelten  sie sich auf der gegenüberliegenden Seite des Spielsaals. Aber jetzt war meine große Stunde gekommen! Entsprechend hochmotiviert bereitete ich mich auf die Partie vor. Da Shirow zu dieser Zeit ausschließlich 1.e4 spielte, war dies eine überschaubare Aufgabe, zumal ich damals mit Schwarz Skandinavisch spielte und man Shirows Partien gegen 1...d5 an einem Finger abzählen konnte. Aber immerhin wurde dieser Partie in dem Standardwerk von Matthias Wahls sogar ein eigenes Kapitel gewidmet. Schließlich fand ich mit Hilfe meines digitalen Beraters eine geniale Neuerung, die das Brett nicht bloß in Flammen gesetzt hätte, sondern eine wahre Feuerwalze gegen den weißen Monarchen losgetreten hätte. Mit meinem Flammwerfer bewaffnet, setzte ich mich also an das Brett. Der Großmeister begann seinen Kreis zu ziehen und schlug wie erwartet stets mit dem Königsbauern auf. Schließlich stand er am Nebenbrett: 1.e4. Dann kam er zu mir, wir begrüßten uns per Handschlag, Shirow zögerte kurz und zog 1.d2-d4!! Ich dachte, ich habe mich verguckt. Aber da half kein Augenreiben oder Armkneifen. Der weiße Königsbauer stand immer noch brav vor seinem Boss. Inzwischen hatte Shirow die erste Runde beendet und an den restlichen Brettern wieder ausschließlich 1.e4 gezogen. Zu meiner Linken stand sogar wie zum Hohn ein Skandinavier auf dem Brett. Ich fragte mich natürlich nun, was hier gerade vor sich gegangen war? Wusste Shirow von meinem Vorhaben? Hatte er einen Spion in meinem Vorbereitungsteam? Wohl eher nicht, das hätte dann ja ich selbst sein müssen (setzt natürlich voraus, das ich keine gespaltene Persönlickeit besitze). Oder konnte Shirow meine Gedanken lesen? Warum schaffte er das dann aber nur bei mir und z.B. nicht bei Kramnik? Oder war es nur ein Fingerfehler? So eine Verwechslung könnte  schließlich auch dem besten Großmeister einmal passieren. Ich hatte tatsächlich kurz überlegt, ob ich in seiner Abwesenheit den „Irrtum“ korrigieren sollte. Da ich mich aber nicht getraut habe, wird dieses Geheimnis wohl nie gelüftet werden und somit  seinen Platz neben den anderen großen Rätseln der Menschheitsgeschichte (Wer ermordete J.F.K.? Gibt es außerirdisches Leben? Warum stehe ich im Supermarkt immer an der langsamsten Kasse?) einnehmen.

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Alexei Shirov                                                                         Foto: Frank Jarchov

Unsere Partie wurde übrigens eine einzige Farce und lohnt nicht der Wiedergabe (ansonsten wird mein Sendeplatz hier womöglich doch wieder gestrichen oder weit nach Mitternacht verlegt). Deshalb beschließe ich den Beitrag mit einer anderen Simultanpartie. Sie soll ebenfalls in Hamburg gespielt worden sein. Quizfrage: Wie hieß der damalige Simultanspieler? Kleiner Tipp: Die Partie stammt aus dem Jahre 1911. Vorschläge bitte als Kommentar.

Sonntag, 12 Dezember 2010 16:07

Schachwelt anno Tobak - London 1851

Beim 2. London Chess Classic Turnier sind inzwischen 4 Runden gespielt. In Führung liegen Weltmeister Vishy Anand und der englische Großmeister Luke McShane mit jeweils 3 Punkten. Wie bereits im Vorjahr ist die Veranstaltung vorbildlich organisiert und  Spieler sowie Zuschauer werden bespielhaft „gepampert“. Die Spiellaune der Akteure ist ebenfalls blendend. In der dritten Runde wurde besonders hart gekämpft. So benötigte z.B. Weltmeister Anand 77 Züge, um Magnus Carlsen zur Aufgabe zu bewegen. In der Begegnung McShane-Kramnik (remis) wurde ein T+L vs. T Endspiel sogar bis zum 139 Zuge geübt. Allerdings reichen die modernen Schachhelden damit noch lange nicht an die Ausdauer der Turnierschachpioniere aus dem Jahre 1851 heran. Beim ersten, ebenfalls in London abgehaltenen, Schachturnier saßen die Spieler oftmals noch wesentlich länger am Brett. Sie produzierten zwar nicht mehr Züge, aber es gab damals noch keine Beschränkungen der Bedenkzeit. Die ersten Schachuhren wurden erst ca. 10 Jahre später eingeführt, so dass es vorkam, dass bei einzelnen Zügen über 2 Stunden (!) nachgedacht wurde. Einige Partien dauerten 12, 16 oder sogar 20 Stunden. Der Turniersieger Adolf Anderssen berichtete über die Zustände in einem Brief wie folgt:


„Der Komfort war nicht sonderlich; Tische und Stühle waren klein und niedrig; die großen Bretter ragten auf beiden Seiten über die Tischkanten hinaus; neben den Spielern wurde alle Räumlichkeit von einem Kopisten in Anspruch genommen; kurz, man hatte kein freies Plätzchen, um das sorgenvolle Haupt während des harten Kampfes zu unterstützen. Für den englischen Schachspieler ist allerdings eine bequemere Einrichtung überflüssig. Kerzengerade sitzt er auf seinem Stuhle, steckt die Daumen in die beiden Westentaschen und sieht, bevor er zieht, eine halbe Stunde regungslos aufs Brett. Hundert Seufzer hat sein Gegner ausgestoßen, wenn er endlich seinen Zug rasch und entschieden ausführt.“


Anderssens Ausführungen kann man entnehmen, dass es damals auch noch weitere Unterschiede zu den heutigen Standards gab. Aber wenigstens mussten die Spieler die Partien nicht eigenhändig mitschreiben, hierfür gab es die Kopisten bzw. Protokollführer. Diese waren um ihren Job aber wahrlich nicht zu beneiden. So konnte man im Turnierbuch in den Aufzeichnungen zur Begegnung Williams-Mucklow beispielsweise folgende Bemerkung finden:

„... beide Herren schlafen bereits.“

Wie lange diese Erholungspause angedauert hat wurde leider nicht übermittelt. Eventuell haben die Spieler die Partie auch in schlafzieherischer Weise beendet, jedenfalls gewann Williams später.

Das Turnierbuch wurde übrigens von Howard Staunton (siehe Artikelbild) herausgegeben. Er war auch der Organisator der Veranstaltung und einer der 16 Teilnehmer. Er galt im Vorfeld sogar als großer Favorit auf den Turniersieg. Eine solche Konstellation ist heutzutage kaum mehr vorstellbar. Es wäre so, als ob Vishy Anand das aktuelle Londoner Turnier als Organisator, Pressechef und Spieler in Personalunion bestreiten würde.


Staunton wurde übrigens in der dritten Runde (das Turnier fand im K.O.-System mit Mini-Matches statt) von Adolf Anderssen besiegt, welcher auch im Finale gegen Marmaduke Wyvill siegreich blieb. Zum Abschluss eine kleine Kombination aus der 4. Partie des Finalmatches:

Weiß: Wyvill  Schwarz: Anderssen

{fen}5rk1/p2p3r/1p2pn2/2pPqpp1/P1P1n3/B1PQP1P1/6KP/3R1RN1 b - - 0 25{end-fen}

25...Txh2+ 26.Kxh2 Dxg3+ 27.Kh1 Kg7. 0-1.

 



Sonntag, 28 November 2010 12:53

Schachwelt anno Tobak (1)

Das waren noch Zeiten! Das eigene Telefon hatte keine ELO-Zahl und die Eröffnungstheorie kam noch ohne Endspieldatenbanken aus. An jene längst vergangenen Tage soll in dieser Rubrik erinnert werden.

Zum Start dieser Serie soll dem wohl abwechslungsreichsten Weltmeisterschaftskampf aller Zeiten gedacht werden. An einem Tag gewann Weiß, am nächsten Schwarz*. Am Ende hatte Weltmeister Emanuel Lasker seinen Herausforder Dawid Janowski mit 8:0 (bei 3 Remisen) deklassiert. Der Wettkampf fand vor genau 100 Jahren in Berlin statt. Obwohl Janowski bereits ein Jahr zuvor von Lasker in einem Privatwettkampf mit 1:7 abgefertigt wurde, bekam er seine WM-Chance. Im Gegensatz zu den heutigen Kandidatenauswahlprozessen wurde der Herausforderer damals nämlich auf eine für jedermann verständlich Art und Weise ermittelt: 5000 Frcs. cash auf den Tisch! Für Janowskis Sponsor Leo Nardus war dieser Betrag offensichtlich keine unüberwindbare Hürde.

Janowski war ein kompromissloser Angriffsspieler, der sich stets ohne Rücksicht auf Verluste auf den gegnerischen König stürzte. Über Laskers Spielstil äußerte er sich herablassend: „Er spielt so dumm, das ich gar nicht auf das Brett sehen mag ...“.  Bis zuletzt glaubte Janowski an seine überlegene Spielstärke. Die eigenen Niederlagen erklärte er stets mit allerlei unglücklichen Umständen. Wie er den Klops der ersten Matchpartie (Weiß: Lasker, Schwarz: Janowski) in sein Weltbild eingefügt hat, ist mir leider nicht bekannt:

s. obige Stellung im Artikelbild nach 19. ... Td8-d6??:

Es folgte 20. Txd5 Txd5 21. Dxd5 Dxb4 22. Txc6 1-0.

In einigen der späteren Begegnungen stand Janowski aber tatsächlich kurz vor dem Partiegewinn. Mit zunehmenden Vorsprung ging Lasker allerdings auch immer größere Risiken ein, in der elften Partie spielte er z.B. das Königsgambit. Insbesondere in der fünften Partie (Weiß: Lasker, Schwarz: Janowski) überlebte Lasker nur sehr knapp:

{fen}2kr1bnr/pp3ppp/2n1b3/q7/3N4/2N1B3/PP3PPP/R2QKB1R w KQ - 0 11{end-fen}

Die Eröffnung ist Weiß schon nicht gelungen, die Fesselung in der d-Linie ist sehr unangenehm. Nach dem Partiezug 11. a3? (besser (11. Dd2) hätte die Partie eigentlich in wenigen Zügen vorbei sein müssen. Lasker wollte 11...Lc5 offenbar mit 12. b4 beantworten. Nach 12...Lxd4 13. Lxd4 (auch 13. bxa5 hätte übrigens nicht geholfen: z.B. 13...Lxc3+ 14. Ld2 Txd2 15. Dxd2  Lxd2 16. Kxd2 Sxa5 -+.) 13...Dg5 wäre der Läufer auf d4 nicht mehr zu halten gewesen. Z.B. 14. Se2 Sxd4 15. Sxd4 De5+. Janowski ging aber an seinem Glück vorbei und spielte 11...Sh6? (statt 11...Lc5) und verlor die Partie schließlich sogar.

Die achte Matchpartie feiert heute übrigens hundertsten Geburtstag. Aus diesem Anlass hier die komplette Partie:

*Okay, okay, ich gebe es zu, die Pointe ist von Georg Marco (ehemals Herausgeber der Wiener Schachzeitung) geklaut. Nachzulesen z.B. in: „Umkämpfte Krone“ v. Raymund Stolze, Sportverlag Berlin 1988.