Immer für einen starken Zug gut: der Hamburger FIDE-Meister Holger Hebbinghaus
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Was bislang geschah:

April 2011 – es ist der letzte Spieltag der Schach-Bundesliga. Holger Hebbinghaus tippt hier im Blog am besten, wie viele Mannschaftspunkte Delmenhorst und Bremen in den letzten beiden Runden wohl erzielen werden. Damit holte sich Holger sehr knapp vor Che Falquito den ersten Preis – eine kommentierte Partie seiner Wahl.
Treue Leser dieses Blogs wissen: solche Gewinnspiele gewinnt der FM Hebbinghaus immer! Schon vor kurzem stellten wir daher eine Partie von ihm vor, und aus einem anderen Wettbewerb schulden wir ihm immer noch ein Kurzstreckenticket für die BSAG in Bremen.

Was soll nun werden?

Heute also ist es nun soweit. Es folgt die kommentierte Partie – und das wird ja nun langsam auch mal Zeit, denn ein halbes Jahr ist schon vergangen seit der Ligarunde in Baden-Baden.

Holger schickte uns eine Partie, die er auf einem Quickstep-Tagesturnier 2009 in Bremen spielte (ein Turnier, das Holger auch gewann). Seine Gegnerin ist die junge Wildeshauserin Germaine Kickert, die sich mit einer DWZ von 1926 wohl eher als Außenseiterin in dieser Begegnung gefühlt haben mag. Aber - man weiß ja nie, wie es am Ende ausgeht.

Wir erleben die solide Caro-Kann-Eröffnung. Die Partie entwickelt sich langsam, wogt hin und her und kommt dann ohne viel Taktik zu einem sehr plötzlichen Ende. Wer gewinnt, verraten wir aber noch nicht!


Wer ist überhaupt Holger?

Holger ist FIDE-Meister und hat eine angenehme ELO und DWZ, die beide schon seit geraumer Zeit im erweiterten Bereich der 2200 pendeln.
Ebenso wie Niclas Huschenbeth, Jan Gustafsson und Falko Meyer entspringt Holger der phänomenalen Jugendabteilung des Hamburger SK. Seit einigen Jahren kämpft er für den SK Marmstorf GW Harburg um Punkte.
Nicht nur die Norddeutschen kennen und schätzen ihn schon seit langem für seine freundliche Art und sein furchtloses Spiel. Holger liebt es zu spielen, man sieht ihn viel auf Turnieren, so auch im Sommer am Millerntor beim St.Pauli-Open.
Auch ich saß Holger schon einige Male in Turnierpartien gegenüber – es wurde bisher immer Remis, zumeist nach einigen Aufregungen und Verwicklungen.

Sollen wir etwas von der Kommentierung erwarten?

Nein.

Wir bieten in diesen hektischen Zeiten eine gefühlte Analyse, bei der es nicht um viele Varianten geht. Gleichzeitig findet sich in dem Artikel eine Vielzahl von Diagrammen, so dass man die Partie auch ohne Brett verfolgen kann.

Kommentiert wurde mit Bordmitteln - das heißt, Fritz, Mephisto 3, Stockfish und Konsorten kamen nicht zum Einsatz. Vielleicht finden sich daher grobe Ungenauigkeiten in den Varianten. Wie so oft im Schach ist also Vorsicht geboten.

Doch nun genug der langen Worte – und viel Spaß mit der Partie!

schach macht spa


Germaine Kickert (1943) - Holger Hebbinghaus (2294) [B19]

IX Quickstep Chess Gruppe A Bremen (1), 24.10.2009


1.e4 c6 2.d4 d5 

kickert - hebbinghaus 1

Caro-Kann.
K.O., wann?
Kann Caro Cannes?
Karo? Grand Hand!
Caro kann Cancan.

3.Sc3 dxe4 4.Sxe4

Auf Schnellturnieren im ausgehenden 20. Jahrhundert sah man hier auch manchmal das schöne Gambit 4.f2-f3, doch darauf hofft man als Schwarzer mittlerweile wohl vergeblich.

4...Lf5 5.Sg3 Lg6

kickert - hebbinghaus 10

Verwegen wäre hier 5.. . Sbd7 gewesen, in der Hoffnung auf 6.Sxf5, Da5+ und Dxf5. Allerdings sagt sich Schwarz zu Recht, dass er seinen Läufer am liebsten behalten möchte, um seiner Gegnerin nicht "die kleine Qualität" (= den Vorteil des Läuferpaars) zu überlassen.

6.h4 h6 7.Sf3 Sd7 8.h5

Eilt nach vorne, schubst den Läufer und erobert einigen Raum. Auf h5 ist der Bauer aber auch auf sich alleine gestellt und muss von nun an auf Unterstützung hoffen.

8...Lh7

Einmal mehr bringt sich der Läufer vor dem Abtausch in Sicherheit. Weiß greift darum nun zu energischeren Schritten.

9.Ld3 Lxd3 10.Dxd3 e6 

kickert - hebbinghaus 2

Die Eröffnung ist beendet, und wahrscheinlich geht die Partie für echte Caro-Kann-Spieler nun erst richtig los. Wie ist die Lage? a) Weiß hat Raumvorteil durch den Bauern auf h5. b) Der Läufer c1 hat kein richtiges Angriffsziel. c) Weiß könnte versuchen, lang zu rochieren. d) Schwarz steht kompakt und solide - keine Schwächen, und vielleicht bald ein schönes Springerfeld auf d5. Gesamturteil: irgendwie ausgeglichen.

11.Lf4 Da5+

Verhindert eine allzu leichte lange Rochade und nervt ein bisschen herum auf dem Damenflügel.

12.Ld2 Lb4 13.c3 Le7

Die Älteren werden sich hier an die Leichtfigurenmanöver Anatoli Karpows erinnern - und auch in dieser Partie findet der Läufer nach dem klugen Umweg über b4 ein Zuhause auf e7.

14.Se4 Sgf6 15.c4 Dc7

kickert - hebbinghaus 3

Und da ist er nun - der berühmte Hebbinghaus-Igel. Schwarz hat sich auf den letzten drei Reihen zusammengerollt und harrt der Dinge, die da kommen mögen. Für Weiß ist es schwer, eine Angriffsmarke zu finden - Germaine probiert es daher mit c3-c4, um das Feld unter Kontrolle zu nehmen und vielleicht beizeiten die Mitte zu öffnen. Einen Nachteil bringt das allerdings mit sich: der Bauer d4 fängt an, ein wenig freihändig in der Luft zu hängen.

igel

              Sieht freundlich aus, hat aber Stacheln: der Igel (Photo: Gibe/ Wikicommons)

16.g3

Versucht weiter aktiv etwas zu tun - doch das mag hier die falsche Idee sein. Warum immer etwas unternehmen? Abwarten wäre vielleicht besser. Andererseits - wie soll Weiß abwarten? Beide Rochaden sind nicht so einfach zu realisieren.

16...0-0 17.Lf4

Erkämpft sich das Feld d6, doch ...

17...Da5+!

kickert - hebbinghaus11

... der Hebbinghaus-Igel fährt seine Stacheln aus! Die Dame überschreitet ein weiteres Mal mutig die dritte Reihe und gibt sogar ein Schach - ein Ausrufezeichen gibt es für die psychologische Wirkung dieses Zuges.

18.Ld2 Lb4

Hello again - die Position der Läufer kommt uns irgendwie bekannt vor. Haben wir vielleicht schon eine dreifache Stellungswiederholung? Immerhin kann Weiß nun das Feld d6 in Besitz nehmen.

19.Sd6 Lxd2+ 20.Dxd2 Dc7

kickert - hebbinghaus 4

Die Dame kehrt zurück und, wie man früher gerne sagte, befragt den Springer. Viele Felder hat dieser nicht zur Auswahl, es bleibt ansich nur ...

21.c5

Hat Germaine erreicht, was sie wollte? Das Feld d5 musste sie zwar aufgeben, doch der Springer d6 zerteilt jetzt das schwarze Lager in zwei Hälften, so dass dort Probleme mit der schnellen Koordination drohen. Wenn Weiß noch zu g3-g4-g5 kommen könnte, wäre alles gut. Doch nun ist der Augenblick gekommen, wo Schwarz gegenhalten kann, und er setzt an bei der stärksten gegnerischen Figur.

21...b6!

Der Igel wird zum Maulwurf und fängt an, das Fundament des Springers zu untergraben.

22.b4 a5!

kickert - hebbinghaus 5

Und Weiß fällt auf den Rücken. Das schwarze Gegenspiel ist SCHNELL, und Weiß hat Probleme, seine Figuren beisammenzuhalten. 23.a2-a3 wäre nun schön, doch es geht leider nicht. Darum alternativ ...

23.bxa5 bxc5!

RuckeldieKatz - nachdem Schwarz so lange ganz friedlich die Figuren bewegt hat, erhöht er nun das Tempo und ribbelt die weiße Mitte auf.

24.Sc4 cxd4 25.Sxd4 Tfd8

kickert - hebbinghaus 6

Das Spiel hat an Tempo gewonnen, die ersten Drohungen tauchen auf. Nach dem Turmzug nach d8 fängt die Dame auf d2 an, sich leicht unwohl zu fühlen. Weiß würde gerne rochieren, doch dann hängt der Bauer auf h5. Und auch einige weiße Felder machen einen ungedeckten Eindruck - die schwarzen Springer streben schon nach f3, d3, d4, um dort für Verwirrung zu sorgen. Jonathan Rowson hat einmal vom "Raumnachteil" gesprochen, in dem Sinne, dass ein Spieler zuviel Raum hat, den er gar nicht mehr decken kann: „We might say that White has a huge castle, but only a few soldiers. while Black has the same number of soldiers and uses all the empty spaces in the castle as posts to attack the white army." (The Seven Deadly Chess Sins, S.63). Überdehnt, sozusagen. Wir sehen das auch in dieser Partie.

26.Dc2

Weiß tut etwas für den Seelenfrieden ihrer Dame und sichert gleichzeitig ein wenig die weißen Felder ab. Vielleicht wäre hier auch die Rochade aussichtsreicher gewesen, um erst einmal die Sorgen um den König zu lindern.

26...Se5!

Behält den Schwung im Spiel und fängt an, so dies und das zu drohen.

27.Sb3 Sxc4

Auch 27...Sd3+ sieht sehr verlockend aus. Es könnte folgen 28.Kf1, und dann ist 28... .Sg4 oder Se4 eine Idee. Weiß hat Probleme damit, die vielen schwarzen Pferde im Zaum zu halten.

28.Dxc4 De5+ 

kickert - hebbinghaus 7

Weite Wege ging die Dame in dieser Partie, und immer auf den schwarzen Feldern. Das ändert sich aber nun - von jetzt an wandert sie weiter auf Weiß.

29.Kf1 Dd5

Im Blitzen wäre Txa5 ein lustiger Zug, der aber nach 30.Te1 nicht so recht weiterhilft. In der Partie dagegen lädt Holger furchtlos ins Endspiel ein. Wenn Weiß nun auf d5 tauscht, wird sie lange unter ihrer Bauernstruktur zu leiden haben. Schwarz kann dann noch lange weiterspielen, mit langen Hoffnungen auf den vollen Punkt. Germaine entscheidet sich darum für einen Zug mit einigem dynamischen Flair.

30.Th4!

Hübsch! Wenn Holger nun die Damen tauscht, ist der weiße Turm gleich mittendrin im Spiel. Darum verzichtet Schwarz (natürlich) lieber darauf.

30...e5

Verhindert den entlastenden Abtausch mit 31.Td4.

31.Tc1

Drückt auf c6.

31...Td6

Und verteidigt c6, während zeitgleich die Turmverdoppelung angebahnt wird.

32.Kg1

kickert - hebbinghaus 8

Es sieht fast so aus, als hätte Weiß sich berappelt. Der König steht endlich froh hinter seinen Bauern, die Figuren spielen mit, und auf der a-Linie lauert sogar ein Freibauer. Doch Schwarz ist am Zug, und er entdeckt eine Schwäche im weißen Lager - das Feld f3!

32...Df3!

Wieder ein psychologisch wichtiger und sehr unangenehmer Zug. Schwarz nimmt in der Nähe des weißen Königs Platz und fängt an, diffus zu drohen. Vielleicht sollte Weiß sofort Dc3 oder Tc3 spielen, um die Dame zu verjagen? Aber dann ist die Partie nach Td1+ sofort entschieden.

33.Dc5 Tad8

Dunkle Wolken ziehen auf ... und wirklich, die weiße Stellung ist nicht mehr leicht zu spielen! Was hilft denn eigentlich noch gegen Td1+?

34.Dc4 Td1+ 35.Kh2 Dh1#

kickert - hebbinghaus 9

So gewinnt Holger, und so gewinnt man wohl auch gerne mal mit Caro-Kann. Eine schöne Partie, in der vielleicht auch die größere Geduld zum Erfolg geführt hat.

igel