Schuh schaut Schach: Say no to chess principles!

Schuh schaut Schach: Say no to chess principles! Foto: Schach Niggemann

Rezension von IM Dirk Schuh, Mai 2019

Ich habe Schach durch verschiedenste Regeln gelernt. Erst kamen natürlich die Grundregeln, wie die Figuren ziehen, wie man rochiert, was passiert, wenn ein Bauern die gegnerische Grundreihe erreicht! Danach habe ich aber aus eigener Erfahrung oder der Lektüre verschiedenster Bücher und Magazine weitere Regeln abgeleitet, die mir sehr geholfen haben.

Es ging hierbei darum, erst alle Figuren zu entwickeln und dann anzugreifen oder Bauernschwächen wie Doppelbauern oder Isolanis um jeden Preis zu vermeiden, selbst wenn ich nicht sah, worin das Problem der jeweiligen Schwäche lag. Auch die eigene Königsstellung war mir heilig. Mir half das, eine Spielstärke von über 2000 DWZ zu erreichen. Erst danach merkte ich, dass die eine oder andere Regel nicht zu dogmatisch gesehen werden sollte. Ich spielte geschlossenere Stellungen und dort war die Figurenentwicklung plötzlich nicht mehr so wichtig, ich fand heraus, dass man in Isolanistellungen durch die höhere Aktivität herrlich angreifen konnte und entwickelte eine Vorliebe für Königsstellungen auf f1 oder f8, während ich den h-Turm dann jeweils nur zur Verteidigung auf g8 beließ oder mit Weiß oft nach h4-h5 über h3 oder h4 ins Spiel brachte.

Vor kurzem musste ich an diese eigene Evolution denken, als ich "Say No to Chess Principles" von Großmeister Evgeny Bareev aus dem Thinkers Publishing Verlag in den Händen hielt. In dem Buch zeigt der bekannte Schachgroßmeister, wie er immer wieder klassische Prinzipien wie die frühe Rochade oder dem Vorteil der Figur im Zentrum gegenüber einer Figur am Rand ausgehebelt hat und so seine Gegner praktisch unter Druck setzte, weil sie die unorthodoxen Stellungen falsch einschätzten oder auf der Suche nach einer Widerlegung seiner Spielidee in Zeitnot kamen und dann zusehen mussten, wie ihre Stellung auseinanderfiel.
In der Einleitung gibt er dabei den Kurs seines Buches schon treffend vor. Er schreibt, dass diese Prinzipien nicht falsch sind, aber in geschlossenen Stellungen nicht den gleichen Wert wie in offenen besitzen. Darum gibt es vorwiegend geschlossene Eröffnungen zu sehen und nur hin und wieder einmal die Französische und Caro-Kann-Verteidigung, die der Autor beide meisterhaft versteht, die aber auch zu recht blockierten Stellungen führen können.

say no to principles

Was kann man als Leser nun von diesem Buch erwarten? In erster Linie möchte es unterhalten. Der Schreibstil ist recht locker und es gibt viele kleine Anekdoten zu den Partien, um ihre Umstände näher zu beleuchten oder einfach Informationen über die reinen Züge hinaus zu geben. Die 54 Partien sind recht gut mit Worten und einigen Analysevarianten sowie weiteren Partiefragmenten kommentiert und man lernt einiges über die geschlossenen Spiele.
Es geht weniger darum, dem Leser zu zeigen, wann man jetzt genau die klassischen Regeln brechen kann, sondern eher darum, die Vielfalt im Schach zu behandeln und zu inspirieren. Um das Buch wirklich genießen zu können, sollte man es gerade nicht so ernst nehmen. Dann jedoch macht es einfach Spaß! Ich zum Beispiel habe es in einem Rutsch durchgelesen und wurde dadurch vielleicht nicht zu einem besseren Spieler, spürte aber schon ein Jucken in meinen Fingern, mal wieder etwas verrücktere Stellungen anzustreben. Darum kann ich das Buch jedem nur wärmstens empfehlen, der für sowas auch zu haben ist!

Say no to chess principles bei Schach Niggemann

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Die Teilnahme an unserer Kommentarfunktion ist nur registrierten Mitgliedern möglich.
Login und Registrierung finden Sie in der rechten Spalte.